Es ist noch früh am Morgen. In den Sony-Filmstudios in Los Angeles herrscht jedoch bereits emsiges Treiben. Eine SUV-Limousine mit getönten Scheiben hält beim grossen Regenbogen – einer Skulptur, die an das Lied «Over the Rainbow» aus dem Film «The Wizard of Oz» erinnert. Marc Forster und sein Assistent Octavio werden wie in Hollywood üblich von zu Hause an den Arbeitsplatz chauffiert. Beim Aussteigen blinzeln sie in die Sonne. «Sorry, ich hatte eine Erkältung und bin immer noch etwas schlapp», sagt Forster, 53, gleich zu Beginn. Die letzten Monate hatten es auch sonst ziemlich in sich für den Bündner Filmemacher: «Ich habe zum ersten Mal zwei Filme gleich hintereinander gedreht. Das habe ich etwas unterschätzt. Ich bin richtig erschöpft.»
In den USA läuft Forsters «A Man Called Otto» bereits erfolgreich im Kino. Nun startet die rührende Komödie auch in der Schweiz. Tom Hanks, 66, spielt den überkorrekten, griesgrämigen Witwer Otto, den an der heutigen Welt so ziemlich alles nervt. Gerade als er sich vorgenommen hat, mit dem Leben abzuschliessen, zieht gegenüber eine junge Familie ein. Wider Erwarten gelingt es der schwangeren Nachbarin, sich mit Otto anzufreunden und ihn aus seiner Isolation zu locken. «Mir hat der schwedische Roman ‹Ein Mann namens Ove› gefallen und auch der darauf basierende, oscarnominierte schwedische Film», erinnert sich Forster. «Ove ist wie eine Shakespeare-Figur, die in jedem Land funktioniert. Man könnte den Film auch mit einem Schweizer Bünzli drehen.»
«Tom Hanks ist immer wahnsinnig gut gelaunt und höflich»
Marc Forster
Der Regisseur muss nicht lange überlegen, bis ihm ein schwieriger Bünzli-Nachbar während seiner Kindheit in Davos in den Sinn kommt. Dieser hielt Kühe, deren Glocken nonstop bimmelten: «Aber jedes Mal, wenn unser Hund nach 22 Uhr noch eine Kuh anbellte, rief er die Polizei, und es gab eine Busse.»
«Tom Hanks liebt seine Arbeit»
Gedreht wurde «A Man Called Otto» nicht im Studio, sondern in Pennsylvania und in Ohio – mit Tom Hanks als Otto. Wie Forster wollten auch Hanks und seine Frau Rita Wilson den schwedischen Stoff adaptieren. Als Produzenten wurden sie mit Forster und dem Drehbuchautor David Magee, der bereits Forsters «Finding Neverland» geschrieben hat, schnell einig. «Ich hatte noch nie eine so harmonische Beziehung mit einem Schauspieler wie mit Tom Hanks», lobt der Schweizer den Hollywoodstar in den höchsten Tönen. «Ich habe vier Jahre mit ihm zusammengearbeitet, sechs Monate davon intensiv beim Dreh und beim Schneiden. Er ist immer wahnsinnig gut gelaunt, höflich und respektvoll. Er liebt seine Arbeit auch nach vierzig Jahren als Star, sowohl als Schauspieler als auch als Produzent. Er kommt am Morgen ans Set, und da bleibt er auf seinem Stuhl oder der Holzbank sitzen und zieht sich nicht wie andere Stars in seinen Wohnwagen zurück. Ich habe noch nie so etwas erlebt.»
Nicht so kooperativ wie der Star war hingegen das Winterwetter in Pittsburgh: «Am Morgen schneit es, und es ist kalt wie in Davos im Winter, aber am Nachmittag ist es wie Ibiza, und der Schnee ist weg. » Dann hiess es für die Crew, Schnee reinzubringen oder ihn später mit teuren Spezialeffekten in den Film zu kopieren. Eine Herausforderung war auch Hanks Co-Star, Kater Sméagol. «Man kann einer Katze keine Regieanweisungen geben, die läuft dann einfach weg», schmunzelt der Filmemacher. «Wir filmten sie stattdessen vor dem Green Screen und kopierten sie in die Szene.» Inzwischen hat Sméagol auch seinen ersten Auftritt auf dem roten Teppich hinter sich – Krawatte tragend im Partnerlook mit Tom Hanks.
Marc Forster ist überzeugt, dass «A Man Called Otto» durch die Pandemie und die Einsamkeit, die sie für viele mit sich brachte, noch mehr an Bedeutung gewonnen hat: «Ich glaube generell, dass das grosse Thema des 21. Jahrhunderts unsere mentale Wellness sein wird. Viele Menschen sind nicht happy, sind einsam oder haben Covid-Probleme. Dann der Krieg in der Ukraine, die Unwetter wegen der Klimaerwärmung – das alles belastet auch mich. Wir leben in keiner einfachen Zeit.»
Facetime mit Tochter Lia
Wie sich die Welt künftig entwickelt, beschäftigt ihn auch wegen seiner Tochter Lia in der Schweiz. Sie ist inzwischen 13 Jahre alt, und die beiden kommunizieren oft via Facetime. Seine Schweiz-Aufenthalte richtet Forster nach ihren Schulferien. «Lia ist wirklich ein tolles Mädchen geworden, ihre Mutter hat das super gemacht», sagt er stolz. Dass sie eines Tages ebenfalls beim Film ihr Glück versucht, bezweifelt er jedoch: «Sie hat schon Spass auf dem Set, aber ich glaube, sie macht einmal etwas anderes.»
Er weiss, wie hart es geworden ist, Filme fürs Kino zu realisieren: «Da hat man Erfolg, und trotzdem ist es schwieriger geworden, Filme zu finanzieren und in die Kinos zu bringen. Dass ‹A Man Called Otto› in den USA gut läuft, ist eigentlich ein Wunder, und dafür bin ich sehr dankbar.» Sein einziges Projekt in der Schweiz ist zurzeit als Ambassador und Investor der GNL-Gesundheitsschuhe des ursprünglichen On-Laufschuhtechnologie-Entwicklers Jürg Braunschweiler und dessen Sohn Eric. «Dank diesen Schuhen konnte ich eine Meniskusoperation verhindern», ist Marc Forster begeistert.
«Meine Tochter hat Spass auf dem Set, aber ich glaube, sie macht mal etwas anderes»
Marc Forster
Sein nächstes Projekt in Hollywood: die Verfilmung des Bestsellers «The Graveyard Book», in dem ein verwaister Junge von Friedhofsgeistern aufgezogen wird. Wie immer mit von der Partie: seine Produktionspartnerin Renée Wolfe. «Wir sind ein gutes, kreatives Team, kennen uns schon lange und stehen uns auch sonst sehr nahe», so Forster. Bevor im Sommer auch noch der zweite, bereits abgedrehte Film «White Bird: A Wonder Story» aus der Jugendbuchserie «Auggie and Me» mit Helen Mirren und Gillian Anderson in die Kinos kommt, will Forster aber erst einmal richtig abschalten: «Ich möchte weg, irgendwohin, wo es warm ist, und dort nichts tun ausser schwimmen und lesen.»