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  4. Sängerin Sina und Kabarettist Bänz Friedli über die Zeit und Musik
Eine Frage der Zeit

Sina und Bänz Friedli in kreativer Symbiose

«Keine Zeit, aber ich nehme sie mir»: Als Sina den Kaba­rettisten Bänz Friedli für einen Liedtext ­anfragt, ist der Berner Autor sofort dabei. Die Walliser Mundartsängerin widmet der Zeit mit all ihren Facetten ein ganzes Album.

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Sina, Mundart-Sängerin und Liedermacherin, Album Release 'ZIITSAMMLÄRI', im Grandhotel Giessbach mit Bänz Friedli, 31. August 2022, Brienz

Sina und Bänz Friedli: Ihr gemeinsames Lied «Fär wer soll i singu?» handelt von jemandem, der Demenz hat. Nur die Musik bringt Erinnerungen zurück.

Fabienne Bühler

Das Hotel Giessbach oberhalb des Brienzersees wirkt wie aus einer anderen Zeit. Hier haben Mundartsängerin Sina (56) und ihr Team in einer Woche 15 Lieder fürs neue Album aufgenommen. «Die Zeit stand still. Wir konnten Dinge geschehen lassen», sagt die Walliserin. Die Liedtexte stammen unter anderem von Sibylle Berg und Franz Hohler. Mit Autor Bänz Friedli (57) schrieb Sina gar zwei Texte für ihr Album «Ziitsammläri», das am 23. September erscheint.

«Sina war die erste Frau im Mundartpop»

Autor Bänz Friedli
Sina, Mundart-Sängerin und Liedermacherin, Album Release 'ZIITSAMMLÄRI', im Grandhotel Giessbach mit Bänz Friedli, 31. August 2022, Brienz

Im Hotel Giessbach aus dem Jahr 1873 steht für Sängerin Sina die Zeit still. Hier hat sie ihr neues Album «Ziitsammläri» aufgenommen.

Fabienne Bühler

Wann haben Sie beide sich kennengelernt?
Bänz Friedli: Das weiss Sina nicht!
Sina: Das fängt ja gut an! Wir haben entweder völlig verschiedene Geschichten im Kopf, oder nur jemand von uns kann sich wirklich erinnern.
Friedli: Im Radio musstest du neulich wahre und falsche Behauptungen aufstellen. Eine war, ich hätte dir im Vollsuff meine Liebe gestanden.

Also Fan-Liebe?
Sina: Die Behauptung war erfunden. Aber als Katholikin hätte ich ihn natürlich geheiratet! (Lacht.)
Friedli: Heute Morgen habe ich nachgeschaut: Wir haben 25-Jahre-Jubiläum. 1997 schrieb ich eine grosse Story über dich im Magazin «Facts». Ich war berüchtigt, Schweizer Musiker zu «massakrieren». Aber das war eine pure Liebeserklärung.
Sina: Ist das wahr?
Friedli: Ich schrieb: «Endlich hat die Schweiz ihren ersten weiblichen Popstar». Sina war die erste Frau im Mundartpop, damals ein reiner Mackerklub. Wir hatten ein Interview in Thalwil, danach besuchte ich deine Show in Zermatt. Ich weiss noch, dass eine lesbische Frau eigens aus Zürich angereist war, weil sie «Damuwahl» einen tollen Song fand, und Pirmin Zurbriggen holte sich ein Autogramm. Du hast etwas Verbindendes, bist fürs Land eine Integrationsfigur.

 

«Wenn mich die Musik umarmt, bin ich in einer Art Zwischenwelt»

Sängerin Sina
Sina, Mundart-Sängerin und Liedermacherin, Album Release 'ZIITSAMMLÄRI', im Grandhotel Giessbach mit Bänz Friedli, 31. August 2022, Brienz

War früher alles besser? «Nein», sagen beide. «Das Hirn erinnert nur das Schöne, das verfälscht die Wahrheit», so Sina.

Fabienne Bühler

Sind Sie sich dessen bewusst?
Sina: Ich hatte, seit ich acht Jahre alt war, nur einen Plan: Musik machen. Und Musik allein verbindet ja enorm. Dann war ich immer schon gern in Kontakt mit andern. Dass man im Musikbusiness auch das eine oder andere Krokodil antrifft, habe ich dann später erfahren.

Für Ihr neues Album «Ziitsammläri» haben Sie Autoren wie Bänz Friedli gefragt, was sie mit der noch verbleibenden Zeit vorhaben.
Mich hat ihr Blick auf die Zeit interessiert. In der Pandemie baumelte das Zeit-Thema buchstäblich vor der Nase. Gut die Hälfte meiner Lebenszeit liegt hinter mir. Was bleibt, ist die Musik. Ich habe früher gesagt, dass ich mich im Alter von 90 mit einer Wärmedecke und einem Glas Abricotine auf der Bühne sehe. Da bin ich mir nicht mehr sicher.
Friedli: Mou!

«Ich muss nicht mehr dazugehören. ‹Bänz Friedli hat die Gruppe verlassen›»

Kabarettist Bänz Friedli
Sina, Mundart-Sängerin und Liedermacherin, Album Release 'ZIITSAMMLÄRI', im Grandhotel Giessbach mit Bänz Friedli, 31. August 2022, Brienz

Im Fluss bei den Giessbachfällen: Sowohl Sina wie auch Bänz Friedli haben in Bewegung die besten Einfälle.

Fabienne Bühler

Wie siehts bei Ihnen aus, Bänz Friedli?
Ich empfinde schon jetzt alles als Geschenk, was noch kommt. Das ist die Gelassenheit des Fünfzigwerdens. Ich muss nichts mehr, ich darf nur noch. Aber fragen Sie mich, wenn ich in zehn Jahren nicht mehr snowboarden kann.

Konkreter?
Friedli: Ich muss nicht mehr dazugehören. À la: Bänz Friedli hat die Gruppe verlassen.
Sina: Ich kann sicher meine Zeitnutzung noch optimieren. Vielleicht liegt es auch an meiner Familiengeschichte oder daran, dass während der Pandemie Freunde und Familienmitglieder gestorben sind. Das sensibilisiert schon für die noch verbleibende Zeit und wie ich sie nutzen will. Mir gibt die Zeit Gelassenheit und Lebenserfahrung. Aber sie nimmt auch: Sie frisst Lebenszeit, nimmt Kraft und mir zum Teil Erinnerungen. Damit habe ich Mühe. Wieso habe ich aufgehört, aufzuschreiben, aufzuzeichnen? Die Geschichten meiner Familie habe ich auf Band. Meine eigene hab ich zum Teil vergessen.

«Zum Glück richtet sich Selbstoptimierung mit der Zeit auch nach innen»

Sängerin Sina

Gemeinsam haben Sie «Fär wer soll i singu?» geschrieben. Bänz Friedli, Sie waren 30 Jahre Musikredaktor. Wars einfach?
Natürlich nicht! Die Knappheit eines Songs – je weniger er erzählt, desto mehr Geheimnis wahrt er, desto mehr Raum bleibt für die Imagination. Für mich, der sich nicht kurzfassen kann, eine Herausforderung.
Sina: Auch ich reibe mich daran, wie ich kompakt sein und trotzdem noch Dinge offen lassen kann. Dafür brauche ich ewig!

«So hinnärna dri» ist das zweite Lied von Ihnen beiden. Je mehr Zeit gespart wird, desto mehr Stress gibts.
Friedli: Wenn ich denke, was früher ein Waschtag hiess und was heute ein Schnellgang ist. Die meisten Menschen haben das Grundgefühl «Ich habe keine Zeit». Dabei müssen wir uns diese nehmen. Ein Kollege hat mich einst erwischt: «Hast du keine Zeit, oder nimmst du sie dir nicht?» Als Sina mich um ein Lied bat, dachte ich: Keine Zeit, aber du nimmst sie dir!

Sina, Mundart-Sängerin und Liedermacherin, Album Release 'ZIITSAMMLÄRI', im Grandhotel Giessbach mit Bänz Friedli, 31. August 2022, Brienz

Ihre Lebenszeit will Sina bewusst nutzen. Bänz Friedli findet: «Solange der Kopf noch tut, ist alles, was kommt, ein Geschenk.»

Fabienne Bühler

Was wäre, wenn man Zeit sammeln könnte?
Sina: Ich finde schon, dass man sie sammeln kann, wenn man im Moment ist. Das kann ich heute viel besser. Früher hatte ich sogar während einer Massage das Gefühl, die Masseuse bespassen zu müssen.
Friedli: Man muss loslassen können. Vor allem, da die Generation unserer Eltern stirbt. Es hat auch sein Gutes: Wenn du loslässt, lebst du intensiver im Jetzt.
Sina: Oder die andere Sichtweise: Nutz die Zeit! Damit kommt aber halt auch der Stress, weil man so viel reinpacken will.

Wann steht die Zeit still?
Sina: Wenn etwas passiert im direkten Austausch mit jemandem, wenn mich die Musik umarmt, ich mich langsam aufzulösen beginne, dann bin ich in einer Art Zwischenwelt.
Friedli: Mein Wesen ist dummerweise so, dass ich mich ständig im Moment verliere …
Sina: … das ist doch schön …
Friedli: … und dann stresse ich auf den nächsten Zug. Stillstehen tut die Zeit, wenn ich ganz bei mir bin, ob auf dem Rennvelo, dem Snowboard oder allein in einer fremden Stadt.

Sina, Mundart-Sängerin und Liedermacherin, Album Release 'ZIITSAMMLÄRI', im Grandhotel Giessbach mit Bänz Friedli, 31. August 2022, Brienz

Bewegung ist beiden wichtig. Sina schwimmt und walkt, Bänz Friedli «tschuttet», fährt Velo und Snowboard.

Fabienne Bühler

Zeit ist einerseits abstrakt, andererseits am Körper ersichtlich. Davon handelt «Händ».
Sina: Autorin Bettina Spoerri hat das Leben der Hände für meinen Song schön beschrieben. Zuerst lernen Hände Schuhe binden, irgendwann sind sie mit blauen Adern durchzogen. Und man staunt, wie schnell das Leben vergeht.
Friedli: Hände zeigen das Wahre. Sie verraten das Alter von Superoperierten, auch von Madonna.
Sina: Ich finde, in der Öffentlichkeit zu altern, ist eine Herausforderung. Ich würde gern sagen, dass mich mein Doppelkinn oder die Augenringe nicht stören. Natürlich will ich mich im besten Licht zeigen. Zum Glück richtet sich Selbstoptimierung mit der Zeit auch nach innen. Irgendwann verblühst du halt äusserlich, und dann hilft es, wenn du dich auch um dein Inneres gekümmert hast.
Friedli: Ich mag Pfingstrosen sehr. Kurz bevor sie zerblättern, im Verfall, sind sie am schönsten. Aber mein Respekt an euch Frauen im Showbiz! Wir Jungs haben da weniger Stress. Clint Eastwoods Furchen gelten als imposant, Frauen dürfen nicht altern. Dabei ist Sängerin Emmylou Harris mit ihren weissen Haaren so schön! Gerade weil sie natürlich altert!

Wo sehen Sie an sich Spuren des Alters?
Sina: Ein Make-up-Artist sagte mir: «Bevor du die Fotos machst, halte zwei Minuten die Hände in die Höhe, damit das Blut wegfliesst. Dann sieht man die Adern nicht, und deine Hände sehen jünger aus.» Aber was stört mich an mir? Bänz, sag du zuerst.
Friedli: Nüt. Mir hat vor langer Zeit eine Shiatsu- Frau gesagt: «So chli Tränesäck ghöre zu dir, suscht hätsch s ja nöd.» So einfach. Auf Fotos sehe ich mir den älteren Mann an. Aber ehrlich: Wenn du in unserem Alter nicht im Reinen mit deinem Äusseren bist, hast du was falsch gemacht. Ich fühle mich geistig viel jünger, sprich freier als mit 20.
Sina: Mein Körper hat mich schon mehrmals gegroundet. Bis ich dann wieder auf den Füssen stehe, dauert es oft länger. Dies auszuhalten, ist schwer für mich.

Färben Sie die Haare?
Sina: Ja, mit Erfolg. Du nicht, Bänz?
Friedli: Ich habe viele graue Haare.
Sina: Du färbst! Ich sehe kein graues Haar an dir.
Friedli: Auä. Ich habe nur einen guten Farbton.
Sina: Ich färbe seit Langem, begann schon mit 25 zu ergrauen. Das willst du als junger Mensch nicht.
Friedli: Fürs nächste Album bleibst du grau!
Sina: Emmylou Harris, ich behalts im Hinterkopf.

Von Aurelia Robles am 13. September 2022 - 09:38 Uhr