Wer denkt, Krimiautoren sind griesgrämige Zeitgenossen, täuscht sich gewaltig. Zumindest im Fall von Christine Brand (48). Erzählt die Autorin, wie sie zur Entspannung im traditionellen Einbaumboot Dau mit Captain Chicken am Steuer übers Meer beim afrikanischen Sansibar gleitet, strahlen nicht nur die auffallend klaren blauen Augen, sondern das ganze Gesicht. «Viele Krimischreiber sind aufgestellte Menschen. Vielleicht weil wir dankbar sind, dass wir leben, während wir in unseren Büchern die Menschen um die Ecke bringen.»
Brand ist die erfolgreichste Krimiautorin der Schweiz. Ob sie über wahre Verbrechen schreibt wie aktuell über den Zwillingsmord in Horgen oder die investigative Journalistin Milla in ihren Romanen Mordfälle in Bern lösen lässt – ihre Bücher führen regelmässig die Bestsellerlisten an. Kaum zu glauben, dass sie die düsteren Werke, die oftmals im Winter spielen, bei über 30 Grad schreibt. «Da ist sicher etwas Schadenfreude dabei: Weil ich die Kälte nicht mag, lasse ich lieber meine Figuren sich den Hintern abfrieren.»
Mindestens die Hälfte des Jahres lebt Brand in der Wärme – zurzeit mehrheitlich auf Sansibar, der kleinen Insel vor der Küste Tansanias im Indischen Ozean. «Vom Gefühl her ist hier mein Zuhause.» Sie sei schon immer viel gereist, «um die halbe Welt im Backpacker-Stil». Auf Sansibar hat es der ehemaligen Journalistin vor 24 Jahren «den Ärmel reingenommen», auf einer «dekadenten Pressereise mit Luxushotel und Heissluftballon-Safari. Ich wusste: Dahin will ich zurück, aber allein und ohne Schnickschnack.»
Hier schrieb sie auch einige Kapitel ihres bisher grössten Erfolgs – des Kriminalromans «Blind». Der verkaufte sich bis heute über 80 000-mal. «Am liebsten arbeite ich auf der Dachterrasse in einem Café in der Hauptstadt Stone Town – ich mag das Gewusel um mich rum.» Wenn es ihr dann doch zu heiss wird, flüchtet Brand an die Ostküste ans Meer.
Ob in der Stadt oder am Strand – die Schriftstellerin kann überall in ihre eigene Welt abtauchen. «Die Ideen fliegen mir einfach zu, ausserdem hatte ich schon immer eine morbide Fantasie.»
Der Tod begleitet die Bernerin seit ihrer Kindheit im beschaulichen Oberburg im Emmental. Links wohnte der Metzger, der seine Tiere schlachtete. Rechts der Jäger, der die geschossenen Rehe zum Wägen aufhängte. Und in
der Mitte stand das Bestattungsinstitut von Christine Brands Vater. «Im Schaufenster haben ich und meine Freundinnen manchmal totes Kind gespielt», erzählt sie mit entwaffnendem Lachen.
Zudem sei der Leichenwagen ein enorm praktisches Gefährt für den Urlaub. «Wir sind damit im Sommer jeweils nach Südfrankreich in die Ferien
gefahren – die Matratzen für meine Schwester und mich hatten da locker im Auto Platz, damit wir während der Fahrt schlafen konnten.» Später habe sie mit dem langen Wagen die Fahrprüfung gemacht. «Ich kann heute super parkieren.»
So amüsant das tönt, Brand macht sich keinesfalls lustig über das Sterben. «Für mich war es einfach normal, dass Menschen jederzeit von uns gehen können – auch junge.» Dass der Tod hierzulande stark tabuisiert wird, stört sie. Sie sei tatsächlich überrascht gewesen, als sie mit 20 Jahren immer noch am Leben war. «Klar hat meine Kindheit mich geprägt. Ich lebe bewusster – und für manche vielleicht auch etwas unkonventionell.»
In Stone Town mietet Brand jeweils ein Zimmer im Haus einer afrikanischen Familie. 200 Dollar zahlt sie im Monat für ein Bett, eine Truhe und einen Tisch – das WC, dessen Wasserpumpe öfters mal ausfällt, teilt sie mit fünf Personen. Dafür gibts ganz viel Kultur, spannende Gespräche und guten Tee von Gastmutter Shahmsa. «Ich bin hier Teil der Familie», sagt Brand. Sie selber wollte nie Kinder, auch führe sie keine klassische Beziehung, «aber ich gehe nicht lieblos durchs Leben», sagt sie schmunzelnd.
Das Emmental sei zwar «hölleschön», erzählt Christine Brand, die in einem Mordstempo Berndeutsch spricht. Doch wenn sie in der Schweiz weilt, lebt sie dann noch lieber im grossstädtischen Zürich. Im Gästezimmer einer Freundin stehen ihr Bett, ihr Akkordeon und ein Schrank mit ein paar Kleidern. «Als ich mich vor fünf Jahren selbstständig machte, gab ich alles andere weg – und habe es nie bereut.»
Zuvor arbeitete Brand als Gerichtsreporterin für die «NZZ am Sonntag». Als Journalistin habe sie mehr verdient – denn selbst wenn man wie sie einen Krimi nach dem anderen publiziert («Schreibstau kenne ich nicht»), werde man davon nicht reich.
Nicht fürs Geld, sondern gegen die Routine arbeitet Brand noch für einen Privatdetektiv, dessen Fälle sie zu Papier bringt. Zudem schreibt sie mit am Drehbuch für die neue SRF-Krimikomödie von Regisseur Michael Steiner. Die Reihe um den Ex-Polizisten Leo Brand kommt im Herbst ins Fernsehen. «Im Team an Geschichten zu feilen und Figuren zu erschaffen, macht irrsinnig Spass», sagt Christine Brand, die eine gute Freundin von Drehbuchautorin Simone Schmid («Zwingli») ist.
Schreiben tut Brand, die privat lieber Romane von T. C. Boyle oder Haruki Murakami als Krimis liest, jeden Tag. «Wochenende gibts für mich nicht –und Ferien hatte ich schon lange keine mehr.» Dafür lebe sie auf Sansibar im Paradies und könne spontan Dinge unternehmen. «Wenn ich in der Schweiz meine Freunde frage, ‹Gömmer eis go zieh?›, heisst es zuerst: ‹Ich muss in die Agenda schauen.› Hier hat niemand Pläne. Das ist sehr befreiend.»