Dieses Bild besiegelt den historischen Moment: Nach seinem 40-minütigen Gespräch mit US-Präsident Donald Trump, 72, verewigt sich Ueli Maurer, 68, am Donnerstag vergangener Woche im Gästebuch des Weissen Hauses.
Wie der Schweizer Bundespräsident mit ernster Miene auf dem Lederstuhl sitzt und Trump, der mächtigste Mann der Welt, hinter ihm strammsteht, zeigt: Maurer ist angekommen. Da, wo es ihm seine Gegner nie zugetraut hätten: auf dem Weltparkett.
Doch der Besuch von Maurer wird nicht nur deshalb in Erinnerung bleiben, weil er der erste Schweizer Präsident ist, der offiziell eine Audienz im Oval Office erhält, sondern auch wegen seiner sprachlichen Stolperer. So schreibt er ins Gästebuch «Withe House» statt «White House» und antwortet der CNN-Reporterin auf die Frage nach einer Vermittlung im Iran-Konflikt «I can nothing say.»
Peinlich und provinziell, kritisieren ihn die einen in den sozialen Medien, hemdsärmlig und sympathisch loben ihn andere. «Ueli hat Ecken und Kanten. Genau das mögen die Leute», sagt Wegbegleiter alt SVP- Nationalrat Hans Fehr. «Wie er sich vom Bauernsekretär zum Staatsmann entwickelt hat – für mich unglaublich!»
Der schüchterne Junge mit den dunklen Locken wächst mit vier Geschwistern in ärmlichen Verhältnissen in Hinwil im Zürcher Oberland auf. Sein Vater ist Pächter eines 20-Hektaren-Milchwirtschaftshofs.
«Als Aussenseiter in geflickten Kleidern wurden wir verspottet», erzählte er der «Weltwoche». Doch als er in der Schule merkte, dass er besser ist als die anderen, habe ihn das nicht mehr gestört. Die Lehrerin will ihn ins Gymi schicken – nur weiss bei den Maurers damals niemand, was das Gymnasium ist.
Er macht das KV bei der Landi, erhält das Buchhalterdiplom und führt mit 23 Jahren eine landwirtschaftliche Genossenschaft mit 70 Angestellten. «Mich gegen Studierte zu behaupten, war stets eine Herausforderung, die mich reizte.»
Wer denkt, Maurer habe erst als Bundesrat die Welt entdeckt, irrt. Schon während der Lehre reist er per Autostopp von Sizilien ans Nordkap, seine Frau Anne-Claude, eine Missionarstochter, lernt er bei seinem USA-Trip am Flughafen von Seattle kennen.
«Wir haben nicht gemerkt, dass wir aus der Schweiz sind. Verliebt haben wir uns sozusagen auf Englisch.» Die beiden überlegen sogar, nach Kanada auszuwandern. Doch sie entscheiden sich für die Heimat, gründen eine Familie. Sie kümmert sich um die sechs Kinder, er schafft es vom Gemeinde- zum SVP-Nationalrat und wird Geschäftsführer des Bauernverbands.
Hans Fehr, damals Parteisekretär der SVP Zürich, arbeitete Tür an Tür mit Maurer: «Morgens um sechs Uhr haben wir uns stets zum Kaffee getroffen und uns einen Spass daraus gemacht, die politische Lage in einem Satz auf den Punkt zu bringen.»
Kein anderer Politiker wurde während seiner Laufbahn so oft belächelt und verunglimpft wie Maurer. Trotz seiner Angriffslust und seinen Erfolgen als Präsident der SVP mit zwölf neu gegründeten Kantonalsektionen stellt Viktor Giacobbo «Ueli den Knecht» in seinem «Spätprogramm» regelmässig als dummen Befehlsempfänger von Christoph Blocher dar.
Bei Maurer, der selbst kaum fernsieht, hinterlassen die Witze auf seine Kosten weniger Spuren als bei seiner Familie – wie er der SI bei seiner Wahl in den Bundesrat im Dezember 2008 verrät: «Für meine Kinder ist die Wahl eine Art Genugtuung. Sie haben oft unter ihrem prominenten Vater gelitten.»
Im VBS wirkt Maurer mit seiner «besten Armee der Welt» immer isolierter und unglücklicher – doch das ändert sich mit seinem Wechsel ins Finanzdepartement Anfang 2016. Das spürt man schon, als die SI ihn kurz danach zum Grenzwachtkorps ins Tessin begleitet. Ein gut gelaunter Bundesrat schwärmt von den Sommern am Lago di Lugano mit seiner Familie und hält Drogenhund Gin seine Krawatte vor die Schnauze.
«Ich mag neue Herausforderungen!», sagt Maurer zu seinem neuen Posten. Weniger Freude an seiner zunehmend konzilianten Tonart hat seine Partei. Die von SVP-Nationalrat Roger Köppel geführte «Weltwoche» betitelt ihn letzten Herbst sogar als «halben SVP-Bundesrat» – ein Ausdruck, der Maurer früher gerne für Samuel Schmid verwendete.
Wie respektiert Maurer als Finanzminister bei Linken und Rechten ist, zeigt seine Wahl zum Bundespräsidenten im Dezember. Mit 201 von 209 Stimmen macht er das beste Resultat seit drei Jahrzehnten. «Politik muss Spass machen», ruft darauf ein entfesselter Maurer in seiner Rede. «Und ich glaube, das soll die Bevölkerung auch spüren: dass hier Leute am Werk sind, die mit Freude versuchen, das Beste für unser Land herauszuholen.» Regula Rytz, Präsidentin der Grünen, twittert: «Trotz aller inhaltlicher Differenz: Chapeau!»
Doch nur wenige Wochen später hat Maurer wieder mal «keine Lust». Er lässt einen Auftritt in der SRF-Sendung «Eco» zur AHV-Steuervorlage platzen – weil ihm die Aussage «Alter Wein in neuen Schläuchen» nicht passt.
Kathy Riklin, Zürcher CVP-Urgestein, glaubt, dass Maurer diese «Aussetzer» selbst bereut. Seine Wandlung vom Haudegen zum Staatsmann lobt die Aussenpolitikerin, übt aber Kritik an seiner Haltung: «Ich wünschte mir, Ueli Maurer würde als Bundespräsident die Kontakte zu unseren europäischen Partnern mindestens so pflegen wie jene zu den USA und China.» FDP-Frau Christa Markwalder appelliert: «Nun soll Ueli die Krise mit der EU kitten.»
Doch so einfach ist das wohl nicht. Denn egal, ob er mit den Mächtigen der Welt verhandelt oder in der Schweiz mit den Finanzen haushaltet – Maurer bleibt trotz aller Differenzen im Herzen SVPler. Drei Tage nach seinem Besuch in den USA verbucht der Bundespräsident mit dem Ja zum AHV-Steuerpaket einen weiteren Erfolg. Und teilt an der Pressekonferenz munter einen Seitenhieb nach Brüssel aus. «Die Schweiz braucht zwar manchmal etwas länger, fällt aber am Schluss pragmatische Entscheide.»
Nach Auslandsreisen freue er sich stets auf daheim – und darauf, mit seinem Velo vom Zweitwohnsitz im Berner Oberland «mit Aussicht auf Kühe und Weiden» ins Bundeshaus zu fahren. «Es gibt nichts Schöneres, als in den Morgen zu radeln.» Den Stallgeruch – Maurer wird ihn nie verlieren.