Dass man ihr altes Kinderzimmer in ihrem Elternhaus in Bonstetten ZH mit einer Kletterhalle verwechseln könnte, liegt irgendwie in der Natur der Sache. Schliesslich sind schon ihre Eltern Christof, 65, und Regula, 62, begeisterte Kletterer. Petra Klingler, 29, und ihr älterer Bruder Simon sind von Kindsbeinen an mit von der Partie. «Petra war sechs, als sie erstmals vorausging», erzählt die stolze Mama.
Zwischenzeitlich verschreibt sich Petra dann allerdings ihrer zweiten grossen Liebe, dem Reiten. Mit zwölf nimmt sie «eher zufällig» an einem Kletterwettbewerb teil – und gewinnt. 2010 wird sie erstmals Meisterin bei der Elite, 2016 folgt der Weltmeistertitel, 2017 Europameisterschafts-Bronze. Mit einem achten Platz an der WM 2019 qualifiziert sich Petra Klingler für Olympia 2020. Das erste Mal, dass Sportklettern – bestehend aus den Disziplinen Bouldern, Speed und Lead – an diesem Grossanlass ausgetragen wird. Die Freude ist riesig.
Die Enttäuschung, als Olympia verschoben wird, ebenfalls. Aber nur im ersten Moment. «Dann dachte ich, dass ich halt noch mal ein Jahr Zeit habe, um mich vorzubereiten.» Typisch Petra. «Ihr Optimismus ist unerschütterlich», so Regula Klingler. «Das hat sie von ihrem Vater. Ich rege mich viel schneller auf!» – «Warum soll ich mich über etwas nerven, das ich eh nicht ändern kann?», meint ihre Tochter. So blickt Petra denn auch durchaus positiv auf das vergangene pandemiegeprägte Jahr zurück. «Ich habe es genossen, dass sich mal nicht alles um den Sport dreht. Ich hatte mehr Zeit für die Familie und Freunde und habs sogar geschafft, mal einen Tag lang gar nichts zu machen – das war die grösste Herausforderung», erzählt Petra lachend. Dabei habe sie auch gemerkt, dass sie fit bleibt, wenn sie nicht ganz so viel trainiert wie im normalen Alltag.
Dieser spielt sich ab zwischen ihrem Elternhaus in Bonstetten, ihrer Vierer- WG in Bern, wo sie vor einiger Zeit ihren Bachelor in Sportwissenschaften und Psychologie abschloss, und den zusätzlichen Trainingsorten Biel und Zürich. Dass sie sich auf jedes Training freut, zeugt von ihrer grosser Liebe zum Klettern. Und ist wohl auch ihr Erfolgsgeheimnis: «Mir macht es nichts aus, wenn am Samstagmorgen der Wecker klingelt. Schliesslich darf ich das tun, was ich am allerliebsten mache.» Auch geschundene Füsse, Beine und Hände gehören halt mit dazu. «Berufsrisiko. Ich merke das meist gar nicht.»
Auch das ist typisch Petra. Sie ist nicht nur schon als Kleinkind besonders optimistisch, sondern auch unglaublich zäh. «Als sie einen geplatzten Blinddarm hatte, verzog sie kaum eine Miene», erzählt die Mama. Zum Glück weiss Regula Klingler, dass jedes kleinste Anzeichen von Schmerz bei ihrer taffen Tochter ein Fall für den Notfall ist. Dort stellt man noch etwas anderes fest: ein angeborenes Nierenleiden. Ausser jährlichen Kontrollbesuchen beim Arzt schränkt dieses Petra aber nie ein. Bis im November 2020. An der Europameisterschaft in Moskau stellt Petra Klingler in der Qualifikation einen neuen Schweizer Rekord im Speedklettern auf, verletzt sich aber an der Schulter. Im Hinblick auf Olympia beschliesst sie, den Wettkampf abzubrechen. Kurz darauf wird sie krank, leidet an Kopfschmerzen und Übelkeit. «Ich dachte sofort an Corona.» Doch das ist es nicht. Zurück in der Schweiz, bringt Regula ihre Tochter vom Flughafen direkt ins Spital. Diagnose: Niereninfektion. Über eine Woche verbringt Petra im Krankenhaus. «Ich wusste ja immer, dass so was mal sein könnte. Aber lieber an der EM als an Olympia», feixt sie.
Für Tokio fühlt sich Petra fit. «Ich versuche, alles aufzusaugen und zu geniessen, dann stimmt auch die Leistung.» Natürlich sei es etwas schade, dass bei ihrer Olympia-Premiere Corona-bedingt alles ein bisschen anders ist, sie zum Beispiel nicht an der Eröffnungsfeier dabei sein kann. Oder dass sie niemand begleiten darf. «Aber vielleicht ist das auch gut so. Dann kann ich mich ganz auf den Wett-kampf konzentrieren.» Und ob Medaille oder nicht – eines ist jetzt schon gewiss: «Eine Party nach der Heimkehr gibts einewäg!»