Pünktlich auf die Minute steigt Nadine Strittmatter, 36, aus dem Auto. Ihr Vater hat sie frühmorgens zum Zürich Zoo gefahren, wo das Shooting mit der Schweizer Illustrierten stattfindet. Die Aargauerin lebt seit sechs Jahren in Paris – am Abend zuvor ist sie angereist und hat bei den Eltern in Baden AG übernachtet.
Nadine Strittmatter, als Model sind Sie viel unterwegs. Wie haben Sie das letzte Jahr erlebt, als die Welt plötzlich stillstand?
Der Beginn der Pandemie war extrem ruhig. Aber irgendwie hats mir gefallen, länger an einem Ort zu sein. Das gabs bei mir in den letzten Jahren nie. Ich habe fast drei Monate mit Freunden auf deren Bauernhof in der Nähe von Paris verbracht und habs extrem genossen.
Hat der Stillstand bei Ihnen etwas verändert?
Ich war schon immer sehr reflektiert, die Pandemie hat mich nicht so erschüttert. Ich habe aber gemerkt, dass ich glücklich bin, wenn ich einfach lesen oder schreiben kann. Ich höre mich an wie eine Erstklässlerin (lacht).
Haben Sie neue Seiten an sich entdeckt?
Kochen! Früher war das gar nicht mein Ding. Jetzt hab ich gelernt, selber Pasta zu machen. Mein Urgrossvater und mein Grossvater hatten eine Teigwarenfabrik – nun habe ich alte Familienrezepte nachgekocht. Und ich bin wieder mehr geritten. Eine Leidenschaft, die in den letzten Jahren zu kurz kam. Ich bin mit Pferden aufgewachsen.
Hatten Sie engen Kontakt zu Ihrer Familie in der Schweiz während des Lockdowns?
Seit eh und je telefoniere ich immer sonntags mit meinen Eltern – das hat sich nicht verändert. Besuchen wollte ich sie in Baden aber nicht unbedingt, weil ich Angst hatte, sie anzustecken.
Mit 16 Jahren beginnt die Aargauerin Nadine Strittmatter international zu modeln und landet schnell auf den Titelseiten von «Elle», «Vogue» und «Harper’s Bazaar». Sie läuft für Chanel, Dior und Givenchy über den Laufsteg und arbeitet mit den besten Designern der Welt zusammen, etwa mit Giorgio Armani oder Karl Lagerfeld. Ihr Schmollmund und der schlaksige Gang faszinieren Fotografen von Tokio bis New York. Ihr Markenzeichen aber ist der leicht mürrisch wirkende Blick.
Warum dieser Blick?
Ein Zahnpastalächeln ist in der High-Fashion-Mode halt nicht unbedingt gefragt. Ausserdem ist der «Bitte adoptiere mich!»-Welpenblick nicht mein Ding – das bin einfach nicht ich!
Wie hat sich die Modebranche in den letzten 20 Jahren verändert?
Früher ging man grober mit uns um. Als die #MeToo-Debatte aufkam, dachte ich, bei mir gabs nie irgendwelche Vorfälle. Aber wenn ich genau überlege: Als junges Model hörte ich oft, ich solle ja nicht braun werden oder zunehmen. Klar, das ist kein sexueller Missbrauch, aber trotzdem auf eine Weise ein Machtmissbrauch, den ich erlebte.
Für die meisten Models ist mit Mitte 30 die Karriere vorbei, Sie sind gefragt wie eh und je.
Die Branche wird immer vielfältiger. Heute sind alle Hauttypen, Formen und Alter gefragt. Das gefällt mir. Die Designer wollen nicht nur die ganz jungen weissen 16-jährigen Frauen.
An diesem Vormittag ist es frisch, die Outfits von Nadine Strittmatter sind luftig. Dass sie während des Shootings friert, sieht man dem Topmodel auf den Bildern nicht an. In den Pausen wärmt sie ihre Finger an einem Teebecher. «Dass die Giraffen nicht aus ihrem Gehege rauskommen wollen, verstehe ich», sagt das Model und lacht. Das Shooting findet in der Lewa Savanne des Zoos in Zürich statt – denn das Model hat eine besondere Verbindung zu Afrika.
Nadine, was fasziniert Sie an Afrika?
Ich besuchte vor einigen Jahren mit einer humanitären Organisation Spitäler in Tansania. Ich sah aidskranke Menschen, sterbende Männer und gebärende Frauen – und das alles unter prekären Umständen. Das ist mir krass eingefahren. In der Schweiz leben wir in einem Mikrokosmos, der nicht normal ist.
Was hat diese Reise in Ihnen ausgelöst?
Wenn man immer nur in der Schweiz lebt, fängt man an, sich über das Wetter und andere Kleinigkeiten aufzuregen. Doch das sind alles nur Champagnerprobleme.
Für Ihre Badekollektion, die Sie mit Beldona entworfen haben, hat Sie Kenia inspiriert. Was bedeutet das Land für Sie?
Ich war schon vier-oder fünfmal da. Wenn ich eine Auszeit brauche, reise ich nach Kenia. Das Land bedeutet für mich Freiheit und Abenteuer. Ich schlafe da auch gern in einem Lehmhüttli oder im Zelt. Privat brauche ich keinen Luxus.
Wie kam es zu der Kollektion mit Beldona?
Ich fand es stets schwierig, schöne Badekleider zu finden. Darum habe ich jetzt meine Lieblingsstücke entworfen, die ich immer selber wollte. Beldona stammt wie ich aus Baden, die Firma gab mir einen der ersten Jobs. Eine alte Schweizer Marke – wie ich (lacht).
Können Sie sich vorstellen, irgendwann wieder in der Schweiz zu leben?
Ich liebe das Land, vor allem die Berge. Ob ich aber hier leben könnte, weiss ich nicht. Vielleicht, wenn ich viel älter bin. Zurzeit ist Paris meine Heimat.