Skiliftfeeling mitten in Zürich! In der Lobby des Hauptsitzes von Schweiz Tourismus setzt sich Martin Nydegger (51) ins Sesseli, das 1945 in Flims GR als erste kuppelbare Sesselbahn Weltpremiere feierte. «Das Retrofeeling ist schon toll», sagt der Chef. Heute gibts drehbare Sessellifte mit Sitzheizung und doppelstöckige Gondelbahnen. «Um mitzuhalten, müssen die Bergbahnen diese Innovationen machen.»
Herr Nydegger, gehen Sie in den Sportferien Ski fahren?
Ja, das ist Tradition. Jedes Jahr fahren wir in meine alte Heimat Scuol ins Unterengadin, dort war ich sieben Jahre lang Tourismusdirektor. Mein Sohn ist jetzt 16 Jahre alt. Da bin ich froh, wenn er Handy und PC zur Seite legt und mit mir Ski fahren kommt (lacht). Ich geniesse diese Zeit sehr.
Wie sind die Schneeverhältnisse in Scuol?
Recht gut. Das Dorf liegt auf 1250 Metern.
Da war es aber kürzlich noch grün!
Das stimmt. Aber im Skigebiet Motta Naluns waren die Verhältnisse einwandfrei.
Die Bilder von Kunstschneebändern zwischen grünen Hügeln – etwa beim Skirennen in Adelboden – gingen um die Welt. Was bedeuten sie für den Tourismus?
Ausser beim Skirennen würde ich jetzt bezweifeln, dass die Bilder um die Welt gingen.
Zumindest bei uns gaben sie zu reden.
Ja, denn Skifahren ist ein Volkssport. Und es ist den Schweizerinnen und Schweizern nicht egal, wie es den Skigebieten geht. Das ist gut so.
Aber Hand aufs Herz: Für den Tourismus sind die Bilder schlecht.
Die Verhältnisse freuten uns natürlich nicht. Es wäre aber falsch, daraus ein schweizweites Phänomen zu machen. Ich war über die Festtage in der Jungfrau-Region auf der Kleinen Scheidegg – dort gabs keine grünen Wiesen.
Planen Sie jetzt aktiv Kampagnen mit Schneebildern?
Nein, wir wollen die Realität nicht kaschieren. Aber differenzieren. Deshalb schalten wir ab diesem Wochenende neu eine Webcam-Seite auf. Beim Snow-Ticker (www.myswitzerland.com/snowticker) können die Leute Webcams auf einer Schweiz-Karte anklicken und haben sofort einen Überblick, wo wie viel Schnee liegt. Diese Woche hat es ja zum Glück wieder geschneit.
Dennoch: Wegen des Klimawandels ist der Wintersport in tiefen Lagen wohl bald Schnee von gestern.
Der Klimawandel ist ein Fakt – in der Schweiz sehen wir das am deutlichsten beim Rückgang von Schnee und Eis. Selbst wenn es in den letzten Jahren immer wieder schneereiche Winter gab, auf den Schnee verlassen können sich die tiefer gelegenen Skigebiete nicht mehr. Sie müssen sich Alternativen suchen.
Tun Sie das genug?
Grundsätzlich schon, aber nicht alle gleich schnell. Es ist menschlich, dass die Leute die Hoffnung nicht aufgeben – gerade wenn sie eigenes Geld investiert haben. Es gibt Destinationen, in denen das ganze Tal, sprich alle Hotels, der Schreiner, der Beck oder der Bauer, aufgrund des Tourismus eine Existenzsicherung haben.
Wie kann Schweiz Tourismus helfen?
Wir versuchen, Rezepte und Anleitungen zu geben. Unsere Branche ist aber nicht obrigkeitsgläubig, viele sind in den letzten Wochen selbst aktiv geworden. Ich finde es bemerkenswert, wie etwa Sattel-Hochstuckli die Sommerrodelbahnen wieder aufmachte, die Viamala-Schlucht ausserordentlich geöffnet wurde oder die Lenzerheide ihre Velodownhill-Wege beworben hat. Krisen – Pandemie, Krieg, Energie – treffen den Tourismus immer. Doch wir sind geübt, mit ihnen umzugehen. Fallen die kleinen, oft günstigeren Skigebiete in unteren Lagen weg, bleiben noch die grossen, oft teuren Resorts.
Eine Durchschnittsfamilie kann sich Skiferien kaum mehr leisten!
Ferien, die nur eine Badehose und ein Badtüechli brauchen, haben ein anderes Preisschild als Skiferien. Aber auch Winterferien müssen nicht Luxusferien sein, und es gibt auch in hohen Lagen familienfreundliche Skiorte.
Was sind Ihre Spartipps?
Wir haben wohl das schönste Netz an Jugendherbergen, grossartige Reka-Dörfer und Ferienwohnungen, die preiswert sind. Bei Skipässen bieten selbst vermeintlich teure Regionen wie St. Moritz tolle Angebote für Familien an, wo das erste Kind zum Kindertarif fährt, das zweite deutlich vergünstigt und jedes weitere gratis.
In den USA kosten Tageskarten bis zu 200 Dollar – bald auch bei uns?
Am Whistler Mountain sind es gar 256 Dollar, ich war vor drei Jahren dort. Man muss sehen: In Amerika ist Skifahren ein elitärer Sport. Das ist in der Schweiz nicht so und wird es auch nicht werden. Im Gegensatz zu den USA haben wir eine breite Auswahl an verschiedenen Skiresorts, von gross und chic bis klein und fein. Rund 30 dieser Gebiete gehen über 2800 Meter, sind also schneesicher.
Auch höher gelegene Skiorte beschneien ihre Pisten. Ist das die Zukunft?
Die Beschneiung gehört dazu. Beschneien muss man nicht, wenn es keinen Schnee gibt. In 90 Prozent der Fälle sichert die Beschneiungsanlage das Fundament und ergänzt den Naturschnee.
Ihre Partnerin Fabi Gama stammt aus Brasilien, ist Reise-Influencerin und erreicht mit ihrem Instagram-Kanal loucosporviagem über 577 000 Follower. Sehen Sie dank ihr die Schweiz anders?
Absolut, ihr Job gibt mir beruflich einen ganz neuen, anderen Einblick. Ich kriege sozusagen Nachhilfeunterricht.
Was gefällt ihr besonders an der Schweiz?
Ich würde sagen die Männer (lacht).
Fährt sie Ski?
Nein. Aber da ist sie in der Schweiz gut aufgehoben. Es gibt Destinationen im Winter wie das Engadin, wo der Anteil an Nichtschneesportlern grösser ist als jener der Sportler. Sie gehen dort schlitteln, Schneeschuh laufen oder Kutsche fahren. Wir haben ein unglaublich breites Angebot. Das klingt vielleicht banal, im Vergleich mit dem Ausland ist das besonders.
Über die Festtage sah man etwa in Zürich viele ausländische Touristen. Den Skiurlaub mit einer Städtereise verbinden, ist das ein neuer Trend?
Die ausländischen Gäste machen das schon lange so. Gerade arabische Touristen fühlen sich in urbanen Gegenden wohler und planen von dort Tagesausflüge in die Berge. Die Schweizer und Schweizerinnen haben während der Pandemie ebenfalls damit angefangen.
Sie buchen Bergferien spontaner?
Ja, die Tendenz, spontaner zu buchen, ist da – allerdings ist diese im Winter weniger ausgeprägt als im Sommer. Dies liegt unter anderem daran, dass die Wintersaison kürzer ist und viele Familien an die Weihnachts- oder die Sportferien gebunden sind.
Nochmals zum Städtetourismus: Dieser boomte 2022 regelrecht. Warum?
Zum einen sind die ausländischen Gäste zurückgekehrt – besonders aus den Nachbarländern sowie aus Amerika, Südamerika und den Golfstaaten. Der zweite Grund ist, dass Schweizer und Schweizerinnen während der Pandemie die Städte neu als Freizeitangebote entdeckt haben.
Hat die Pandemie noch andere Entwicklungen hervorgebracht?
Ja, beim Wintertourismus wurden neben den bekannten Skigebieten auch kleinere Skiresorts, etwa im Jura oder im Kanton Freiburg, beliebter.
Im Gegensatz zu anderen EU-Ländern hat sich der Bundesrat gegen eine Coronatest-Pflicht für chinesische Touristen ausgesprochen. Was sagen Sie dazu?
Wir freuen uns natürlich, wenn die Chinesen wieder kommen. Blöd ist, wenn es in europäischen Ländern unterschiedliche Regeln gibt. Grundsätzlich ist für mich die Reisefreiheit ein Menschenrecht.
Nochmals zu den grünen Wiesen: Hatten die Bilder Auswirkungen auf die Buchungen für die Sportferien?
Uns sind keine Stornierungswellen bekannt. Ich bin da pragmatisch: Es hat noch jeden Winter geschneit. Das Wetterrisiko gehört bei allen Ferien nun mal dazu. Die Leute akzeptieren das. Aufgrund der paar schlechten Wochen den Wintersport totzureden, ist falsch.