Wenn du schnell Ski fährst, verstehst du nicht, weshalb die anderen nicht so schnell fahren. Weil es sich so leicht anfühlt.» Gestatten: der Blickwinkel eines Weltklasse-Athleten, der von Erfolg zu Erfolg schwebt. Es ist allerdings nicht Marco Odermatt selbst, der das sagt. Der meint nach seinem atemberaubenden Riesenslalom-Sieg in Adelboden: «Ich habe auch keine Worte mehr.»
Kjetil Andre Aamodt schwärmt
Glücklicherweise befindet sich unter den 24 000 Zuschauern am Fusse des Chuenisbärgli auch eine Handvoll, die das Gefühl von Siegesserien kennt – und noch Worte findet. Kjetil André Aamodt zum Beispiel, der Norweger, der 20 Medaillen von Grossanlässen heimbrachte und von dem das Einstiegszitat stammt. Der 51-Jährige schwärmt vom Mut des Saisondominators, von der Aggressivität, mit der sich dieser auf die Strecken stürzt. «Aber man sieht sie ihm nicht an, weil er wie eine nette Person aussieht, so nette Augen hat. Er lächelt.» Aamodt vergleicht Odermatt mit Hermann Maier, dem man die Aggressivität aber angesehen habe, sagt der Norweger und verzieht das Gesicht zur Demonstration.
«Man sieht ihm seine Aggressivität nicht an, weil er so nette Augen hat. Er lächelt»
Kjetil Andre Aamodt
Odermatts brillante Fahrkünste bringen Hermann Maiers Weltcup-Punkterekord (2000) diese Saison ins Wanken. Und Odermatts Persönlichkeit die Schweiz zum Schunkeln. Gefühlt mehrere tausend Mal habe der 25-Jährige seinen Namen in Adelboden gehört, «das ist schon speziell». Sein Spitzname Odi taugt anders als «Cuche» oder «Feuz» halt aber auch wirklich perfekt zum klangvollen Mitjohlen; an einem Skirennen nicht ganz unwichtig. Während «Hulapalu» von Andreas Gabalier – einem Österreicher! – mit seinem «Hodiodiooodiooodiee» im Refrain längst zur Hymne zu Odermatts Aufstieg wurde, kriegt der Nidwaldner nun sein eigenes Lied: «Go Odi Go» von Volxrox: «Bärestarch und schnäu wine Pfiu. Gsehsch di Schwizerfahne im Ziu?»
Kommt nun der Lauberhorn-Sieg?
Mitten in diesem Fahnenmeer steht nochmals einer, der wissen muss, wie sich dieser Ritt anfühlt: Mike von Grünigen mit seinen 23 Riesenslalom-Weltcupsiegen (Odermatt: 10). «Technisch und physisch sind alle auf einem sehr hohen Niveau. Wo sich entscheidet, ob du vorne bist, ist vom Hals aufwärts», sagt der 53-Jährige. «Das sieht man bei Marco, er strahlt das aus. Bringt das natürlich auch seit der Jugend mit, wie er aufgewachsen ist in diesem normalen, bodenständigen Umfeld. Das merkt man daran, wie er sich auf der Piste verwirklicht.» Dass er das Gesamtpaket mitbringt, empfindet von Grünigen als Glücksfall «für den Sport, den Weltcup, Swiss-Ski. Das Volk hat ihn einfach gern.» Gut möglich, dass wir am kommenden Wochenende am Lauberhorn Marcos ersten Abfahrtssieg bejubeln können.
Es ist noch nicht lange her, da sprach man von einem anderen möglichen Gesamt-Weltcupsieger: Loïc Meillard (26) für den Schweizer Riesenslalom-Trainer Helmut Krug «von der Gabe, der Beweglichkeit, der Technik her der beste Skifahrer der Welt». Was eben nicht gleichbedeutend mit dem schnellsten der Welt ist, wie die vergangenen zwei zähen Saisons zeigten. Odermatt und Meillard trainierten jahrelang zusammen, pushten sich, das Team wuchs eng zusammen; die Umarmung im Zielraum zwischen den beiden nach dem gemeinsamen Riesenslalom-Podium spricht Bände. Tags darauf verpasst Meillard das Treppchen bloss um eine Hundertstelsekunde. Dennoch: Nun läufts dem Walliser rund – drei Podeste in drei Disziplinen fuhr er diesen Winter heraus. Das überrascht seine Mitstreiter aus dem Slalomteam nicht. «Er fuhr seit Juli praktisch alle Trainingsbestzeiten», hält Daniel Yule (29) fest. Er selbst hat vor drei Jahren in Adelboden gewonnen, als erster Schweizer seit 13 Jahren. Es war damals eine grandiose Saison für ihn, und so kennt auch er das Gefühl der Leichtigkeit, wenn Erfolg um Erfolg kommt. «Ich wusste: Einfach die Stöcke runter, dann bin ich schnell.»
«Marco ist ein Glücksfall für den Sport, den Weltcup. Das Volk hat ihn gern»
Michael von Grünigen
Odermatt selbst spielt in dieser Hinsicht übrigens den Spielverderber. «Einfach ist es definitiv nicht», sagt der Hauptdarsteller dieses Winters; jedes Training und jeder Tag seien eine Challenge, es müsse so viel zusammenpassen. Das ist bestimmt korrekt. Und dennoch vermitteln die 11 Podiumsklassierungen in 13 Saisonrennen, das Strahlen, die Sprüche, die Jubelschreie eine Leichtigkeit, die nicht nur ausgesprochene Skifans ansteckt. «Steisch im Starthuus parat, der Sieg im Visier. Die ganzi Nation hinger dir», heisst es im neuen Odi-Song. Und was sagt der Besungene zur Hymne? «Wenn die Fans Freude haben, habe ich auch Freude.» Und Kjetil André Aamodt zur Frage, was das Faszinierendste an Odermatt sei: «Die ständigen grünen Lichter im Ziel.» Manchmal ist es eben doch ganz einfach.