Die wahre Herausforderung beginnt für Angelica Moser, 21, erst nach dem Wettkampf. Als sie Mitte Juli an der U23-EM wieder einmal Gold geholt hat, bleibt sie mit ihrer Familie noch eine Woche in einem Häuschen am See in Schweden. Das Programm: erholen, geniessen. Und vor allem dem Rücken Ruhe gönnen, der ihr im Frühling Schmerzen bereitet hat. Zwei Tage Pause? Okay. Aber noch länger ruhig herumsitzen? Bitte nicht!
Angelica hebt ab
Es muss etwas laufen bei Angelica Moser. «Ich kann problemlos zehn oder zwölf Stunden schlafen, dafür habe ich dann den ganzen Tag Energie», lacht die 21-Jährige, nachdem sie ein paarmal per Vorzeige-Köpfler in die Thur bei Andelfingen ZH gesprungen ist. Einfach nur planschen gibts kaum einmal, wenn die Familie gemeinsam baden geht.
Hier, im Zürcher Weinland, verbringt Angelica meist die Wochenenden bei ihren Eltern im alten Dorfkern von Andelfingen. Der Urgrossvater hat in diesem Haus noch gebauert. Unter der Woche lebt sie aber mittlerweile in Biel BE, trainiert in Magglingen BE, studiert in Bern. Wobei sie das Wirtschaftsstudium momentan eher als Hobby bezeichnet. Bestnoten gibts trotzdem.
Bewegungs- und wettkampfhungrig sei sie schon als Kind gewesen, erzählt Mutter Monika, 54. «Bei ihr gings immer drum: Wer ist am schnellsten dort? Es konnte nicht genug Action sein.» Auch Schwester Jasmine, 24, ist Stabhochspringerin, ebenso die Freunde der beiden. Angelica ist mit Schweizer Meister Dominik Alberto, 27, liiert.
Siegen haben sie im Blut
Die Erfolgsgene sind in der Familie gut vertreten: Vater Severin, heute CEO von Allianz Suisse, nimmt 1988 als Zehnkämpfer an den Olympischen Spielen in Seoul teil. Mutter Monika, studierte Biochemikerin, war ebenfalls Leichtathletin und ist heute Trainerin, sitzt im Vorstand vom Verband Swiss Athletics. Und Onkel Jürg Stahl ist Präsident von Swiss Olympic.
Seit Jahren ist die Stabhochspringerin internationale Spitze in den Nachwuchskategorien. Vom Jugend-Olympiasieg bis zum U20-Weltmeister-Titel hat sie sieben internationale Goldmedaillen gesammelt. 4,65 Meter ist das Höchste, was sie bisher gesprungen ist, dieses Jahr an der Hallen-EM der Elite: Als Vierte verpasst sie dort ihre erste Medaille bei den «Grossen» nur knapp.
«Bei Angelica gings immer darum: Wer ist am schnellsten dort?»
Der Wettkampfgeist sitzt tief. Kaum gibts eine Pause zwischen zwei Aufnahmen des SI-Fotoshootings, sind Vater und Tochter am «Fingerknöchel-Tütschen» oder suchen die beste Stelle im Wasser für noch einen Sprung. Sticheleien inklusive. «Fürs Bild schnell rennen? Das könnt ihr doch gar nicht mehr», witzelt Angelica. Dabei weiss sie sehr wohl, wie sportlich ihre Eltern noch sind. Monika leitet sogar ihr Sprint- und Sprungtraining, das ist ungefähr die Hälfte ihres Trainings.
Moser begeistern verschiedenste Sportarten
Die Mutter-Tochter-Beziehung funktioniert sportlich genauso gut wie privat. «Sie kennt mich viel besser als andere Trainer», sagt Angelica Moser, die auch noch ins Kunstturn-Training geht, «sie kann am besten einschätzen, ob ich müde bin.»
Um den Hals trägt sie ein Kettchen, das ihre Mutter bei einem Goldschmied hat anfertigen lassen: Die olympischen Ringe und ganz fein hineingearbeitet eine Stabhochspringerin.
«Sie hat eine gute Mischung aus Lockerheit und Zielstrebigkeit»
Bei ihrer olympischen Premiere 2016 in Rio de Janeiro waren die Eltern vor Ort mit dabei, und auch an den Weltmeisterschaften in Katar in diesem Frühherbst verbinden sie den Wettkampf mit Ferien.
Sie wissen, wenn sie im Stadion sitzen: Angelica kanns auf den Punkt bringen, wenn es zählt. Steht sie auf dem Platz, will sie den Titel. «Sie hat eine gute Mischung aus Lockerheit und Zielstrebigkeit», sagt der Vater.
Ans Gefühl in der Luft fast fünf Meter über dem Boden hat sich Angelica Moser längst gewöhnt. «In der Luft rumzufliegen, kenne ich ja vom Kunstturnen schon.» Und Überfliegerin will sie noch so lange wie möglich bleiben.