Joana ist Rechtshänderin, Simona Linkshänderin. Joana trägt den Scheitel rechts, Simona links. Joana hat grössere Augen und einen etwas anderen Mund. Und da hören die Unterschiede dann langsam auf zwischen den 28-jährigen eineiigen Hählen-Zwillingen. Stimme, Musikgeschmack, Hobbys, Interessen, ja gar der Kleiderschrank: gleich. «Wir wissen haargenau, was die andere denkt, wie es ihr geht, stehen immer hintereinander, egal wobei», sagt Joana Hählen, die um eine Minute Ältere. Aus beiden sprudelt es heraus, was sie am Zwillingsein so toll finden, sie fallen sich in die Sätze, ergänzen. «Wir sind gegenseitig unsere grössten Fans und grössten Kritiker», sagt Simona. Der ehrlichste Spiegel eben, den es gibt. «Das ist unglaublich schön.»
Die Öffentlichkeit kennt nur eines der so ähnlichen Gesichter: das von Joana. Seit gut sechs Jahren fährt sie im Weltcup. Eine Draufgängerin auf der Piste, manche sagen «Wildsau». Im Team ist sie jene, welche die Stimmung aufheitert und Gespräche anregt, wenn am Tisch müde Ruhe herrscht. Bei ihren Skikolleginnen ist sie äusserst beliebt, stets positiv. In diesem Jahr nun folgt der sportliche Durchbruch: Abfahrts-Dritte in Bansko, Super-G-Dritte in Sotschi. Eine Erlösung, seit Hählen im Vorjahr ihren vermeintlich ersten Podestplatz in Crans-Montana nach einem Zeitmessungs-Chaos wieder verlor. «Nun ist es so richtig schön und tut mir gut.»
Natürlich haben die Zwillinge gemeinsam mit dem Sport angefangen. Die Mutter spielte gut Tennis, der Vater fuhr Ski, und am Wohnort Lenk im Simmental BE lagen Loipe und Piste direkt vor der Haustür. Auch die um zwei Jahre ältere Schwester Gianna fuhr rennmässig, eine Zeit lang trainierten alle drei im selben Team.
Nur Joana aber hat die Karriere bis zum Profi verfolgt. Sie erinnert sich lachend, wie sie reagierte, als Simona sich mit 17 gegen den Sport und für ein Tourismus-Studium entscheidet: «Du kannst doch nicht aufhören! Sonst bin ich alleine!» Natürlich verstand sie den Entscheid – aber als Zwilling ist man immer ein Team, daran gewöhnt man sich. Doch die zeitweilige Trennung tut den beiden gut: Erstmals führen sie ein je eigenständiges Leben. Simona bringt als Studentin neue Eindrücke und Menschen mit ein, bleibt dem Skisport aber durch Joana verbunden.
Auch heute profitieren sie noch voneinander. «Sie animiert mich, mehr auf meinen Plastikgebrauch zu achten oder Französisch zu lernen», sagt Joana, während sie Simona neue Sportübungen vermittelt. Die beiden leben auch wieder zusammen: In Münsingen BE im Haus der verstorbenen Grossmutter haben sie eine Vierer-WG mit ihren Partnern gegründet. Aare-Böötle, Surfen, Kitesurfen, Biken, Wandern – solange etwas läuft, sind die Schwestern dabei. «Ich bin ein Mensch, der immer sagt: Gebt mir eine Herausforderung!», sagt Joana. «Zum Beispiel beim Akrobatik-Yoga. Das ist wie ein Spielplatz für mich, ich will alles ausprobieren!»
Wie wohl die meisten eineiigen Zwillinge haben die beiden ihrem Umfeld früher Streiche gespielt, sich beim Skifahren oder im Gitarrenunterricht als die andere ausgegeben, was auch funktionierte. Joana will man an einem FIS-Rennen sogar mal nicht starten lassen, weil man denkt, dass sie sich zweimal an den Start schleiche.
Dass Zwillinge eine engere Beziehung haben als normale Geschwister, bestätigen die Berner Oberländerinnen. Über vermeintliche telepathische Verbindungen hingegen lächelten sie lange – bis Joana in Lake Louise (Ka) vor ein paar Jahren schwer stürzte. Simona wachte in der Schweiz mitten in der Nacht auf, und gleich darauf rief ihre Schwester an, um ihr zu erzählen, dass es ihr nicht gut gehe. «Da habe ich mich schon gefragt, ob das Zufall war oder nicht.» Ansonsten passiere ihnen häufig, dass sie gleichzeitig versuchen, sich anzurufen, und dann besetzt sei.
Trotz aller Ähnlichkeit und der engen Bindung haben Joana und Simona Hählen sich immer als eigenständige Personen wahrgenommen. «Wir wurden nie in ein Klischee gedrängt.» Als Kinder waren sie selten gleich angezogen, und die Eltern schickten sie bewusst in verschiedene Kindergärten. Doch dann stellten sie einander ihre Gspänli vor – und hatten doch denselben Freundeskreis. Wichtig, wenn man so viel zusammen ist: «Wir sprechen alles direkt an und sind so ehrlich zueinander, dass es gar nicht erst zum Streit kommt.» Zuhören, auch wenn man die Meinung der anderen mal lieber nicht hören will. Die Zwillingsschwester – der ehrlichste Spiegel eben.