Im Juli 2017 treffen Ueli Maurer und Viktor Giacobbo aufeinander. Beide halten eine Rede zu 150 Jahre Schweizer Botschaft in Berlin. «Maurer begrüsste mich freundlich und fragte, wann ich ihn das letzte Mal parodiert habe», erzählt der Satiriker. Seine Kunstfigur des leicht vertrottelten Befehlsempfängers von Christoph Blocher bringt die Zuschauer während Jahrzehnten zum Lachen.
«Ich wusste, dass der Bundesrat kaum Medien konsumiert, aber natürlich im Bild ist, dass wir ihn thematisieren. Im Gegensatz zu anderen Politikern reagierte er darauf stets cool.» Danach haben die beiden zusammen einen Happen gegessen. Auch wenn Giacobbo selten mit Maurers Ansichten einverstanden ist: «Er sorgte zeitweise immerhin für Unterhaltung in der Politik. Das ist erfrischend in dieser todernsten Branche.»
Nun hat Ueli Maurer keine Lust mehr auf Politik. «Ich will wieder der normale Ueli sein», sagt der 71-jährige Finanzminister an der Pressekonferenz zu seinem Rücktritt aus dem Bundesrat. Das ist speziell, weil wohl kein anderes Mitglied der Landesregierung seinem «normalen» Ich so treu geblieben ist wie Maurer.
Auch wenn der Bauernsohn aus Hinwil im Zürcher Oberland die Gummistiefel gegen den Anzug eingetauscht hat, den Stallgeruch pflegt er in seinen 14 Jahren als Magistrat mit Absicht. «Mir ist egal, wer mein Nachfolger oder meine Nachfolgerin wird. Hauptsache, es wird kein Es.» Solche spitzen Sprüche klopfen andere Politiker höchstens am Stammtisch.
«Ueli liebt es, zu kokettieren und gezielt zu provozieren», sagt sein langjähriger Wegbegleiter, alt SVP-Nationalrat Hans Fehr (75). Während sich seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter im Bundesrat bemühten, stets korrekt zu sein, nehme es Maurer in Kauf aufzulaufen. Dass er damit auch immer mal wieder das Kollegialitätsprinzip ritzt, sorgt zwar für Kopfschütteln, aber es wird ihm stets verziehen – weil er halt eben der Ueli ist.
«Sein Auftritt im Treichlerhemd und die verächtlichen Aussagen gegenüber den Medien gefallen mir gar nicht. Doch ich mag solche ehrlichen Menschen lieber als diejenigen, die ihre äusserliche Rolle perfekt runterspulen, aber innerlich komplett anders sind», sagt SP-Nationalrätin Jacqueline Badran (60) die mit Maurer viele politische Kämpfe ausgetragen hat.
Selbst wenn er des Öfteren unter den magistralen Pflichten zu leiden scheint – Maurer ist ein leidenschaftlicher Politiker. «Früher haben wir uns um sechs Uhr zum Kaffee getroffen, und Ueli hat sich einen Spass daraus gemacht, die politische Lage in einem Satz auf den Punkt zu bringen», erzählt Hans Fehr. Badran lobt Maurers mitreissende Rede, nachdem ihn das Parlament mit dem Top-Resultat von 201 Stimmen zum Bundespräsidenten 2019 gewählt hat. «Es wäre schön, wenn wir gemeinsam in diesem Jahr etwas Spass und Vergnügen ausstrahlen», so Maurer.
Auch sein Auftreten in der Wirtschaftskommission ist laut Badran staatsmännisch. «Er hört zumindest mir offen und richtig zu, geht auf meine Argumente ein und baut sie sogar manchmal ein. Das ist leider sehr selten in der Politik.» Überhaupt tritt Maurer nach dem Wechsel vom Verteidigungs- ins Finanzdepartement 2016 zunehmend motivierter auf. Nachdem er die erste Abstimmung zur Unternehmenssteuerreform III verloren hat und das mit den Worten «es scheisst mich an» quittiert, bringt er das Nachfolgeprojekt ins Trockene – gegen den Widerstand der eigenen Partei. Danach ist er im Hoch: Jahr für Jahr weist der «Säckelmeister» satte Überschüsse aus. Dann kommt die Pandemie.
Auf der einen Seite verantwortet Maurer die schnellen Covid-Hilfen aus der Wirtschaft – auf der anderen Seite meldet sich der provozierende Ueli zurück. Auf die Frage, ob er die Swisscovid-App runtergeladen hat, sagt Maurer. «Nei, machi au nöd. Ich chume nöd drus bi dem Zügs.»
Bei der SVP-Delegiertenversammlung bekräftigt er seine Sympathie für die Corona-Skeptiker: «… mir begegnen seit einiger Zeit immer mehr Leute, die sagen: ‹Me dörfs efäng nüme lut säge.›» Maurer sagt es – und hält sich auch bei seiner jüngsten Abstimmungsniederlage zur Verrechnungssteuer nicht zurück: «Das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge in der Bevölkerung schwindet.» Da wusste er schon, dass dies seine letzte Abstimmung als Bundesrat ist.
Doch was macht der «normale Ueli» nach der Politik? «Den Puls der Natur spüren», sagt Hans Fehr. Etwa indem er wieder öfters im Wald bei seinem Wohnort in Hinwil übernachtet. «Zudem hatte Ueli immer den Traum, ein Kinderbuch zu schreiben.» Seinen sechs Kindern habe er früher stets selbst erfundene Geschichten von Zwergen erzählt. Und was sagt Maurer, dessen «kä Luscht» längst Kult ist? «Ich habe Lust auf etwas Neues.»