Von wegen böse! Wenn es um seine Familie geht, ist Christian Stucki, 36, die Geduld in Person. Und hilft auch mal unbemerkt ein kleines bisschen nach, damit Xavier, 7, und Elia, 5, ihren 140 Kilo schweren und 1,98 Meter grossen Papi auf dem Schlitten zumindest ein kleines Stück den Hügel hochkriegen. Schliesslich haben die Buben noch viel vor. «Ich will mal mindestens so gross werden wie Papi», sagt Xavier, der Ehrgeizige. «Ich nicht. Sonst schlag ich immer den ‹Gring› an, wenn ich zur Tür reinkomme», sagt Elia, der Pragmatische.
Stuckis geniessen ein Winterwochenende auf der Engstligenalp in Adelboden BE. Genau das Richtige für Xavier und Elia. Die beiden Wildfänge können sich hier nach Herzenslust im Schnee und auf dem Snowtube austoben. Aufs Skifahren verzichtet die Familie diesmal – sehr zum Leid der Buben, die schwören, «die absolut besten Skifahrer» zu sein. Das sieht der Schwingerkönig von 2019 ein bisschen anders: «Als Flachländer sind wir Gelegenheitsskifahrer. Da möchte ich jetzt nicht Gefahr laufen, mich zu verletzen.»
Die Alternative: Langlaufen. Cécile Stucki, 40, war als Schülerin zweimal in einem Camp, für Chrigu sind die «dünnen Latten», wie er sie nennt, absolutes Neuland. Das mag unter anderem daran liegen, dass es für ihn nicht ganz einfach ist, das passende Material zu finden – bei Schuhgrösse 52! Eine 51½ muss passen, mehr geht nicht. Das Problem sind dann allerdings nicht die Schuhe, sondern «die Balance zu halten». Aber Spass machen würde es schon, meint Stucki – «wenn es nicht so anstrengend wäre!» So wird Langlaufen wohl vorerst Céciles Ding bleiben.
Nicht, dass der König nicht fit wäre. Krafttraining gehört nach wie vor zu Stuckis Alltag. Vom Sägemehl kann er hingegen nur träumen. Da lediglich ein verschwindend kleiner Teil der Schwinger einen Profistatus hat («echte» Profis gibt es in dem Sport keine), ist den meisten das Training nicht erlaubt. Deshalb verzichten auch die Eidgenössischen- und Kranzfest-Sieger. «Wir wollen im Schwingsport keine Zweiklassengesellschaft schaffen», sagt Christian Stucki. Finanzielle Einbussen hat er bisher keine gehabt – «die Fans und Sponsoren sind sehr loyal». Sollte allerding noch eine Saison ausfallen, werde es kritisch. Auch körperlich.
«So lange Trainingsausfälle sind schwer aufzuholen. Gravierender allerdings ist das Mentale – es gibt kein Ziel, auf das man hinarbeiten kann.» So hat er vor einiger Zeit einen Brief an Sportministerin Viola Amherd geschrieben, um auf die Situation der Schwinger aufmerksam zu machen. Und hat tatsächlich eine Antwort bekommen – die Bundesrätin war sehr erfreut, einen Brief von einem Schwingerkönig zu erhalten. An der Situation hat sich allerdings nichts geändert.
So tummelt sich der Stucki Chrigu halt im Schnee statt im Sägemehl. Und sieht sich zwei erbarmungslosen Gegnern gegenüber: seinen Söhnen. Diese gehen übrigens mit dem Prominentenstatus ihres Vaters ganz locker um. Dass an der Talstation der Engstligenalp-Bahn ein Plakat mit seinem Gesicht hängt, ist für sie genauso normal, wie dass ihr Papi regelmässig von Wildfremden angesprochen wird. «Der ist halt berühmt», meint Xavier achselzuckend. «Er ist ein Wildfang, dauernd in Bewegung, nie gelangweilt, voller Ideen – in seinen Augen immer nur gute. In meinen so fifty-fifty», sagt Chrigu schmunzelnd über seinen Ältesten. Der Jüngere, Elia, sei «sozial und gutmütig. Er gleicht mir sehr, sowohl äusserlich als auch charakterlich.»
«Der Schwingsport boomt unter den Jungen. Schade, dass wir ausgebremst wurden»
Wegen der fehlenden Trainings war Chrigu in letzter Zeit an den Abenden vermehrt zu Hause. Seinem Teilzeitjob als Chauffeur konnte er tagsüber trotzdem nachgehen. Anfangs habe sie das sehr genossen, meint seine Frau, die in einem Notariatsbüro arbeitet. «Aber so langsam könnte er schon mal wieder was loshaben.»
Im Sommer habe er öfter im Garten gewerkelt, jetzt stehe er vermehrt mal in der Küche hinter dem Herd, so Christian Stucki. Cécile grinst: «Er ist unser Show-Koch. Er kocht hauptsächlich dann, wenn wir Gäste haben.» Dafür mache er dann von A bis Z alles, nicht nur den Grill anwerfen, betont Chrigu. Seine Spezialitäten: «Bodenständige Hausmannskost – und ein echt gutes Risotto.»
2020 sei ein komisches Jahr gewesen, sagt Stucki. «Der Schwingsport boomt, gerade auch unter den Jungen. Schade, dass wir da so ausgebremst wurden.» Auf der anderen Seite habe die Entschleunigung vom sonst so hektischen Alltag auch sein Gutes gehabt. «Und wir haben gesehen, wie wichtig Gesundheit ist.»
Das Fondue, das es im Iglu des Hotels Engstligenalp gibt, wo Stuckis dieses Wochenende wohnen, ist innert Rekordzeit weggeputzt. Schliesslich haben Xavier und Elia vor, die Zeit im Schnee noch richtig zu nutzen. Sie lieben vor allem das Snowtubing. Begeistert gleiten die beiden auf luftgefüllten Reifen über den Schnee. Chrigu und Cécile montieren derweil die Schneeschuhe und machen sich auf, die Gegend zu erkunden und den Kopf zu lüften. Ein bisschen Normalität wünsche er sich für den Rest dieses Jahr sagt Christian Stucki. «Was immer das auch heissen mag.»