Es geht Schlag auf Schlag: die Ankündigung zur Schliessung von Poststellen, dann der Bundesrat, der Abstriche bei der Zustellung macht, den elektronischen Briefverkehr fordert und die Erreichbarkeit einer Abgabe- stelle erschweren will. Christian Levrat, spart sich die Post grad selber kaputt?
Ganz und gar nicht. Die Post muss sich den veränderten Kundenbedürfnissen anpassen, um langfristig im Alltag der Menschen relevant zu bleiben, um attraktive Arbeitsplätze anzubieten und um einen erstklassigen Service public anzubieten. Es bringt nichts, die Augen vor dem unumkehrbaren Strukturwandel zu verschliessen. Die Kundinnen und Kunden haben heute andere Bedürfnisse als noch vor 20 Jahren. Die Post begrüsst darum die vom Bundesrat vorgeschlagenen Anpassungen des Grundversorgungsauftrags. Sie sind ein erster wichtiger Schritt hin zu einem zukunftsgerichteten Auftrag für die Post. Die postalische Grundversorgung soll auf die Bedürfnisse der Kundschaft eingehen. Die Schweiz braucht über das Jahr 2030 hinaus einen starken Service public. Diesen müssen wir nun entwickeln, mit Einbezug der Digitalisierung.
Sie wollen 170 Poststellen schliessen. Steht das nicht in völligem Widerspruch zu Ihrer Aussage, dass die Post «möglichst nahe an der Bevölkerung» sein soll?
Nein. Genau das bleiben wir, indem wir die Zahl der Zugangspunkte für die Bevölkerung ausbauen. In den 1990er-Jahren gab es 3000 Postämter. Heute sind es fast 5000 Zugangspunkte, darunter 769 Postämter, 1237 Filialen mit Partner, 1898 Orte mit Hausservice, 275 My-Post-24-Automaten, an denen Kunden rund um die Uhr Pakete aufgeben und abholen können, und 563 My-Post-Servicepunkte. Wo es keine zufriedenstellende Lösung gibt, können die Postgeschäfte beim Pöstler oder der Pöstlerin an der Haustür erledigt werden. Es ist schwierig, näher an der Bevölkerung zu sein.
Sie weisen den Vorwurf zurück, dass die Post ihre Nähe zur Bevölkerung opfert?
Ja, ganz klar. Die Dienstleistungen der Post brauchen keine Poststelle. Wir setzen auf zeitgemässe Angebote, die alle, auch ältere oder weniger mobile Menschen, in allen Regionen und zu gleichen Preisen nutzen können. Damit erfüllen wir den Grundversorgungsauftrag voll und ganz.
Wie viel spart die Post durch die Schliessung von Poststellen?
30 Millionen Franken. Allerdings wird keine Filiale geschlossen, ohne dass wir eine alternative Lösung gefunden haben. Auch die Umfragen zur Kundenzufriedenheit sprechen eine deutliche Sprache: Die My-Post-24-Automaten sind am beliebtesten, gefolgt von den Postagenturen und den Poststellen. Alle drei haben Zufriedenheitsquoten von rund 80 Prozent. Das ist der Beweis, dass die Post den Menschen das bietet, was sie erwarten.
Sie bauen 680 Arbeitsplätzen ab, gleichzeitig müssen Sie 1380 Personen einstellen, um die Pensionierungen zu kompensieren. Werden die 680 bevorzugt?
Wir werden alles tun, um sie zu behalten. Wir wollen Entlassungen vermeiden. Unter den Strich suchen wir immer noch 700 neue Mitarbeitende.
Vier Tage nach der Ankündigung der Schliessungen stellte die Post eine Lohnerhöhung von 1,7 Prozent für die 28'300 Beschäftigten in Aussicht, die dem GAV unterstellt sind. Auch wird der Mindestlohn von 4000 auf 4100 Franken erhöht. Ein Mittel, um die Schliessungen besser durchzusetzen?
Ganz und gar nicht, das fiel zufälligerweise zeitlich zusammen. Wir hatten seit Monaten mit den Gewerkschaften verhandelt, und ich bin sehr froh über das Ergebnis.
In den letzten zehn Jahren hat die Post kumuliert vier Milliarden Franken Gewinn gemacht. Wieso braucht es Sparübungen?
Von diesen vier Milliarden sind jedes Jahr 50 Millionen Franken als Dividende an unseren Eigner, den Bund, geflossen. Den ganzen Rest haben wir in die Modernisierung unserer Infrastruktur reinvestiert. Und nicht nur das: Letztes Jahr kostete uns beispielsweise die Teuerung zusätzlich rund 100 Millionen Franken an externen Auslagen. Wie alle Unternehmen ist also auch die Post gezwungen, ihre Tarife anzupassen.
Die SP, also Ihre Partei, bekämpft Ihre Strategie und hat Bundesrat Albert Rösti aufgefordert, diese abzulehnen. Auch Sie haben früher immer gegen Abbaupläne der Post protestiert.
Vor 20 Jahren hatte noch niemand ein Smartphone! Seit dessen Einführung hat sich alles verändert. Heute gehen fast viermal weniger Kunden für Einzahlungen an den Schalter, allein in den letzten fünf Jahren waren es 50 Prozent weniger. Auch die Besucherzahlen in den Poststellen haben sich halbiert. Wir müssen uns also anpassen, damit wir unsere Leistungen mit der gleichen Nähe und Effizienz, aber in einem sich ständig verändernden Umfeld erbringen können.
Es muss Ihnen trotzdem komisch vorkommen, die Genossen und die Partei gegen sich zu haben.
Natürlich ist das ein bisschen komisch. Ich würde mir wünschen, dass man die Diskussion über den Service public auch in den linken Parteien vertieft. Es ist ein Paradox: Die Kunden, einschliesslich der Politiker, gehen immer seltener oder gar nicht mehr in eine Poststelle. Sie erledigen alles mit elektronischen Geräten, bezahlen mit Twint oder Apple Pay. Aber sobald man etwas verändern will, werden Poststellen sakrosankt, das Bargeld, obwohl kaum noch benutzt, für die Schweiz matchentscheidend. Dasselbe Phänomen sieht man zum Beispiel bei Bioprodukten. Jeder spricht sich dafür aus, aber nur wenige kaufen sie. Diese Entwicklung ist in der politischen Diskussion noch nicht komplett angekommen. Bei der Post ist es wie bei der Fussball-Nati: Es gibt Millionen von Trainern.
Nervt Sie das?
Manchmal ist es etwas ärgerlich, weil jeder einem erklärt, wie man es machen sollte. Andererseits ist es vor allem ein Zeichen für die Verbundenheit der Bevölkerung. Die Post hat im Paketmarkt einen Marktanteil von 80 Prozent. Die Menschen fühlen sich als Eigentümer und sehen die Post als zuverlässiges, vertrauenswürdiges Unternehmen.
Zeitungsverlage beschweren sich über unerschwingliche Preise, verspätete Lieferungen, auf den Nachmittag verlegte Zustellungen. Glaubt die Post nicht mehr an Papier? Glauben die Verleger noch an Papier?
Das ist die eigentliche Frage. Ringier wird bald seine Druckerei schliessen, und die TX Group, der grösste private Medienkonzern des Landes, wird folgen. Die Post steht am Ende dieser langen Kette. Solange die Verlage an Papier glauben, ihre Volumina ausreichend sind und sie Preise verlangen, die die Zustellung garantieren, werden wir unserem Auftrag nachkommen. Um es zu verdeutlichen: Heute verlieren wir mit der Zustellung von Zeitungen und Drucksachen 60 Millionen Franken pro Jahr. Wir werden weiterhin das Unmögliche versuchen, aber wir können nicht noch mehr verlieren. Das ist Geld, das letztlich andere Konsumenten bezahlen.
«Ich verdiene rund 13 000 Franken pro Monat»
Post-Chef Christian Levrat
Mit Ihrem 25-jährigen politischen Engagement haben Sie so tiefe Spuren hinterlassen, dass Sie sich nun ständig rechtfertigen müssen.
Zunächst einmal bin ich froh, wenn ich ein paar Spuren hinterlassen konnte. Wenn eine Diskussion entsteht, stört mich das nicht. Es ist eine Gelegenheit, über die Entwicklung der Gesellschaft und damit auch über die der Post in den letzten 20 Jahren zu diskutieren. Weniger geduldig bin ich, wenn Journalisten, deren Beruf es wäre, die Entwicklung zu analysieren, einfach Zitate von vor 20 Jahren hervorholen, ohne dies transparent zu machen oder den Inhalt zu diskutieren. Für mich ist das amateurhafter Journalismus.
Für viele waren Sie während Ihrer politischen Amtszeit ein Held. Heute bezeichnet man Sie als Verräter oder zumindest als jemanden, der die Seiten gewechselt hat.
Wenn die Situation heute die gleiche wäre wie 2004, als wir über die Initiative «Postdienste für alle» abstimmten, könnte ich das verstehen. Aber angesichts der tiefgreifenden Veränderungen, die stattgefunden haben, ist es nur vernünftig, das Unternehmen weiterzuentwickeln. Meine Grundhaltung ist immer noch dieselben. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass der Service public für unser Land entscheidend ist, dass die Post einen wichtigen Beitrag für die Schweiz leistet und dass ein Zugang zu ihren Dienstleistungen für alle unerlässlich ist. Um unserem Auftrag gerecht zu werden und Arbeitsplätze zu sichern, müssen wir mutig sein, uns weiterzuentwickeln.
Sie verdienen 230'000 Franken für ein 50-Prozent-Pensum. Das ist doch enorm.
Ich bin froh, dass Sie das erwähnen, denn es gibt viele Gerüchte darüber. Auch wenn ich dieses Thema nicht gern anspreche, bin ich transparent. Zunächst einmal arbeite ich praktisch zu 100 Prozent für die Post, mit Wochen, die genauso voll sind wie zu meiner Zeit als Bundesparlamentarier und Parteipräsident. Eine Tätigkeit, die es mir damals übrigens ermöglichte, etwas mehr zu verdienen als heute. Um konkret zu sein: Bei der Post verdiente ich im Jahr 2023 nach Abzug der Sozialabgaben 164'676 Franken. Natürlich netto, da ich weder einen Bonus noch eine Gewinnbeteiligung erhalte. Das sind rund 13'000 Franken pro Monat, ein komfortables Gehalt, mit dem ich sehr gut leben kann. Aber ist es wirklich skandalös in Anbetracht dessen, dass ich ein Unternehmen mit 46'000 Mitarbeitenden und einem Umsatz von sieben Milliarden führe? Das entscheidet die Bevölkerung. Ich kenne viele Manager von kleinen und mittleren Unternehmen oder Beamte, die genauso viel oder sogar noch mehr verdienen.
Ist die Politik für Sie vorbei?
Ja, mit der Politik habe ich abgeschlossen. Ich habe einen Schlussstrich gezogen, ein neues Kapitel aufgeschlagen. Mein letztes politisches Mandat war das des Gemeinderats meiner Gemeinde Vuadens. Ich habe 25 Jahre lang Politik gemacht und glaube, mehr oder weniger alles gesehen zu haben, was es zu sehen gibt. Ich bin sehr glücklich bei der Post. Klar muss ich manchmal unpopuläre Entscheidungen treffen, aber das ist Teil des Jobs. Was die Politik selbst betrifft, bin ich lieber zurückhaltend. Ich war schon immer misstrauisch gegenüber denen, die ihren Nachfolgern Lektionen erteilen. Ich möchte nicht in diese Falle tappen.