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Die Reportage vom WEF 2024

Selenski erobert Schweizer Herzen

Er ist der Stargast am 54. Weltwirtschaftsforum in Davos: Wolodimir Selenski. Womit der ukrainische Präsident unseren Aussenminister Ignazio Cassis beeindruckt, wer mit heisser Schoggi um Sympathien wirbt und wo das WEF unschlagbar ist.

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Switzerland's Foreign Minister Ignazio Cassis (L) and Ukrainian president Volodymyr Zelensky (R) get ready for takeoff in a Super Puma Helicopter of the Swiss Air Force following Zelensky's arrival at Zurich airport in Kloten, on January 15, 2024. Zelensky is to attend the World Economic Forum in Davos starting on January 16, 2024. (Photo by ALESSANDRO DELLA VALLE / POOL / AFP)

Aussenminister Ignazio Cassis (l.) holt Wolodimir Selenski am Montag Mittag in Kloten ZH mit einem Super-Puma-Helikopter ab.

AFP

Vier Kinder halten ihre Handys hoch und filmen jedes Auto, das über die Davoser Promenade fährt. «Das isch er, dötta isch de Selenski dina!», ruft einer aufgeregt. Doch nein, es ist nur eine ganz normale Limousine.

Dienstag am WEF. Stargast ist der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (45). Da er am Abend nach seiner Rede im Kongresszentrum noch im Ukraine House erwartet wird, stehen nicht nur vier Jungs aus Davos mit ihren Handys am Strassenrand, sondern auch Hunderte WEF-Teilnehmer und Passanten. «Luag, jetzt kunnt no meh Polizei, krass», sagt einer der Jungs. Sie sind alle zehn Jahre alt und auf dem Weg nach Hause plötzlich in diese abgesperrte Zone geraten. Wegen Selenskis Sicherheitsmassnahmen bleibt einem nicht anderes übrig, als auf seine Ankunft zu warten. Nicht einmal, wenn man der Präsident von Moldawien ist und zum nächsten Meeting müsste. Die Polizisten, welche die Promenade sichern, sind schwer bewaffnet, wirken nervös und drängen die Menschenmenge durch Kommandos («Alli hina bis zur Kantonalbank!») und dann mit Absperrbändern zurück. Die Davoser Jungs stört es nicht. «Voll spannend» – «Wart, wia haisst de, wo sött koh, nomol gnau?»

DAVOS, 15.01.2024 - Der Ukrainische Präsident Wolodimir Selenski bei seiner Ankunft am Bahnhof Davos-Dorf. Das 54. World Economic Forum findet vom 15.-19. Januar in Davos mit mehreren tausend Teilnehmern statt. PHOTO BY PASCAL MORA

Seltener Einblick: In Davos Dorf angekommen, wechselt Selenski für die letzte Etappe seiner Reise vom Zug in die Limousine.

PASCAL MORA

«Ein unglaublicher Mensch»

Selenski. Sein Besuch in Bern und Davos begeistert die Schweizer Politiker. Bundesrat Ignazio Cassis (62) erzählt in Davos am Rande einer Veranstaltung, wie sehr ihn der ukrainische Präsident beeindruckt hat. «Er ist ein Beispiel für uns alle», sagt Cassis. «Ein unglaublicher Mensch, auf dem der Druck seiner Familie, seines Landes und der ganzen Welt lastet – und der im Zug nach Davos trotzdem auch mal lachen konnte.» Neu-Bundesrat Beat Jans (59) war bei dieser speziellen Fahrt von Bern nach Davos auch dabei. «Ich hatte den Eindruck, dass sich Selenski im Zug wohlfühlte», sagt Jans. «Für ihn war es eine kleine Verschnaufpause.»

Für Jans hingegen gehts wenige Wochen nach seiner Wahl schon richtig los. Vor über 20 Jahren war er schon mal am WEF, damals noch als Kritiker, der sich als Geschäftsmann verkleidete. Hat sich sein Blick auf das WEF seither so verändert? «Das WEF hat sich verändert!», so Jans. «Früher wusste niemand so recht, was hier oben passiert. Es war nicht öffentlich.»

epa11082505 King Philippe of Belgium and Queen Mathilde of Belgium, reacts during the 54th annual meeting of the World Economic Forum (WEF) in Davos, Switzerland, 16 January 2024. The meeting brings together entrepreneurs, scientists, corporate and political leaders in Davos under the topic 'Rebuilding Trust' from 15 to 19 January. EPA/LAURENT GILLIERON

Belgien-König Philippe spricht am WEF mit Ehefrau Mathilde, aber auch mit Selenski.

keystone-sda.ch

Doch trotz der Öffnung – seltsam ist das WEF auch heute noch. Zum Beispiel, wenn bei einer Veranstaltung das Geplauder im Eingangsbereich so laut ist, dass man gar nicht hört, worüber auf dem Podium gerade gesprochen wird. Oder wenn sich Meta alias Facebook bei den Besuchern Tag für Tag mit heisser Schoggi beliebt machen will. Oder wenn ein riesiger Schneehaufen vom Dach eines Hauses auf die Promenade fällt und nur durch Zufall keinen WEF-Teilnehmer trifft. Oder wenn man beim Anstehen vor dem WC eine Visitenkarte in die Hand gedrückt bekommt und realisiert, dass einem die gleiche Karte vor einem Jahr von der gleichen Person schon mal gegeben wurde. Oder wenn man hört, dass Ex-US-Vizepräsident Al Gore (75) in der Standseilbahn zum Berghotel Schatzalp von seiner Hüftoperation erzählt.

Kein Wunder, dass sich selbst geladene Gäste aus Politik und Diplomatie in Davos auch kritisch äussern: «High Society» und «Zirkus» heisst es dann. Doch bei der Effizienz sei das WEF halt schlichtweg nicht zu schlagen: Alle sind hier, also kann man alle treffen.

DAVOS, 16.01.2024 - Prinzessin Eugenie, fotografiert in den Strassen von Davos anlässlich des WEF 2024. Das 54. World Economic Forum findet vom 15.-19. Januar in Davos mit mehreren tausend Teilnehmern statt. PHOTO BY PASCAL MORA

«Hello there»: Prinzessin Eugenie, Enkelin der Queen, unterwegs auf der Davoser Promenade.

PASCAL MORA

Dieses Jahr sind vor allem viele Besuchende da, die keinen Zugang zum Kongresszentrum haben, sondern sich nur an den Nebenveranstaltungen tummeln. Überall ist ein grosses Gedränge und Gewarte – und meist wird dabei amerikanisches Englisch gesprochen.

Wer genau hinschaut, entdeckt auch britische Gäste. Zum Beispiel die beiden Schwestern Prinzessin Beatrice (35) und Prinzessin Eugenie (33). Die Enkelinnen der Queen kommen – im Gegensatz zu ihrem Cousin Prinz William früher – ohne Personenschutz aus. Eugenie ist da, weil sie mit ihrer Stiftung gegen moderne Sklaverei kämpft. Und Beatrice setzt sich für die Gleichstellung der Frauen ein. Beide sind zugänglich, freundlich und müssen schnell weiter – das nächste Meeting wartet.

DAVOS, 17.01.2024 - Prinzessin Beatrice, fotografiert auf der Promenade in Davos. Das 54. World Economic Forum findet vom 15.-19. Januar in Davos mit mehreren tausend Teilnehmern statt. PHOTO BY PASCAL MORA

«Nice to meet you»: Prinzessin Beatrice, Tochter von Prinz Andrew und Sarah Ferguson, ist am WEF ganz normal unterwegs.

PASCAL MORA

Amherd in der ersten Reihe

Derweil hält Selenski im Kongresshaus einen flammenden Appell an die politische und wirtschaftliche Elite: «Putin hat mindestens 13 Jahre des Friedens gestohlen und ihn durch Schmerz und Krisen ersetzt, die die ganze Welt betreffen.» Putin werde sich nicht ändern. «Wir müssen ihn zum Verlieren bringen.» 2024 soll zu einem «entscheidenden» Jahr werden, um den Krieg zu beenden. Selenski bestätigt, dass die Arbeit an der Organisation eines Weltfriedensgipfels in der Schweiz – auf den er sich mit Bundespräsidentin Viola Amherd verständigt hatte – begonnen hat. Amherd, die neben EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der ersten Reihe sitzt, nickt. «Obwohl er schon so lange im Krieg ist, hat Selenski eine solche Energie», sagt Amherd. «Er hat mich sehr beeindruckt.»

DAVOS, 15.01.2024 - Viola Amherd bei einer kurzen Pressekonferenz im Hotel Seehof in Bern. Das 54. World Economic Forum findet vom 15.-19. Januar in Davos mit mehreren tausend Teilnehmern statt. PHOTO BY PASCAL MORA

«Ein entscheidendes Jahr für die Beziehung Schweiz-EU»: Viola Amherd steht nach dem Treffen mit Ursula von der Leyen im Rampenlicht.

PASCAL MORA

Und die vier Jungs, die auf ihn warten? Sie können Selenski beim Aussteigen nicht sehen, dafür den schwarzen Mercedes, in dem er sitzt, und jede Menge Polizisten. Trotzdem sind sie froh, als die Blockade endlich aufgehoben wird.«Miar müend eba hai go Znacht essa», sagen sie – für heute haben sie genug vom WEF.

Lynn Scheurer von Schweizer Illustrierte
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Von Lynn Scheurer am 20. Januar 2024 - 07:00 Uhr