Den Himmel und die Hölle wird Tina Weirather vermissen. Die Emotionen im Sport, weil dieser einen innert weniger Stunden, ja Minuten, vom Thron ins Elend fallen lassen kann. Weirather hat in ihrer Skikarriere beides zur Genüge erlebt: Den Himmel, indem sie alles gewinnt, was sie sich vorgenommen hat: eine Olympia-Medaille. Eine WM-Medaille. Weltcupsiege in drei Disziplinen. Zwei Kristallkugeln. Und die Hölle erst: sieben Knie-Operationen noch vor ihrem 21. Geburtstag.
Weirather war eine Athletin, die komplett für den Skisport lebte. Als Kind zieht sie beim Mittagessen zu Hause nicht mal die Skischuhe aus, um keine Zeit auf der Piste zu verlieren. Als Profi arbeitet sie ständig an sich. «Das ist zwar intensiv, aber ich habe es geliebt. Für immer kann man das jedoch nicht machen», sagt die 30-Jährige im Gespräch nach ihrem Rücktritt, per Videotelefon aus ihrer Wohnung in Vaduz.
Sie hat gespürt, dass sie bereit ist für etwas Neues. Nun fühlt sich die sonst so energiegeladene, fröhliche Liechtensteinerin müde und ausgelaugt. Was sie aber auch der momentanen Situation zuschreibt. «Das Isoliertsein schlägt aufs Gemüt. Eigentlich wollte ich nach dem Rücktritt erst mal Party machen und Reisen.»
Die Tochter der früheren Skistars Hanni Wenzel, 63, und Harti Weirather, 62, lässt sich Zeit mit der Entscheidung, was ihre berufliche Zukunft bringt. Ihre Interessen sind vielseitig, sie ist momentan offen für alles. Wichtig ist ihr, dass sie dabei etwas bewegen oder jemanden inspirieren kann. Dass sie etwas findet, das sie gleichermassen erfüllt wie das Skifahren, glaubt sie jedoch nicht. «Du kannst einen Kindheitstraum nicht mit etwas vergleichen, das du mit 30 Jahren beginnst.»
Mit einigen ihrer Partner und Sponsoren spannt sie weiterhin zusammen, und sogar mit ihrem Freund Fabio Nay, 31, plant sie schon gemeinsame berufliche Projekte. Der Bündner war lange Radiomoderator bei SRF3, seit Ende 2019 aber ist er mit einem Kollegen im Bereich Social Media Content selbstständig.
Da Nay nun nicht mehr an Zürich gebunden ist, wohnen die beiden ab April gemeinsam in Vaduz. Seit Sommer 2017 sind sie ein Paar, und es hat von Anfang an gepasst. «Ich glaube, er hat unterschätzt, auf was er sich eingelassen hat, aber ganz gut durchgehalten», scherzt Weirather. Damit meint sie das Leben einer Spitzensportlerin, das noch viel mehr verlangt, als die Öffentlichkeit wahrnimmt.
Weirathers Leben war genau strukturiert, jedes Detail auf den Erfolg abgestimmt. «Ich war ziemlich verbissen. Nun kann ich den Gedanken, dass sich immer alles um Leistung dreht, mal gehen lassen.» Sie will mit ihren Gottekindern Zeit verbringen oder einfach mal ihre ehemalige Skikollegin Nadja Kamer, 33, zum Znacht besuchen. Das hat sie bisher ganz einfach nicht gemacht. «Auf diese Freiheit im Kopf freue ich mich.»
So schnell wird die 41-fache Podestfahrerin den Ehrgeiz allerdings nicht los: Beim Golfen träumt sie von einem Single-Handicap. Mit Nay kauft sie zudem einen VW-Bus, um gemeinsam die neue Freiheit zu geniessen. Heute und morgen noch kein Thema hingegen ist die Familienplanung. «Ich habe nicht vor, so bald schwanger zu werden.»
Das Reisen hat Weirather, die oft mit den Schweizerinnen trainierte, auf nach der Corona-Krise verschoben. Als Sportlerin hat sie eher stationäre Ferien gemacht: Strandhotel und stundenlanges Kitesurfen. Nun möchte sie die Welt entdecken, «wie sie richtig ist». Asien reizt sie dabei besonders, aber ein Plan ist auch, gemeinsam mit Unicef zu schauen, ob sie sich bei gewissen Projekten einbringen kann.
Tina Weirather freut sich auf alle Möglichkeiten, die jetzt kommen. Angst hat sie keine. Ob sie wirklich jetzt zurücktreten soll – nach einer mässig erfolgreichen Saison und den abgesagten Rennen zum Schluss –, das hat sie lange überlegt. Nun aber weiss sie, dass es gut ist, wie es ist. Dass zwar das Ende nicht märchenhaft war, ihre Karriere aber schon. «Ich schaue zurück und habe ein Grinsen im Gesicht.»