Wie mache ich mich als Fahnenträgerin?», fragt Christa Rigozzi, 40, mit einem verschmitzten Lachen. «Grossartig. Wir würden dich sofort nehmen!», sagt Denys Gianora, Ehrenpräsident der Milizia Storica di Leontica, begeistert. Möglich wäre es. Obwohl die aktiven Milizen momentan alles Männer zwischen 11 und 77 Jahren sind – gut 40 an der Zahl –, geht das Volksfest mit der Zeit und liesse auch Frauen zu, wäre das Interesse vorhanden.
Vorerst begnügt sich Rigozzi mit der Rolle als Botschafterin für den Anlass. Dies nicht nur mit grosser Freude, sondern mit echtem Herzblut, denn ihre Wurzeln liegen in dieser Gegend: «Meine Familie stammt aus dem Bleniotal. Ich habe schon in meiner Kindheit sehr viel Zeit hier verbracht.»
Alter Brauch mit modernem Twist
Die Milizen aus dem knapp 70 Seelen zählenden Dörfchen Leontica, das seit 2004 politisch zur Gemeinde Acquarossa gehört, sind weit über die Grenzen des Bleniotals hinaus bekannt. So stehen sie auf der ausgesuchten Liste der «Lebendigen Traditionen in der Schweiz» des Bundesamts für Kultur und sind in ganz Europa unterwegs. Sie paradierten zum Beispiel schon in Rom im Umfeld der Schweizergarde. Nächstes Jahr werden sie am Eidgenössischen Musikfest in Zürich dabei sein. Das jährliche Highlight ist aber natürlich jeweils ihr eigenes Fest am Tag des heiligen Johannes, des Schutzpatrons des Dorfs.
«Solche uralten Traditionen weiterzugeben, das ist wunderschön», sagt Christa Rigozzi. «Und ich finde es beeindruckend, dass man es schafft, einen über 200 Jahre alten Brauch in die heutige Zeit mit einem Touch Moderne weiterzuziehen, ohne dass er das Ursprüngliche verliert.» Sie selbst habe es leider noch nie ans Fest geschafft. «Aber noch besser: Ich habe bei meinem Besuch in Leontica eine Privatvorführung erhalten!»
Das Bavonatal gehöre zu seinen liebsten Naherholungsgebieten, sagt Sebalter, 38. Von seinem Wohnort Bellinzona aus beträgt die Anfahrt eine knappe Stunde. «Und schon ist man in einer atemberaubenden Umgebung mit kaum berührter Natur», so der ESC-Musiker, der mit richtigem Namen Sebastiano Paù-Lessi heisst. Im vom Maggiatal abzweigenden Bavonatal liegen lediglich eine Handvoll Weiler aus Steinhäuschen (und je einer Kirche), welche nur im Sommer bewohnt sind. Auf der einzigen asphaltierten Strasse, die sich durch das Tal zieht, marschieren die Teilnehmenden der Processione di Gannariente jeweils im Mai die nicht ganz zehn Kilometer lange Strecke von Cavergno zum Oratorio von Gannariente. Die rund vierstündige Prozession habe mittlerweile den Charakter eines gemütlichen Familienspaziergangs, sagt Remy Dalessi, Leiter des Departements Sport und Freizeit der Gemeinde Cevio, zu der das Bavonatal politisch gehört. «Die meisten treffen sich nach dem Gottesdienst in Gannariente zu einem Familienfest.»
Dabei ist der jahrhundertealte Brauch mittlerweile so bekannt, dass bei Weitem nicht alle Teilnehmenden im kleinen Kirchlein, wo die Messe stattfindet, Platz haben. «Wir übertragen sie mit Mikrofonen nach draussen», sagt Dalessi. «Dieses Jahr waren es 350 Menschen. Was natürlich auch daran lag, dass das Wetter gut war. Wenns regnet, sinds jeweils nicht so viele.» Trotzdem beeindruckend, wenn man bedenkt, dass die Prozession um sechs Uhr morgens beginnt. «Nicht ganz meine Zeit», meint Sebalter lachend. «Aber in dieser magischen Umgebung den Sonnenaufgang zu erleben, hat schon seinen Reiz.» Dabei würde er die Strecke wohl ohne seine dreijährige Tochter unter die Füsse nehmen: «Sie kommt gern mit zum Wandern – aber nach fünf Minuten will sie jeweils getragen werden.» Doch ist es ihm durchaus wichtig, seiner Tochter auch Traditionen mitzugeben. «Solche ursprünglichen Bräuche schaffen eine Verbundenheit mit der Heimat. Das finde ich schön.»