«Es ist eine Frau», staunt Jonas Bischoff beim Blick aufs Handy. Er hat gerade ein Taxi bestellt. Wir stehen im Schatten auf dem Zitadellenhügel in Amman, und dass in der Hauptstadt Jordaniens eine Frau am Steuer des Taxis sitzt, haben Anita Bünter und Jonas Bischoff in zwei Jahren nur zweimal erlebt. «Meist steckt eine traurige Geschichte dahinter», sagt Anita Bünter (35). «In Jordanien ist Autofahren eher Männersache», gibt Jonas Bischoff (35) zu bedenken.
Die etwa 50-jährige Fahrerin mit Kopftuch hält vor uns. Anita setzt sich vorne auf den Beifahrersitz, Jonas nach hinten. Als Nahla sieht, dass die beiden sich anschnallen, tut sie es auch. «Woher kommt ihr?», fragt sie. «Wie viele Kinder habt ihr?» Und: «Was kostet eure Wohnung?» Während Anita auf Arabisch antwortet, freut sich Jonas über die direkten Fragen. «Im Nahen Osten wird Persönliches schneller angesprochen als in Europa.»
Nahla bremst, hupt und verwirft die Hände – Standardmanöver in Amman. Sie fährt Taxi, seit ihr Mann gestorben ist. Ihre Kinder studieren. «Jetzt korrigiert sie grad mein Arabisch», sagt Anita und lacht. Nahla biegt in eine Einbahnstrasse – «heute ist die Polizei nicht da» – und setzt uns nach 15 Minuten vor einem Restaurant ab.
Die ganze Stadt scheint beige, doch wer in den Innenhof des «Shams El Balad» kommt, ist umgeben von dunkelgrünen Pflanzen, Büscheln violetter Blüten, die von der Decke hängen, und entspanntem Jazz. Es ist einer der Lieblingsorte des SRF-Nahost-Korrespondentenpaars Bünter und Bischoff. Seit dem Sommer 2021 sind die beiden in Amman stationiert.
«Sorry, Berufskrankheit», sagt Anita, als sie am Tisch ihr Handy hervorholt. «Die Saudis haben grad geschrieben.» – «Echt?», Jonas scheint erfreut. «Ja, aber die Medienkommission findet, im Juli seis zu heiss in Saudi-Arabien, wir sollen später kommen.» Bünter und Bischoff versuchen seit einer Weile, eine Drehbewilligung zu erhalten. «Wir decken 16 Länder ab», sagt Anita, «in jedem herrschen andere Regeln für Journalistinnen und Journalisten – und die Pressefreiheit ist oft eingeschränkt.»
«Lange kein Thema»
Während sie den Saudis zurückschreibt, erzählt Jonas, dass sie beide in die gleiche Kanti gegangen sind. Anita kommt aus Wittenbach SG, Jonas aus St. Gallen. «Mit 17 kamen wir zusammen.» Gemeinsam gearbeitet haben sie schon, bevor sie ein Paar wurden: Sie machten eine Jugendzeitschrift namens klugscheisser.ch. Anita zeichnete anfangs die Cartoons, später teilte sie sich mit Jonas die Redaktionsleitung. «Journalistin zu werden, war für mich lange kein Thema.» Ihr Vater ist gelernter Polymechaniker, ihre Mutter Coiffeuse. Jonas’ Eltern sind Pädagogen: Er ist pensionierter Lehrer, sie Bewegungstherapeutin.
Im kühlen Innenhof kostet der frische Saft vier Jordanische Dinar, fünf Franken, das ist teuer für Amman. «Wir wohnen im Stadtteil Jabal Amman», sagt Anita. «Hier treffen der arme und der reiche Teil der Stadt aufeinander.» Ihr Zuhause möchten sie nicht zeigen, auch wegen Sicherheitsbedenken. Und sowieso sind die beiden oft unterwegs. «In unserem Leben gibt es keine Konstanz», sagt Jonas. Ausser jener als Ehepaar, das sich ein und denselben Job teilt.
Bewerbung im Doppelpack
Nach der Matura studieren Bünter und Bischoff Ethnologie in Zürich und bereisen den Nahen Osten mit Zug und Bus. «Wir haben so viele Menschen kennengelernt – die Gastfreundschaft ist riesig.» Wenige Jahre später arbeitet Bischoff als Videojournalist und Produzent bei Tele Züri, Bünter als Redaktorin und Produzentin beim SRF. «Als die Nahost-Korrespondentenstelle frei wurde, haben wir uns zusammen beworben», erzählt Anita. «Der Job hat uns beide gereizt! Es wäre blöd gewesen, hätte ihn nur einer von uns bekommen.» SRF gab dem Paar den Zuschlag.
Machen sie eigentlich immer alles zusammen? «Nein», sagt Anita, «ins Arabisch gehen wir separat.» – «Und Sport machen wir auch allein», sagt Jonas.
Bei den Taliban
Zu Fuss gehts runter ins quirlige Zentrum, nach «Downtown Amman». Es wird gehupt, geguckt und alle paar Stunden gebetet. Der Ruf des Muezzins gehört für Anita und Jonas längst zum Alltag. Sie haben sich mit Farah Ajlouni, 34, verabredet, ihrer neuen Produzentin für Jordanien. «Als Korrespondenten ist es Teil unseres Jobs, gute freie Mitarbeiter zu finden.» Während wir auf Farah warten, sucht Anita an einem Bücherstand nach Lesematerial und Jonas erzählt, welche Vorteile die Arbeit als Paar im Nahen Osten hat.
«Familie und Ehe sind hier sehr wichtig. Es ist einfacher, wenn die Leute merken, dass wir verheiratet sind.» Anita könne zudem problemlos eine Frau für ein Interview verkabeln – die Männer wiederum würden oft erst das Gespräch mit ihm suchen. In Afghanistan ging die Geschlechtertrennung so weit, dass Jonas die Fragen stellen musste, die Anita vorbereitet hatte – die Taliban wollten sich nicht von einer Frau interviewen lassen.
Ein Seitenblick genügt
Mit Farah tauchen sie ein ins Marktgetümmel. Sie ist Jordanierin, in Paris aufgewachsen und arbeitet nun als Produzentin für verschiedene Sender. Neben Small Talk («Habt ihr gemerkt, dass vor der Hochzeit des Kronprinzen plötzlich alle Strassen renoviert wurden?») geht es um mögliche Themen, die Bünter und Bischoff in Jordanien aufgreifen wollen. «Dass wir Farah gefunden haben, ist Gold wert», freut sich Anita. Auch wenn Jonas und sie immer zu zweit unterwegs sind, bleiben sie auf die Unterstützung von Einheimischen angewiesen: sei es beim Erdbeben in der Türkei, bei Reportagen im Irak oder bei Tumulten im Libanon.
«Normalerweise arbeiten Korrespondenten in jedem Land mit anderen Kameraleuten zusammen», erklärt Jonas. «Weil Anita und ich beide filmen, erledigen wir das selber.» Auf Reportage weiss Anita «mit einem Seitenblick», welche Kameraeinstellung Jonas gewählt hat. «Dadurch passt unser Material später gut zusammen.» Vor einer Liveschaltung pudert der eine dem anderen die Nase oder hilft, den «Ohrwurm» einzusetzen, mit dem man die Fragen aus Zürich hört. «Improvisieren gehört im Nahen Osten dazu», sagt Anita. «Uns ist auch schon das Wasser in der Wohnung ausgegangen – gar nicht so einfach, sich dann für die Kamera bereit zu machen. Zum Glück gibts Trockenshampoo!»
«Misch-misch!» ruft ein Verkäufer auf dem Markt. «Aprikosen», übersetzt Anita Bünter. Jonas und sie hatten bereits Arabisch-Kenntnisse, als sie sich für den Posten bewarben. «Wobei – wann kann man jemals Arabisch?» Die Arbeit in über einem Dutzend Ländern mit ihren Dialekten und Sprachen macht es nicht einfacher.
«Wir sind privilegiert»
Was beiden aber mehr zu schaffen macht, ist die grosse Armut – auch in Jordanien. «Wir sind hier gerade auf einem schönen Markt, aber uns ist sehr bewusst, wie privilegiert wir sind und wie wenig sich viele Menschen in Jordanien leisten können.» Als Korrespondenten ist ihre Aufgabe nicht, zu helfen, sondern zu berichten und einzuordnen. Das ist nicht immer leicht. «Was wir nach dem schlimmen Erdbeben in der Türkei gesehen haben, beschäftigt uns bis heute.»
Zum Schluss eine typisch schweizerische Frage: Wie lange wollen sie diesen Job machen? «Wir sind im Nahen Osten!», sagt Anita lachend, «mit langfristigem Planen haben wir längst aufgehört.» – «Dafür», sagt Jonas, «haben wir gelernt, dass auch ein Tag, der mühsam anfängt, wunderschön zu Ende gehen kann.»