Die glanzvollen Jahre von «Victoria's Secret» sind definitiv vorbei. Die Abwärtsspirale zeichnete sich schon länger ab: So sanken die Einschaltquoten der weltweit am meisten gesehenen Fashion Show zuletzt massiv. Nachdem die US-Modelinie bereits seit 2016 sinkende Verkaufszahlen verzeichnet hatte, beschloss das Dessous-Label Ende 2019, dass es 2020 erstmals seit 1995 keine Victoria's Secret Show mehr geben wird.
Über Jahrzehnte war diese ein Highlight in der Modewelt. So schwebten jeweils zahlreiche Supermodels wie etwa Naomi Campbell, 49, Gisele Bündchen, 39, Miranda Kerr, 36, oder auch Heidi Klum, 46, als Victoria's Secret Engel über die Bühne. Mitten im Sinkflug überschattet nun auch noch ein Sex-Skandal das Unterwäsche-Label.
Top-Manager Edward Razek soll einem Model in den Schritt gefasst haben
Wie die «New York Times» berichtet, herrschte innerhalb des Unternehmens über Jahre eine Kultur von Frauenfeindlichkeit, Mobbing und Belästigung. Die systemische Erniedrigung soll ihre Wurzeln bei Besitzer Les Wexner, 82, und dessen rechter Hand, Edward Razek, 71, haben.
Am schwersten wiegen die Vorwürfe gegen Razek. Über den jahrzehntelangen Top-Manager bei L Brands, der Muttergesellschaft von Victoria's Secret, sollen wiederholt Beschwerden über unangemessenes Verhalten eingegangen sein. Razek soll versucht haben, Models gegen ihren Willen zu küssen. Auch soll er die jungen Frauen darum gebeten haben, sich auf seinen Schoss zu setzen. Im Zuge der Victoria's Secret Fashion Show 2018 soll er einem Model sogar ungefragt in den Schritt gefasst haben.
Auch Supermodel Bella Hadid gibt an, belästigt worden zu sein
Die für Razek belastenden Aussagen kommen aus Interviews mit mehr als 30 gegenwärtigen und ehemaligen Führungskräften, Mitarbeitern, Auftragnehmern und Models sowie Gerichtsakten und anderen Dokumenten, schreibt die Zeitung. Eine der Zeuginnen ist auch Supermodel Bella Hadid, 23. Sie gibt an, während einer Victoria's Secret Modeshow von Razew belästigt worden zu sein. Während sie sich umzog, soll er sie aufgefordert haben: «Lass das Höschen weg!»
Der Besitzer der US-Modelinie soll die Augen davor verschlossen haben
Les Wexner selbst soll den sexuellen Missbrauch gegen seine Models über Jahre geduldet haben. Führungskräfte von L Brands gaben zu Protokoll, dass sie den Milliardär über das missbräuchliche Verhalten von Razek informiert hätten, dieser den Umstand aber einfach ignoriert habe.
In dem Bericht heisst es, einige mutmassliche Opfer sollen ihre Karriere eingebüsst haben, weil sie sich über Razek beschwert hätten. Das frühere Victoria's Secret Model Andi Muise, 33, etwa behauptet, das Dessous-Label habe aufgehört, sie für ihre Modenschauen einzustellen, nachdem sie Herrn Razeks Avancen zurückgewiesen habe.
«Dieser Missbrauch wurde nur ausgelacht und als normal akzeptiert»
Dass die Drahtzieher dieser belastenden Unternehmenskultur aus der Chef-Etage kommen, bezeugt unter anderem auch Casey Crowe Taylor, ehemalige Mitarbeiterin für Öffentlichkeitsarbeit bei Victoria's Secret. «Was mich am meisten beunruhigte, als jemand, der immer als unabhängige Frau erzogen wurde, war, wie tief dieses Verhalten verwurzelt war», sagt Taylor.
Aus ihrer Warte hat sie diese Kultur von Frauenfeindlichkeit, Mobbing und Belästigung selbst auch wahrgenommen. «Dieser Missbrauch wurde nur ausgelacht und als normal akzeptiert. Es war fast wie eine Gehirnwäsche. Und jeder, der etwas dagegen unternehmen wollte, wurde nicht einfach ignoriert. Sie wurden bestraft», erinnert sie sich.
Im Zuge der Berichterstattung hat die «New York Times» eine Reihe detaillierter Fragen an L Brands gesendet. Unternehmenssprecherin Tammy Roberts Myers liess in einem Statement der Geschäftsleitung verlauten, dass das Unternehmen stark auf Unternehmensführung, Arbeitsplatz- und Compliance-Praktiken fokussiert sei und darin bedeutende Fortschritte gemacht habe. «Wir bedauern jegliche Vorfälle, wo wir diese Zielvorgaben nicht erreicht haben und verpflichten uns, diese Standards stets zu verbessern.»
Ed Razek, der im Sommer 2019 in Ruhestand ging, weist alle Schuld von sich: «Die Anschuldigungen sind falsch oder aus dem Zusammenhang gerissen», behauptet er. Thomas Davies, ein Sprecher von Les Wexner, lehnte eine Stellungnahme gegenüber der Zeitung ab.
Wexner war in den Epstein-Skandal verwickelt
Bereits letztes Jahr warfen Negativ-Schlagzeilen ein unschönes Licht auf das Unternehmen Victoria's Secret. Im Zuge des Skandals um den verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein, †66, wurde mitunter auch die Person Les Wexner genannt. Der US-amerikanische Investment-Banker Epstein hatte zu Lebzeiten das milliardenschwere Vermögen von Wexner verwaltet.
Der später verurteilte Sexualverbrecher soll diesen Umstand genutzt haben, um sich als vermeintlicher Personalvermittler für Victoria Secret Models auszugeben. Wexner soll über Jahre tatenlos dabei zugesehen haben, wie Epstein Models als Sex-Sklavinnen rekrutierte. Ein Model, das von Epstein angesprochen wurde, sagte gegenüber der «New York Times»: «Es war ein Casting für Prostituierte. Ich hatte das Gefühl, in der Hölle zu sein.»