Was für ein Sommertag! Der Himmel blau, die Sonne heiter. Doch Brigitte Voss (64) geht es gar nicht gut. Es ist der 5. August 2024. Steve Lees Geburtstag. Der Gotthard-Sänger wäre 61 Jahre alt geworden. Die 64-jährige Meditationslehrerin und Achtsamkeitstrainerin verkriecht sich in ihrer Dreizimmerwohnung ausserhalb von Davos GR. «Ich weiss nicht, warum ich ausgerechnet dieses Jahr an Steves Geburtstag wieder so traurig war. Es ist doch schon 14 Jahre her, dass er gestorben ist. In den letzten Jahren ging es mir besser», erzählt Brigitte Voss leise.
An diesem heissen Tag im August sitzt sie zu Hause auf dem Sofa, denkt über ihr Leben nach und erkennt, dass sie seit Steves Tod eigentlich nie mehr richtig glücklich war – ausser in der Spiritualität. Nebenbei scrollt sie durch ihr Handy und markiert mit einem Herzen ein Bild auf Facebook, das ein gewisser Joe Bachmann gepostet hat.
Szenenwechsel. Der 69-jährige Joe Bachmann ist seit der Gründung der Rockband Gotthard ein grosser Steve-Lee-Fan. Wie jedes Jahr postet der ehemalige Werber am Geburtstag des berühmten Sängers ein Bild von ihm mit Text. Um seiner zu gedenken. Mit Brigitte Voss ist er seit 2016 auf Facebook befreundet, sie kennen einander jedoch nicht persönlich. Obwohl …
Schicksalhafte Begegnung
Rückblende. Es ist der 17. Oktober 2010. 3000 Menschen nehmen auf dem Gotthardpass Abschied vom tödlich verunglückten Steve Lee. Unter den Trauergästen ist auch Joe Bachmann. «Es war eiskalt und stürmte. Ich sah Brigitte auf einem Hügel stehen. Sie fror und sah zutiefst traurig aus. Ich spürte, dass sie in diesem Moment der einsamste Mensch der Welt war. Ich wollte ihr Wärme geben und sie beschützen. Heute weiss ich, dass diese Empfindungen nicht nur von mir kamen. Ich bin sicher, Steve Lee hat mir diese Gefühle vermittelt. Ich konnte sie in jenem Moment aber nicht deuten. Ich traute mich damals nicht, zu Brigitte zu gehen.»
Dieses Jahr nun hat sich Joe Bachmann getraut. Er schreibt Brigitte Voss auf Facebook zurück, bedankt sich für ihre Anteilnahme. «Dieses Dankeschön hat sich so gut angefühlt, dass ich Joe danach mein Herz ausgeschüttet habe. Wir haben uns die ganze Zeit geschrieben. Später stundenlang telefoniert. Irgendwann fragte ich ihn, wie er überhaupt aussehe. Denn ich meinte, sein Profilbild sei ein Foto von Steve. Joe sagte, das sei er selbst. Unglaublich! Trotzdem: Nicht die Ähnlichkeit mit Steve löste bei mir Gefühle aus, sondern Joes Worte. Ich dachte: ‹Was passiert da?› Und schloss die Augen und liess sie wirken. Ich bin ja sehr hellfühlend. Ich spürte, Joe ist ein absolut liebenswerter Mensch und gibt mir Heilung.»
Natürlich weiss Joe Bachmann, dass er aussieht wie Steve Lees Zwillingsbruder. «Allerdings», betont er, «habe ich schon immer so ausgesehen.» Er musste einst sogar auf Facebook ein Foto von sich mit 19 Jahren posten, weil empörte Steve-Lee-Fans schrieben, er solle doch bitte aufhören, den Sänger zu kopieren. Sein Idol hat er übrigens nur einmal getroffen, bei einer CD-Taufe. «Steve unterschrieb die CD, und wir haben ein paar Worte miteinander gewechselt. Mehr nicht», erzählt der Luzerner, der heute noch als DJ und Komponist arbeitet.
Reise in die Spiritualität
Brigitte Voss und Steve Lee waren seit siebeneinhalb Jahren ein Paar, als der Gotthard-Sänger mit 47 Jahren bei einem tragischen Motorradunfall am 5. Oktober 2010 in den USA abrupt aus dem Leben gerissen wurde. Er starb in ihren Armen.
In jenem Moment fand Brigitte Voss zur Spiritualität. Die ehemalige Miss Schweiz (1981) machte sich danach auf die Suche nach sich selbst, reiste nach Indien. «Erst dort spürte ich mich wieder, meinen Schmerz, meine Freude. Ich lernte, vertiefter zu meditieren, und tauchte ein in die tiefen Frequenzen, wo man Lichtwesen begegnet», so Brigitte Voss. Es sei aber Steve gewesen, der sie aus dem Jenseits in die Medialität geschubst habe, erzählt sie weiter.
Auch Joe Bachmann fand zur Spiritualität. Am 25. Juni 2009 erlitt er einen Herzstillstand und überlebte nur mit Glück. «Nach dieser Nahtoderfahrung änderte ich mein Leben und wurde achtsamer», schildert er.
Reise ins Glück
28. August 2024: Brigitte Voss und Joe Bachmann treffen sich zum ersten Mal. An der Autobahnraststätte St. Katharina bei Luzern – in der Nähe von Joe Bachmanns Zuhause. «Wir wollten uns nicht in einem Restaurant verabreden, sondern an einem Ort, an dem wir nicht auffielen», erzählt Brigitte Voss. «Ich war so aufgeregt! Wir haben die ganze Zeit miteinander telefoniert, bis ich auf den Parkplatz eingebogen und ausgestiegen bin. Als ich ihn gesehen habe, sind mir die Tränen gekommen.» Auch Joe ist den Tränen nahe, als er Brigitte zum ersten Mal sieht. «Ich habe sie in den Arm genommen und gesagt: ‹Jetzt lass ich dich nie mehr los!›»
Seitdem sind Brigitte und Joe fast unzertrennlich. «Ich nehme die Ähnlichkeit von Joe und Steve wahr über die Energie, die Ausstrahlung und die Charaktereigenschaften der beiden. Sie gleichen sich so! Und ich weiss, dass Steve unsere Beziehung unterstützt.» Joe ergänzt: «Dass Steve von mir überzeugt ist, finde ich grossartig. Darum liebe ich Steve. Er ist in meinem Herzen. Wenn ich dies weitergeben kann an meinen Schatz, dann ist die Welt für mich in Ordnung.»
Und Joe schwärmt weiter: «Brigitte wird oft völlig falsch eingeschätzt. Sie ist keine Rockerbraut. Sie ist ein herzensguter Mensch. Ein Mensch, wie man ihn sich nur erträumen kann.» Brigitte schaut ihn an und sagt gerührt: «Danke, gleichfalls, Schätzi!»