Für die meisten Fernsehzuschauer in der Schweiz ist Alexandra Gubser, 54, die SRF-Korrespondentin in Frankreich. In Paris ist die Zürcherin «La reine de la trottinette» – zumindest für den Garçon des Bistros Chez Linette im 7. Arrondissement. Als ihm Alexandra beim Vorbeifahren zulächelt, ruft er freudig: «Die Königin des Trottinetts!» Man kennt sich. Die Schweizerin wohnt ums Eck. Kehrt sie mit Ehemann Patrick, 64, im Bistro ein, ordern beide gern die Spezialität des Hauses: Linette burger, frites et salade – und zum Dessert Soupe de fraises.
Dass die «Königin» in ihrer Schweizer Heimat gerade gegen das Protokoll verstossen hat, weiss im «Linette» keiner. Als am Sonntag vor zwei Wochen nach dem zweiten Wahlgang der Sieg des amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron, 44, feststand, zeigte sich Gubser heilfroh und meinte, ihr sei «wie vielen anderen auch ein Stein vom Herzen gefallen». Dass sie damit gegen die Leitlinien ihres Arbeitgebers verstiess, der Neutralität und Objektivität bei politischer Berichterstattung vor- schreibt, ist ihr bewusst. «Das hätte mir nicht passieren dürfen.» Nach monatelanger Anspannung habe sie sich einfach von der Erleichterungswelle um sie herum mitreissen lassen. «Ich bin nun mal kein Roboter, ich bin ein Mensch mit Emotionen.» Und: Alexandra Gubser hat eine Haltung.
Dass sie Journalistin werden möchte, steht für Alexandra früh fest. «Mit 13 hing über meinem Bett ein Fresszettel, darauf gekritzelt: ‹Ich werde Journalistin.›» Das Handwerk lernt Gubser von der Pike auf, nach ihrer Lehre zur Verlagskauffrau beim «Tages-Anzeiger». Sie verfasst Buch-Besprechungen für den «Züritipp», absolviert ein Redaktionsvolontariat im Magazin-Teil der Wochenzeitung «Sport», wird Chefredaktorin beim «Anzeiger der Stadt Kloten». Dort lernt sie Patrick kennen. 23 Jahre sind sie verheiratet, ihr Jawort gaben sie sich am 9. 9. 99 in Las Vegas. «Er arbeitete bei der Konkurrenz-Zeitung, wir zogen uns stets gegenseitig auf. Der Spruch: Was sich liebt, das neckt sich, bewahrheitet sich bei uns.»
Früh blüht auch Gubsers Liebe zu Frankreich auf. Um Französisch zu lernen, geht die Tochter eines Managers und einer Werbeberaterin für zwei Jahre nach Genf. Ihren Vater verliert sie früh. «Ich war acht, als er an einem Herzinfarkt starb.» Ein weiteres halbes Jahr feilt sie an der Columbia University in New York an ihrem Englisch. Sie spricht beide Sprachen perfekt.
Als sie 2017 Korrespondentin in Paris wird, tritt Emmanuel Macron gerade als jüngster Präsident in der Geschichte der Fünften Republik sein Amt an. «Die Leute hatten Sternchen in den Augen», erinnert sich Gubser. Er habe Optimismus verbreitet, ähnlich wie einst Obama in den USA. Fünf Monate später sei es für den Neuen mit der Schonfrist vorbei gewesen. Die Abschaffung der Vermögenssteuer für Reiche und die Kürzung des Wohngelds für Arme sorgten beim Volk für Ärger. «Obwohl Letzteres eine Massnahme war, die von Amtsvorgänger Hollande beschlossen worden sei – beim Timing hätte es für Macron nicht blöder laufen können», so Gubsers Einschätzung.
Sie begleitet die Rebellion der Gilets jaunes, erlebt die Wut der Franzosen. «Als wir auf der Terrasse des Studios im siebten Stock über die Demos berichteten, attackierten sie uns von der Strasse aus mit Feuerwerkskörpern und Steinen.» Konnte Gubser zu Beginn von einem Bonus als Schweizer Medienschaffende profitieren, ist es heute damit vorbei. «Das Land ist ein anderes. Die Franzosen erlebten Krise um Krise, sie sind arg gebeutelt», lautet ihr Fazit.
Lässt es ihre Zeit zu, streift Alexandra gern durch eines der 180 Museen in der Stadt der Lichter. Sehenswert sei im Louvre die Schau über Taharqa, den vergessenen Pharao des Nubierreichs, das Pop-Air-Projekt in La Villette, wo Gross und Klein mit aufblasbaren Dingen rumspielen können, sowie die Ausstellung von Picasso-Tochter Maya Ruiz-Picasso im alten Stadtpalais.
Dass ihr Job spannend ist, daran zweifelt Alexandra Gubser nicht im Geringsten. Sie liebt Abwechslung, Unvorhergesehenes, auch den damit manchmal einhergehenden Adrenalinkick. In der Diele ihrer Pariser Altstadtwohnung im fünften Stock hängt ein altes, gerahmtes Kinoplakat des James-Bond-Klas- sikers «Goldfinger». Darauf prangt: «Back in Action». Es ist sogar von Sean Connery signiert. «Das Geschenk einer Freundin», sagt Alexandra. Sie ist 007-Fan, liebt Krimis des norwegischen Schriftstellers Jo Nesbø, liest aber genauso gern Biografien von Persönlichkeiten wie Marion Gräfin Dönhoff, der Grande Dame des deutschen Journalismus. Bereits als Kind habe sie ihre Nase stets in ein Buch gesteckt. «Ich habe gelesen, gelesen, gelesen.»
Wenn Alexandra Gubser vom politischen Weltgeschehen mal gar nichts mitbekommen will, taucht sie ab. Die Unterwasserwelt fasziniert sie seit 20 Jahren, angefangen mit dem Hobby hat ihr Mann. «Mir würde es allerdings nie im Traum einfallen, im Zürichsee zu tauchen», sagt sie lachend. «Wir sind Inselhüpfer und vor allem dort anzutreffen, wo es warm ist und wo es schöne bunte Fische hat.» Auch in die ehemals berühmte Haifischgrube Fosse aux requins bei Mauritius wagte sich die Journalistin schon. «Ein Dutzend Haie schwammen dort um uns herum», schwärmt Alexandra. Die Tiere findet sie faszinierend. Weil sie extrem elegante Schwimmer sind und ein soziales Leben hätten.
Endlich mal wieder ausschlafen, das steht für Gubser nach dem jüngsten Wahlkrimi um Emmanuel Macron und Marine Le Pen zuoberst auf ihrer To-do-Liste. In den vergangenen zwei Monaten hatte die Journalistin kaum ein freies Wochenende. Umso mehr freut sie sich, dass jetzt ihr Mann bei ihr ist. Patrick besucht Alexandra so oft wie möglich. Unter der Woche wohnt der Aviatik-Journalist in einer kleinen Wohnung in Oerlikon. Ihr Schweizer Domizil hat das Paar untervermietet. Patrick würde gern mit seiner Frau nach Berlin zügeln – wenn sie dort eine Wohnung findet.
Ab Sommer ist Alexandra Gubser nicht mehr vor dem Eiffelturm zu sehen, sie wird aus Deutschlands Hauptstadt berichten. Paris vergessen wird sie nicht. «Besonders die deutsch-französische Freundschaft wird mich weiter beschäftigen.» Macron sei Dank. Unter Le Pen wäre sie aufgekündigt worden.