Als Treffpunkt für das Gespräch mit «L’illustré» und der Schweizer Illustrierten hat sich Sophie Hunger, 37, das Schweizer Museum für elektronische Musikinstrumente SMEM in Fribourg ausgesucht. Ihr letztes Album «Molecules» ist ausschliesslich auf solchen Maschinen entstanden. 5000 davon sind im SMEM ausgestellt. «Ich bin stolz darauf, dass sich ein solcher Schatz in meinem Heimatland befindet», sagt die Musikerin.
Sophie Hunger, wie erleben Sie die Corona-Krise?
Anfangs war es ein Schock. Als ich meinen Beruf infrage gestellt sah, wurde mir bewusst, wie sehr ich ihn liebe. Wenn man sein Leben auf Bühnen verbringt, führt so eine Veränderung auch zu einer Sinnfrage. Wer bin ich, wenn ich nicht spielen kann? Was habe ich sonst zu bieten? Am Ende sass ich am Zürichsee mit anderen arbeitslos gewordenen Musikern, und wir schrieben neue Lieder. Man kann halt nicht aus seiner Haut.
Sie haben Ihr neues Album «Halluzinationen» in den berühmten Abbey Road Studios in London aufgenommen.
Komponiert habe ich bei mir zu Hause in Berlin. Am Piano, das in der Küche steht. Es hat zwei Pedale, welche den Ton dämpfen, das mag ich sehr. Das Klavier in den Studios, an dem famoserweise John Lennon und Paul McCartney sassen, hat nur ein Pedal. Wir deckten es mit Tüchern ab, um den Klang zu mildern.
Sie scheinen sehr genau zu wissen, was Sie wollen. Handkehrum sind Sie Autodidaktin.
Das stimmt. Ich ging nie in die Musikschule, habe immer versucht, durchs Arbeiten weiterzukommen. Mit jedem Album verstand ich mehr. Ausserdem habe ich die Schweiz früh verlassen, weil ich wissen wollte, wie es ist, sich in der Fremde zu behaupten, wo niemand aus Nettigkeit zuhört oder einem auf die Schulter klopft.
hre Lieder haben eine ungewöhnliche emotionale Tiefe. Woher kommt diese?
Durch die Berufe meiner Eltern bin ich in meiner Kindheit sehr oft umgezogen. Schon als ich ganz klein war, begriff ich, dass die Beziehungen, die ich einging, immer nur solche auf Zeit waren. Also habe ich in meinem Kopf eine eigene Welt geschaffen, die ich selbst kontrollieren konnte.
Hat diese Ihnen Sicherheit gegeben?
Ja. Egal, wo wir wohnten – ich hatte mein eigenes Universum, meine Geheimnisse, meine Geschichten, und niemand konnte sie mir wegnehmen. Es half mir, das Chaos auszuhalten. Mit zwölf Jahren begann ich, Lieder zu schreiben und sie auf einem Kassettenrekorder aufzunehmen.
Kam für Sie je ein anderer Weg als die Musik infrage?
Ich habe nach der Schule mehrere Studiengänge abgebrochen. Es wurde klar, dass das bürgerliche Leben nicht meines war. Ich musste das Milieu meiner Eltern verlassen. Auf mich wartete eine andere Welt, ein anderes Leben, vielleicht auch eine andere Aufgabe. Eine, die ich mir vielleicht schon als kleines Mädchen zu schaffen begann.
Auf «Halluzinationen» geht es in vielen Songs um unglückliche Liebe, als ob Sie um eine Beziehung trauerten …
Ja. Als ich im Januar 2019 von der «Molecules»-Tour zurück nach Berlin kam, war da dieses schwarze Loch. Nach Monaten auf der Bühne mit der Crew und den Fans sah ich mich in meiner Wohnung mit einer immensen Leere konfrontiert. Ich war einsam und fragte mich, warum. Hatte ich den falschen Weg eingeschlagen? War das, was ich aus meinem Leben gemacht hatte, eine Halluzination? Und war diese die Konsequenz meiner Einsamkeit oder – umgekehrt – der Grund dafür? Daraus entstand dieses Album. Jedes Stück darauf behandelt einen Aspekt dieser Beziehung zwischen Imagination und Einsamkeit.
«Halluzinationen» ist also eine innere Reise?
Genau. Ich sagte mir, dass die Einsamkeit verschwinden wird, wenn ich imstande bin, dieses Album zu machen. Es war fast eine Art Exorzismus.
Auf Ihrem T-Shirt steht «Future is Female». Ist der Kampf für Frauenrechte eine Herzensangelegenheit?
Nächstes Jahr feiern wir 50 Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz. 2021 soll eine Hommage sein für die, welche für unsere Freiheiten und Rechte gekämpft haben. Aber der Kampf ist noch nicht vorbei. Gleichberechtigung ist noch lange nicht erreicht. Wir schulden es der kommenden Generation, den Faden weiterzuspinnen. Ich bin der tiefen Überzeugung, dass eine gleichberechtigte Schweiz eine glücklichere und erfolgreichere ist. Aber wir müssen sie machen, sie fällt nicht vom Himmel.
Sie sind zu 100 Prozent Künstlerin. Können Sie sich vorstellen, eine Familie zu haben?
Unbedingt, das ist ein grosser Traum von mir. Auch wenn ich keine Ahnung habe, wie das sein würde. Aber ich gehe mal davon aus, dass ich keine Zeit mehr hätte, meine täglichen zehn Kilometer zu rennen …