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Jasmine Flury im Interview

«Skifahren ist ein Risikosport»

Hoch-Ybrig statt Saalbach. Jasmine Flury arbeitet am ­Comeback. Die Knieverletzung hilft der amtierenden Weltmeisterin, ihre Goldmedaille von 2023 richtig einzuordnen.

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«Corinne Suter ist eine gute Freundin. Es ist schön, dass man sich im Ski­zirkus jemandem anvertrauen kann.»

«Corinne Suter ist eine gute Freundin. Es ist schön, dass man sich im Skizirkus jemandem anvertrauen kann.»

Kurt Reichenbach

Hoch-Ybrig SZ. Strahlender Sonnenschein. Schon fast Frühlingstemperaturen. Jasmine Flury kehrt bestens gelaunt von ihrer morgendlichen Trainingssession zurück und setzt sich lachend auf der Terrasse des Restaurants Fuederegg auf eine lange Holzbank. Die 31-jährige Bündnerin aus Monstein bei Davos arbeitet nach einer langwierigen Knieverletzung auf ihr Comeback hin. Doch eigentlich wäre sie viel lieber an einem anderen Ort – an den Weltmeisterschaften im österreichischen Saalbach, wo sie in der Frauenabfahrt als Titelverteidigerin gesetzt wäre.

Jasmine Flury, was machen Sie am Samstag, wenn um 11.30 Uhr die WM-Abfahrt der Frauen beginnt?

Das habe ich mir noch nicht so genau überlegt. Ganz sicher verfolge ich das Rennen aber am Fernsehen – und drücke den Schweizerinnen die Daumen.

Mit welchem Gefühl schauen Sie die Rennen, wo Sie doch selber am Start sein sollten?

Wie es bei der WM-Abfahrt wird, kann ich nicht sagen. Lange machte es mir nichts aus. Ich schaute gern zu, fieberte mit – und es war sehr spannend, die Wettkämpfe aus anderer Perspektive zu verfolgen. Doch mit den letzten Speedrennen vor der WM hat sich dies geändert. Plötzlich war es nicht mehr einfach abseitszustehen.

Als Titelverteidigerin hätten Sie einen Startplatz auf sicher. Wie gross ist der Frust, dass Sie diese Chance nicht wahrnehmen können?

Von Frust möchte ich nicht sprechen. Man sagte mir früh, dass bei meiner Verletzung Rekonvaleszenzzeit und Wiederaufbau lange dauern. Gleichzeitig wusste ich auch: Theoretisch könnte die WM-Teilnahme möglich sein. Deshalb war dies meine Motivation, aber nicht mein Ziel. Ich sagte mir von Beginn weg: Das grosse Ziel sind die Winterspiele 2026 in Cortina.

Sie leiden an einem Knorpelschaden im Knie. Das tönt nach einer komplizierten und langwierigen Verletzung. Seit einem Jahr müssen Sie pausieren. Wie nah ist das Comeback?

Mein Knie ist okay, aber noch nicht dort, wo es sein soll. Ich brauche weiterhin Geduld. Momentan ist das Comeback noch weit weg. Ich könnte zwar eine Rennstrecke herunterfahren, aber nicht so, wie ich es will und wie ich im gesunden Zustand dazu in der Lage wäre. Deshalb macht es für mich keinen Sinn, etwas zu erzwingen. Wenn ich fahre, muss ich mich zu 100 Prozent wohlfühlen. Aber so weit bin ich noch nicht.

Das Tempo im Blut: Jasmine Flury gibt Gas. Auf dem Schneetöff fällt ihr dies leicht. Auf den Ski muss sie dosiert beschleunigen.

Das Tempo im Blut: Jasmine Flury gibt Gas. Auf dem Schneetöff fällt ihr dies leicht. Auf den Ski muss sie dosiert beschleunigen.

Kurt Reichenbach

Die Verletztenliste im Skizirkus ist lang – allein aus der Schweiz sind sieben Fahrerinnen und Fahrer mit Knieproblemen out. Ist Skisport als Wettkampf überhaupt noch zumutbar?

Skifahren ist ein Risikosport. Ich denke nicht, dass die Anhäufungen von Verletzungen heute viel grösser sind als früher. Da momentan diverse prominente Fahrerinnen und Fahrer davon betroffen sind, hat man vielleicht das Gefühl, dass es schlimmer ist. Aber es liegt in der Natur des Spitzensports, dass man als Athlet stets schneller werden möchte. Unsere Sportart entwickelt sich auf allen Ebenen weiter – vom Material bis hin zu den Pisten. Wo genau man ansetzen muss, ist schwierig zu sagen. Ich persönlich bin der Meinung, dass man etwas machen sollte – aber die Lösung habe ich nicht parat.

Als Jasmine Flury im Februar 2023 bei der WM in Méribel in Frankreich an den Start ging, standen die Vorzeichen schlecht: Die Bündnerin hatte in der Woche zuvor krank im Bett gelegen. Doch mit Startnummer 2 gelang ihr in der Abfahrt das Rennen ihres Lebens. Erst zweimal war die damals 29-Jährige zuvor im Weltcup auf dem Podest gestanden, 2017 im Super-G von St. Moritz zuoberst. Mitte Dezember 2023 feierte Flury in Val d’Isère ihren ersten Weltcupsieg in der Abfahrt.

Sprechen wir über etwas Schöneres – Ihren WM-Titel vor zwei Jahren in Méribel. Welche Gefühle kommen hoch, wenn Sie daran zurückdenken?

Momentan ist das Erlebnis sicher wieder präsent. Die Videos und Bilder werden gezeigt – die Erinnerungen werden intensiver. Es ist sehr schön, darauf zurückzublicken. Mittlerweile kann ich diesen Sieg für mich richtig einordnen.

Und wie ordnen Sie ihn ein?

Dieser Titel wird mich ein Leben lang begleiten. Zudem hat er einen speziellen Platz in meinem Herzen. In der darauffolgenden Saison war mir wichtig, den Erfolg zu bestätigen, nicht zuletzt wegen des neuen Materials (Flury wechselte von Fischer zu Kästle / Anm. d. Red.). Als ich die Ab- fahrt von Val d’Isère gewann, war dies eine grosse Genugtuung.

Was hat die Goldmedaille in Ihrem Leben verändert?

Ich erhielt auf einen Schlag viel mehr Aufmerksamkeit. Und auch das Interesse der Sponsoren erhöhte sich. Für mich persönlich war es eine Bestätigung für die ganze Arbeit, die ich in den vorhergegangenen Jahren geleistet hatte. Alle träumen davon, einen solchen Titel zu gewin- nen – so war es auch bei mir. Als es dann aber so weit war, wirkte es zuweilen fast surreal. In einem Moment der Ruhe fragte ich mich: Bin ich das wirklich? Es kommt in einer solchen Phase vieles auf einen zu. Aber ich denke, dass ich es gut gemeistert habe.

Jasmine Flury

Die Bündnerin stammt aus dem kleinen Walser Dörfchen Monstein bei Davos. Im Alter von drei stand sie erstmals auf Ski. Mit 24 gewann sie ihr erstes Weltcuprennen. Sechs Jahre später holte sie WM-Gold. Eine Knieverletzung zwingt die 31-Jährige derzeit zur Pause.

Hatten Sie etwas anderes erwartet?

Ich hatte Respekt vor den erhöhten Ansprüchen der Öffentlichkeit. Als ich im Dezember 2017 den ersten Weltcupsieg feierte, war ich in gewissem Sinne von diesem Ereignis überfordert. Damals ging ich nicht gut mit der Situation um. Ich setzte mich selber zu stark unter Druck – und verlor den Faden. Rückblickend kann ich sagen: Damals bin ich an dem Druck, den ich mir selbst aufgesetzt hatte, zerbrochen. Aber exakt diese Erfahrung hilft mir nun.

Mit Corinne Suter und Lara Gut-Behrami verfügt die Schweiz über herausragende Athletinnen. Wie geht man im Team miteinander um? Sind Freundschaften im Spitzensport möglich?

Letztlich sind es gleichzeitig Kolleginnen und Gegnerinnen. Bei Corinne ist es anders: Sie ist eine gute Freundin. Wir verbringen das ganze Jahr viel Zeit miteinander, sind ständig zusammen unterwegs. Da ist es schön, dass man jemanden hat, dem man sich anvertrauen kann.

Wie sehr vermissen Sie es, mit dem Team unterwegs zu sein?

Phasenweise sehr stark – gerade beim Saisonstart, als alle nach Nordamerika flogen. Gleichzeitig musste ich mir eingestehen, dass ich nicht in der Verfassung war, um dort dabei zu sein. Ich habe zu Hause ein Umfeld, das mir extrem wichtig ist. So konnte ich Zeit mit Kolleginnen und Kollegen verbringen, die ich im Winter sonst nicht oft sehe.

Gold und Bronze fürJasmin Flury und Corinne Suter an der WM 2023 in Meribel. «Wir sind beste Freundinnen!»

Gold und Bronze fürJasmin Flury und Corinne Suter an der WM 2023 in Meribel. «Wir sind beste Freundinnen!»

AP

Kann man als Skirennfahrerin überhaupt Freundschaften ausserhalb des Sports pflegen?

Unbedingt! Meine Freunde sowie meine Familie stehen ohne Wenn und Aber hinter mir, für sie bin ich einfach Jasmine. In Monstein (einem kleinen Dorf in der Nähe von Davos) kann ich richtig zu Ruhe kommen. Natürlich würde ich am liebsten Rennen fahren. Aber es war auch schön, zu Hause zu sein – und ohne Zeitdruck neue Kraft zu tanken.

Haben Sie als verletzte Sportlerin Existenzangst?

So weit würde ich nicht gehen. Aber Zweifel gibt es immer. Sei es durch einen gesundheitlichen Rückschlag oder fehlende Fortschritte im Training. Die Schwierigkeit bei meiner Verletzung ist, dass es keinen Fahrplan gibt. Ich musste immer wieder mit den Therapeuten herausfinden, was möglich ist – und was zu viel. Das war eine Challenge.

Schauen wir nach Saalbach. Was macht den Erfolg der Schweizerinnen und Schweizer derzeit aus?

Es ist fast unglaublich, wie konstant gut das ganze Team fährt – das sehe ich jetzt, wenn ich es aus einer gewissen Distanz verfolge. Man darf es aber nicht als normal betrachten. Denn es braucht so viel, dass man als Kollektiv eine derartige Dominanz entwickeln kann. Im Moment passt so vieles zusammen, dass es wie automatisch geht: die Fahrerinnen und Fahrer, die Trainer, Physios, Serviceleute, die Verbandsführung. Alle machen einen Superjob. Und man kennt sich. Es stehen in vielen Positionen schon lange dieselben Leute in der Verantwortung. Das geht durch alle Stufen hindurch: von Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann über Leistungssportchef Hans Flatscher bis in die Trainingsgruppen. Jede und jeder hat den passenden Platz gefunden.

Nochmals zu Ihnen. Gibt es einen Plan B – falls es mit dem Knie nicht mehr klappen sollte?

Momentan noch nicht. Das liegt auch an meiner Persönlichkeit. Ich setzte früh voll auf den Sport. Entweder ich mache etwas richtig – oder ich mache es gar nicht.

Man spürt es deutlich. Jasmine Flury hat im Wettkampfsport noch einiges vor. Der Hoch-Ybrig mag im Februar 2025 nicht der Nabel der Skisport-Welt sein. Und dennoch ist Olympia auf der «Fuederegg»-Terrasse näher, als man denkt. Am Tisch daneben trinkt Fredel Kälin einen Tee. Der Einsiedler gehörte an den legendären Winterspielen in Sapporo 1972 zur Langlaufstaffel, die sensationell die Bronzemedaille gewann. Es muss für Jasmine Flury im Hinblick auf Olympia 2026 ein gutes Omen sein. Ein sehr gutes.

Von Nadine Gerber am 9. Februar 2025 - 12:00 Uhr