Kurz bevor Christian Stucki (38) am Seeländischen in Lyss zum dritten Gang antritt, versucht ein Bub aus dem Publikum, seiner Mutter einen Fünfliber für eine Glace abzuläschelen. Sie vertröstet ihn auf später: «Jetzt kommt dann grad der Stucki, dieser Fetzen dort drüben – kennsch, oder? Heute schwingt er zum letzten Mal, vielleicht kannst du noch etwas von ihm lernen.» Ob der Stucki gegen die Glace einen Stich hat? Der Blick des Buben verrät es nicht. Aber gewiss ist: Vom ältesten Schwingerkönig können wir alle noch etwas lernen.
Ab dem Moment, als Christian Stucki mit seinem E-Bike auf dem Festgelände vorfährt (er wohnt ganz in der Nähe), bis zur abendlichen Rangverkündigung muss er ununterbrochen Autogramme geben und für Selfies hinstehen. Das tut er mit einer Gelassenheit, die ihresgleichen sucht. Selbst als eine Gruppe von Fans mit ihm posiert und plötzlich merkt, dass keiner mehr zum Fotografieren übrig bleibt, lacht Stucki nur und sagt: «Geili Sieche sit dr!»
Angefeuert von fast 5000 Zuschauenden, tritt Christian Stucki im Schlussgang gegen den Emmentaler Chris- tian Gerber (32) an. Höchstens zwölf Minuten bleiben beiden, den jeweils anderen auf den Rücken zu legen – und sie reizen dieses Maximum brutal aus. Erst in der allerletzten Minute bezwingt Stucki seinen Gegner mit einem explosiven Kurz-Angriff. Der Speaker bringts auf den Punkt: «Schöner chasch nid höre.»
Wenn ein Bär wie Christian Stucki nach seinem Sieg zu weinen beginnt, dann berührt das auch den grössten Mürggu (ausser er liegt bereits verkatert unter der Tribüne).
«Merci viu mau für aues, Schätzeli», dankt Stucki seiner Frau Cécile (42) die ihn seit 13 Jahren unterstützt. Sie ist sichtlich gerührt, das erkennt man trotz grosser, schwarzer Sonnenbrille. Ein herzliches Merci geht auch an «Ma» Daniela (63) und «Pa» Willi (67): «Ohne euch wäre das nicht möglich gewesen, ich wäre gar nicht da.»
Emotional durchgeschüttelt, schweissgebadet und im Wissen darum, dass er bald frisch geduscht zur Krönung antreten muss, schüttelt Stucki Hände bis zum Umfallen. Weil er weiss, dass er ohne seine Fans nicht dort stehen würde, wo er heute steht.
Familie und Freunde, ja alle, die dem Schwinger nahestehen, tragen zu seinem Abschied ein Shirt mit der Aufschrift: «Für immer üse Chönig». Den Titel Schwingerkönig behält Stucki auf Lebzeiten. Aber er bleibt auch unvergessen als Gmüetsmoore und Berner Bär, als nahbar und bodenständig, kurz: als König der Herzen.