Gerade erst ist Nicolas Huber, 27, von seinem letzten Wettkampf zurück nach Hause in Männedorf ZH gekommen, schon gehts rund. Das Highlight an diesem Morgen: das Auspacken der neuen Sponsorenteile, darunter ein knall-oranger Astronautenanzug, in dem der Snowboarder künftig seine Wettkämpfe bestreiten wird. Dass sich die Sponsoren um den Big-Air- und Slopestyle-Profi reissen, hängt mit den Olympischen Spielen in Peking zusammen. Allerdings nicht mit seinen sportlichen Erfolgen. Obwohl er in seinem Lebenslauf durchaus auch solche vorweisen kann – immerhin gewinnt Nicolas Huber 2017 WM- Silber im Slopestyle. Und er qualifiziert sich dieses Jahr für Olympia.
Vor dem Abflug nach Peking bestellt sich Nicolas ein Tigerkostüm, in dem er Videos für seine Social-Media-Kanäle drehen will. «Ich habe es schon immer geliebt zu schauspielern. Vermutlich ein Überbleibsel aus meiner Zeit in der Rudolf-Steiner-Schule», meint er lachend. Mit dem «Tiger» kommt ein knallenger roter Morph- suit mit Schweizerkreuz. Mit beiden Kostümen im Gepäck gehts nach China. Das Abenteuer beginnt mit einem Schock: Bei der Ankunft wird Nicolas Huber positiv auf Covid-19 getestet, muss neun Tage lang in einem Hotelzimmer in Isolation. Symptome hat er keine, dafür jede Menge Zeit und Ideen, um witzige Clips für Instagram & Co. zu drehen. Nach einigen Tagen kommen erste Interview-Anfragen, zuerst von chinesischen Medien, dann auch von solchen aus aller Herren Länder.
Was der Snowboarder in der Isolation nicht mitbekommt: In den chinesischen sozialen Medien – welche abgekoppelt sind von jenen der westlichen Welt – gehen seine lustigen Videos total viral. Als Nicolas Huber nach neun Tagen sein Hotelzimmer verlassen darf, kann er im olympischen Dorf kaum zehn Schritte machen, ohne dort von freiwilligen Mitarbeitenden angesprochen und um ein Foto gebeten zu werden. Dabei gehts jetzt erst richtig los mit den Social-Media-Stunts. Huber besucht in seinem Morphsuit ein Spiel des Schweizer Eishockeyteams, fährt damit Bus und lässt sich von seinem Kollegen Jonas Boesiger als menschliches Snowboard benutzen. Das Netz lacht sich schlapp und spendet fleissig Likes.
So kehrt Nicolas Huber zwar ohne Medaille aus Peking zurück, dafür als Social-Media-Star mit jeder Menge neuen Followern. Über 37 000 sinds momentan auf Instagram (zum Vergleich: Snowboard-Olympiabronze-Gewinner Jan Scherrer hat 17 000), auf seinem chinesischen Tik-Tok-Account folgen ihm 130 000 Fans. Um seine Kanäle in China kümmert sich mittlerweile eine Agentur, der Nicolas seine Inhalte liefert. Das ist nicht immer ganz einfach. «Ich kann ihren Humor oft nicht nachvollziehen», sagt der Zürcher.
Allen medialen Erfolgen zum Trotz: «Wenn ich hätte wählen können, hätte ich lieber eine Olympiamedaille gehabt. Aber ich habe in vier Jahren ja noch mal eine Chance. So lange mache ich sicher weiter.» – «Was? Dann bist du 31!», meint seine Mutter Carola, 62, entsetzt. «Ja und? Ich lebe jetzt mei-nen Traum. Warum sollte ich damit aufhören?» Zumal Nicolas Huber, was das Snowboarden angeht, seit je ein Spätzünder ist. Zwar steht er als zweijähriger Knirps bereits auf den Ski – im Oberengadin, wo die Familie immer ihre Winterferien verbringt –, doch lernt er erst mit zwölf snowboarden. «Und ich war nicht mal besonders gut, Ski fahren konnte ich eigentlich besser.» Trotzdem ist er da, der Traum von der Profikarriere, und Nicolas Huber setzte alles daran, ihn nach der Matura wahr zu machen. Auf dem Corvatsch jobbte er als Shaper im Funpark, trainierte dabei wie besessen. Mit 19 bestritt er seinen ersten Wettkampf, 2016 trat er erstmals im Europacup an, 2017 im Weltcup. Im gleichen Jahr lernte er die russische Snowboarderin Sonia Fedorowa, 23, kennen, gibt ihr ein Jahr später das Jawort. Vergangenes Jahr folgt die Scheidung. «Unsere Ansichten, Ziele und Lebenspläne waren einfach zu unterschiedlich. Aber ich habe viel gelernt», sagt ein für einmal sehr nachdenklicher Nicolas Huber. Sonia hat inzwischen ein Studium begonnen, Nicolas will im Profisport bleiben.
Dass sich das nicht nur in den sozialen Medien, sondern auch sportlich auszahlen könnte, beweist er direkt nach Olympia: Ende Februar gewinnt Nicolas beim Europacup in Moskau erstmals in seiner Karriere Gold. Ende März endet die Saison mit einem Heimspiel: dem Weltcup auf dem Corvatsch. «Da eine Medaille zu holen, wäre grandios.» Und bestimmt ein gutes Omen für weitere Höhenflüge – ob auf dem Board oder im Netz.