Wie stehe ich, wenn der Angriff von scharf links kommt? Was mache ich, wenn die Gegnerin mich überrascht? Wir treffen Diana Engetschwiler, 37, an ihrem Arbeitsort im Kraftwerk Zürich. Hier gibt es hippe Büros in Containern – und eine Halle, die nicht für Ballspiele gedacht ist, sich aber super dafür eignet. Vor allem, wenn die Gesprächspartnerin eine ehemalige Volleyball-Nationalspielerin ist. «Oh, ich freu mich! Legen wir los?»
Diana Engetschwiler ist es gewohnt, vor einem Match Annahmen und Verteidigungen im Kopf durchzuspielen. «Diese Visualisierungen wende ich auch im Berufsleben an», sagt sie. Einmal fuhr sie dafür sogar extra von Mailand nach Zürich – doch dazu später.
Präsentiert von
Digital Valley im Rahmen des Digitaltags
Engetschwiler ist keine Profisportlerin mehr, hat aber immer noch einen grossen Match pro Jahr: Die Baslerin organisiert zum vierten Mal den Digitaltag. Einen Grossanlass mit Ablegern in der ganzen Schweiz und 270 000 Besuchern. Sie wuchs in Riehen BS auf und lebt seit zehn Jahren in Zürich. Sieben Jahre lang spielte sie auf Profiniveau. Sie ist 1,62 Meter gross. «Wenn ich mit den Spielerinnen der Nationalmannschaft unterwegs war, hielten mich die Leute immer für eine Masseurin oder eine Wasserträgerin.»
Wie «Mila Superstar»
Als Neunjährige beginnt Diana mit Volleyball. Der Grund: die japanische Zeichentrickserie «Mila Superstar». «Die Hauptfigur war mein Vorbild. Ein Mädchen, das einfach nicht aufgibt.» Für Diana gibt es nur noch zwei Dinge in ihrem Leben: Schule und Volleyball. «Bis ich 27 Jahre alt war, habe ich keinen Schluck Alkohol getrunken.» Fokus, nennt Diana Engetschwiler das.
Dabei hätte sie ihre Sportkarriere eigentlich mit 13 aufgeben können. Sie wird als Talent erkannt und geht deshalb zu einem Arzt. Er soll ihre Handknochen messen und voraussagen, wie gross sie einmal wird. Die Prognose: 1,72 Meter. «Zu klein für eine Volleyballerin – aber ich machte trotzdem weiter!» Engetschwiler hat Glück, denn Ende der 90er-Jahre wird eine neue Position geschaffen, die sich auch für kleine Spielerinnen eignet. Der Libero ist Spezialist für Annahme und Abwehr. Perfekt für die wendige und reaktionsschnelle Engetschwiler. «Für Angriffe wäre ich definitiv zu klein», lacht sie.
Engetschwiler trainiert, trainiert – und macht nebenbei den Bachelor in Sportwissenschaften. Doch die Aussicht auf einen Job als Physiotherapeutin oder Sportlehrerin begeistert sie nicht. Sie bewirbt sich für den Fifa Master. Nach einem Jahr gibt es für die 30 Kandidaten drei Stellen bei der Fifa. Diana Engetschwiler will den Job unbedingt. Sie fährt von Mailand, wo sie gerade einen Teil des Studiums absolviert, nach Zürich, nimmt das Tram bis zum Fifa-Hauptgebäude, steht davor – und stellt sich ganz fest vor, dass sie den Job bekommt. Es klappt. «Natürlich habe ich vor dem Bewerbungsgespräch auch sehr viel recherchiert und meine Hausaufgaben gemacht.» Aber Engetschwiler ist überzeugt, dass die Visualisierung auch etwas zum Erfolg beigetragen hat.
Idendität als Sportlerin
Trotzdem ist ihr Start ins Berufsleben nicht ganz geradlinig. «Als ich mit 23 mit dem Volleyball aufhörte, brach ein Grossteil meiner Identität weg. Wer bin ich, wenn ich nicht Nationalspielerin bin?» Sie macht Praktika in diversen Ländern, reist zwischen ihren verschiedenen Stellen alleine durch Südamerika und Südostasien. «Es dauerte mehrere Jahre, bis ich meinen Weg fand.» Lehrgeld zahlte sie unter anderem, als sie mit gerade mal 25 einen Reha-Trainingsbetrieb leitet. «Die Mitarbeiter waren alle älter als ich. Im ersten Jahr ging es nur darum, Vertrauen zu schaffen – und gleichzeitig Respekt einzufordern.»
Diana Engetschwiler merkt, dass sie ihre im Sport gelernten Strategien nicht eins zu eins auf die Arbeitswelt übertragen kann: «Im Sport gibt man einander sehr direktes Feedback: Mach es nächstes Mal so und so! Als Sportlerin hörte ich von morgens bis abends nichts anderes, und ich war dankbar für die Kritik. Schliesslich wollte ich
ja besser werden!» Doch Engetschwiler merkt schnell, dass direktes Feedback nicht immer gut ankommt, viele Mitarbeiter ein Feedback gar nicht gewohnt sind. «Je nach Person ist ein analytischer oder ein empathischer Zugang richtig. Da habe ich in meinen Anfängen definitiv dazugelernt.»
Ihr Team bei Digitalswitzerland, knapp zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, setzt sie zusammen wie eine Volleyballmannschaft. «Es braucht Angreifer, das sind die Verkäufer, die gern direkt auf Menschen zugehen. Es braucht Passeusen, die koordinieren. Genauso wichtig ist der Block, der Gefahren abschätzen und abwehren kann. Und natürlich Verteidiger, die den Ball – oder das Projekt – retten, wenn es beinahe bachab geht.»
Austausch mit der Bevölkerung
Gemeinsam mit dieser «Mannschaft» stemmt Engetschwiler auch 2021 wieder den Grossanlass Digitaltag. Vor dem Digitaltag gibt es bereits während sechs Wochen verschiedene Angebote für die Bevölkerung. Konkret können die Besucher beispielsweise gemeinsam über künstliche Intelligenz diskutieren, lernen, wie sich Kinder im Internet schützen lassen oder wie man selbst ein Tiktok-Video erstellt. «Eine Mischung aus physischen und digitalen Events – alles gratis», sagt Engetschwiler. Digitalswitzerland sucht den Dialog mit der Bevölkerung und unterstützt deshalb als Teil der Jury die Schweizer Illustrierte bei der Suche nach dem «Digi-Tal 2021».
Digitalisierung kann auch Angst machen – Stichwort Jobverlust. «Zum Glück leben wir in einem Land, in dem man sich weiterbilden kann», so Engetschwiler. «Ich bin froh, wenn die Besucherinnen und Besucher des Digitaltags das Gespräch mit uns suchen.» Ein älteres Pärchen ist ihr in Erinnerung geblieben. «Es hatte eine ganze Liste an Fragen dabei und ging von einem Stand zum nächsten, um die Themen mit den Experten zu besprechen.»
Ziele auf dem «Vision Board»
Engetschwiler selbst lebt ziemlich digitalisiert. Sie hatte sogar schon einmal eine Verabredung in der virtuellen Realität. «Dabei zieht man eine Virtual-Reality-Brille an und erstellt einen Avatar von sich. Es war witzig!» Bücher liest sie aber gern in Papierform. Und der Sport (Krafttraining, Beachvolleyball und Stretching) gibt ihr ebenfalls Auszeiten von der digitalen Welt.
Ebenfalls ganz analog: ihr Vision-Board. Auf diesem Poster sammelt sie Bilder von Zielen, die sie in Zukunft erreichen möchte. Private wie berufliche. «Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Es geht direkt ins Unterbewusstsein.» Und wenn es mit den ehrgeizigen Zielen trotzdem mal hapert, denkt Engetschwiler an die Spiele zurück, in denen sie einen Ball schlecht angenommen oder einen Pass vergeigt hat. «In diesem Moment darf ich mich nicht verstecken. Ich muss mir sagen: Jetzt erst recht! Also her mit dem Ball!»