Als Martina Andrés (35) zum ersten Mal mit den Pottwalen taucht, entfährt ihr ein Schrei, der bis zum Boot zu hören ist. Zwar hat sich die Biologin, Fotografin und Dokumentarfilmerin intensiv auf diesen Moment vorbereitet. Doch als die lastwagengrossen Meeressäuger dann plötzlich auf sie und ihren Partner Manuel Spescha (32) zuschwimmen, ist sie so überwältigt, dass sie durch ihren Schnorchel aufschreit. «Ich habe gerade keine Worte dafür – unglaublich», sagt Andrés, als sie wenig später zurück aufs Boot klettert.
Ein Pottwal schläft in etwa 18 Metern Tiefe. Doch auch wenn Manuel Spescha (im Bild) und Martina Andrés beim Dreh auf Mauritius nahe an die Tiere herankamen – anfassen blieb für die beiden Biologen ein Tabu.
ZVGDie Szene ist Teil des Dokumentarfilms «Abtauchen mit Giganten – Pottwale hautnah», den Andrés und Spescha gemeinsam auf Mauritius gedreht haben – eine Art «Behind the Scenes» zur dreiteiligen Naturfilmreihe «Wilde Trauminseln» (zu sehen in der ARD-Mediathek). Mehrere Tage verbrachten sie auf der Insel im Indischen Ozean, fuhren stundenlang übers Meer und gingen ohne zu zögern ins Wasser, sobald sich eine Gelegenheit dafür bot. Das Besondere dabei: Andrés und Spescha tauchten ohne Pressluftflasche, nur mit Maske, Schnorchel, Flossen – und ihrer eigenen Atemluft.
Von Mai bis November versammeln sich Hunderte Mantarochen vor den Malediven zum Planktonfressen. Für die Drohnenaufnahmen ist «Tech-Nerd» Martina Andrés zuständig.
ZVGFreediving heisst die Technik, und sie braucht einiges an Vorbereitung. Körperlich, weil die Lunge unter Wasser zusammengedrückt wird, was bei falschen Bewegungen zu Verletzungen führen kann. Und mental, weil der Atemreflex hinausgezögert werden muss. In vollkommen ruhigen Situationen können sie für bis zu vier Minuten die Luft anhalten. Wenn sie – wie beim Dreh auf Mauritius – gegen Wellen und Strömungen anschwimmen, schaffen sie es etwa eine Minute.
Wer Freediven, also Apnoetauchen, will, muss schon Monate vorher mit dem Training beginnen. Eine App hilft Spescha und Andrés bei den Atemübungen.
Fabienne BühlerSicherheitsmassnahmen gibt es beim Freediving kaum, ausser dass immer eine Person oben bleibt und die anderen im Blick behält. Doch Andrés und Spescha kommt zugute, dass sie nicht nur sich selbst und ihrem Körper vertrauen – sie kennen auch einander in- und auswendig.
Kegelrobben halten gern ein Nickerchen unter Wasser. Diese hier –fotografiert bei den englischen Farne-Inseln – scheint jedoch hellwach und munter.
ZVGVerliebt in die Unterwasserwelt
Szenenwechsel: Statt zu sonnenüberfluteten Stränden geht der Blick zum nebelverhangenen Bodensee, im Osten sind einige Berggipfel zu sehen, auf denen Schnee liegt. Hier in Steinach SG ist Martina Andrés aufgewachsen, hier hat sie als Kind davon geträumt, Orkas auszusetzen. Seit einer Reise nach Amerika im Alter von sechs Jahren war sie fasziniert von den beeindruckenden Tieren. «Heute weiss ich, dass es keine gute Idee wäre, das Wasser im Bodensee mit Salz anzureichern», sagt Andrés und lacht.
Ein passender Name: Auf Bird Island, Seychellen, versammelt sich eine Kolonie von Russseeschwalben. Über 1,5 Millionen Tiere kommen hierher zum Brüten.
ZVGDoch obwohl sie schon früh einen Bezug zum Wasser hatte, mit dem Tauchen begann sie erst wegen Manuel Spescha. Beide studierten Biologie und besuchten den gleichen Kurs für Naturfotografie. «Manu zeigte ein Bild von einer Qualle, und ich dachte: ‹Cooler Typ!›» Sie sehen sich an und grinsen – sie sitzen in der Küche in Andrés’ Elternhaus in Steinach, wo sie gerade zu Besuch sind. Sonst wohnen sie seit 2022 in der Nähe von Hamburg, drehen aber aktuell einen zweiteiligen Film über die Schweizer Tierwelt.
Trotz guter Sehkraft nutzen Pottwale zusätzlich Echoortung, um Beute zu finden oder ihre Umgebung wahrzunehmen.
ZVGSpescha ist in Dorf im Zürcher Weinland aufgewachsen. «Das Meer war mir eigentlich immer ein wenig unheimlich», erzählt er nun. Auch hatte er sich im Studium nicht auf Meeresbiologie spezialisiert. Doch bei einem Forschungspraktikum auf den Seychellen verliebte er sich in die Unterwasserwelt. Er machte mehrere Tauchzertifikate, unternahm kürzere und längere Trips. Und irgendwann fragte er Martina, ob sie ihn begleitet.
Mittlerweile sind die beiden seit fast zehn Jahren ein Paar, seit drei Jahren sind sie verlobt. Auf das Thema Hochzeit angesprochen, winken sie allerdings ab – bisher hat es einfach nicht gepasst, weder zeitlich noch örtlich. Das hat auch mit dem Leben zu tun, das die beiden seit ihrem Studium führen.
Ein Papageitaucher auf den Shetlandinseln. Im Sommer brüten die Tiere hier auf den Klippen.
ZVGAus einem Jux wurde ein Geschäft
«Für uns war immer klar, dass wir nicht in die Forschung wollten», sagt Manuel Spescha. Stattdessen habe sie die Vermittlung gereizt. «Gerade beim Tier- oder Naturschutz kann jeder etwas beitragen. Dafür muss das Wissen jedoch erst zu den Leuten gelangen.» Also schrieben sie einen deutschen Dokumentarfilmer an – eher aus Jux, wie sie sagen. Aber der Mann suchte tatsächlich gerade nach Freedivern für einen Dreh, und so rutschten die beiden ins Filmgeschäft. Seit vergangenem Sommer arbeiten sie selbstständig.
Humor hilft dem Paar über anstrengende Situationen hinweg. Das zeigt sich auch bei den Fotos und Videos, die die beiden auf Social Media posten (@eyesonwildlife).
Fabienne BühlerManchmal sind sie wochenlang mit Kamera und Drohne unterwegs – dann sitzen sie wieder nur im Büro und versuchen der Arbeitslast Herr zu werden. «Natürlich gibt es Momente, in denen wir nicht mehr können oder uns gegenseitig anzicken», sagt Martina Andrés. Die Drehs seien körperlich anstrengend, die Wetterbedingungen nicht immer gut. Zudem leide das Sozialleben. Was den beiden hilft, ist ihr Humor und die Tatsache, dass sie einander viel Freiraum lassen. Was auf Dreh mal nur bedeuten kann, dass er vorne im Camper sitzt und sie hinten.
Pottwale sind sehr sozial, die Weibchen helfen einander bei der Aufzucht der Jungen und kuscheln miteinander. Diese Szene konnte Manuel Spescha (oben) mit der Kamera einfangen.
ZVGUnd dann gibt es Momente wie diesen: Am zweitletzten Tag auf Mauritius gelingt den beiden endlich die Aufnahme, auf die sie ihren Film angelegt haben. Eine Gruppe schlafender Pottwale, senkrecht im Wasser stehend und so entspannt, dass sie sich von den Tauchern neben ihnen nicht stören lassen. «Ein absolutes Geschenk», sagt Manuel Spescha.