Zehn Meter hoch lag der Schnee an bestimmten Orten. Ein Stundenkilometer langsam kämpften sich die drei Schneefrässschleudern der Equipe von Werner Gnos durch die weissen Massen. Immer hin und her – bis sie unten auf der Gotthard-Passstrasse angelangt waren. 100 Meter schafft eine Fräse am Tag. «Das war die schönste Zeit der Schneeräumung. Wir sind dann ganz allein in dieser weiten, einsamen Schneelandschaft», sagt Werner Gnos (57).
Seit 13 Jahren leitet der Urner aus Silenen als Strassenmeister vom Amt für Betrieb Nationalstrassen die Schneeräumungsarbeiten auf der Gotthard-Passstrasse. Mitte April waren er und zwei weitere Maschinisten mit ihren Fräsen unten in Airolo TI gestartet: Auf neun der dreizehn Kilometer bis zur Passhöhe San Gottardo befreiten sie die Strasse vom Schnee. Auf der Nordseite war eine zweite Equipe von Hospental UR her unterwegs, sie räumte sechs Kilometer. Mitte Mai trafen sich die zwei Mannschaften auf der Passhöhe. «Das Wiedersehen feierten wir mit einem Bierchen.»
Ein paar Tage später steht Werner Gnos nun auf der Passhöhe, prüft sein Lawinenverschütteten-Suchgerät. Es ist 6.50 Uhr, die riesigen Rotorblätter der nahen Windräder drehen sich im eisigen Wind, Bergdohlen fliegen über die weiten Schneeflächen. Die Maschinisten starten ihre Fräsen. 21 Arbeiter umfasst das Team von Gnos. Nebst dem Pass räumen sie ein Dutzend Zufahrtsstrassen wie auch die Parkplätze auf der Passhöhe. Zehn Kilometer Leitplanken und viele Verkehrsschilder müssen wieder montiert werden.
Ihre Arbeit hat ein Ziel: Die Passstrasse soll nach der Wintersperre sicher befahrbar sein. «Termindruck verspüre ich keinen», sagt Gnos. Seelenruhig verteilt er die Arbeit. «Bei der Felswand unterhalb der Panoramakurve muss noch der Schnee weg», sagt er zu Baggerfahrer Mario Gnos. Durch die Wärme kann sich zwischen Fels und Schnee ein Spalt bilden – dann ist die Gefahr gross, dass die Schneemauer irgendwann auf die Strasse stürzt.
Eingespieltes Team von Berglern
Seit Beginn der Arbeiten sei es hier oben an einer Handvoll Tagen gutes Wetter gewesen, berichtet der Strassenmeister. Stürmischer Wind, dichter Nebel, heftiger Schneefall, Glatteis, starker Regen: «Das haben wir hier oft am gleichen Tag.» Seinen Mannen macht das nichts aus. Jeder kennt das Gebiet wie seine Westentasche. «Wir sind ein seit Jahren eingespieltes Team. Unsere Arbeit machen wir gern.» Doch vor ein paar Tagen hat sich Gnos «gopferdeli» aufgeregt! Ein Glarner hat auf Facebook Bilder veröffentlicht, welche die Passstrasse beim Hospiz schneefrei zeigen. «Der Cheib muss die Strassensperre missachtet haben! Und wir bekamen dann erzürnte Anfragen, warum der Pass noch nicht geöffnet sei.» Das liess die Sicherheitslage damals noch nicht zu. Kurz darauf mussten Gnos’ Männer einen Erdrutsch mit Tausenden Kubik Schnee und Dreck von der Strasse räumen.
Auf der Passhöhe klettert der Strassenmeister mit Namensvetter Mario auf ein weites Schneefeld. Der hat ein GPS-Gerät in der Hand. Damit erkennt er die Markierungspunkte fünf Meter weiter unten am Rand einer Zufahrtsstrasse. 4000 solcher Punkte gibts entlang der Strassen hier oben. Mit einem pinkfarbenen Spray markiert Mario Gnos die Spur. Werner über Mario: «Wir nennen ihn den Sprayer vom Gotthard.» Kurz darauf beginnt Erich Zgraggen mit seiner Schneefrässchleuder, die Strasse freizuräumen. Dank der Markierungen weiss er auf zwei Zentimeter genau, wo er zu fräsen hat. Ein paar Minuten lang scheint die Sonne. «Sie ist mein billigster Arbeiter», sagt der Strassenmeister. 3200 Tonnen Schnee entfernt seine grösste Schneefrässchleuder am Tag, 250 Liter Diesel schluckt sie dabei.
Auch die Murmeli sind da
Mit dem Pick-up fährt Gnos auf seiner Patrouille weiter Richtung Airolo. Immer wieder geht sein Blick über die steilen, noch immer schneebedeckten Hänge oberhalb der Passstrasse. Heutzutage seien die Temperaturen höher als in seinen ersten Jahren hier oben. «Die letzten zwei Winter hatten wir fast keinen Schnee, diesmal ist es heftig! Wir haben viel nassen und schweren Schnee, deshalb kommen mehr Lawinen runter.» Er selber geriet mal beim Schneeräumen in eine.
Gnos hält an. «Kommt ihr voran?», fragt er Adrian Gamma. An einer fast senkrechten Felswand arbeiten drei Männer am hängenden Seil: Mit Geissfüssen und Stöcken lösen sie lockeres Gestein, Arbeitskollegen laden es auf einen Lastwagen. «Besser, es landet dort als auf dem Kopf eines Velofahrers», sagt Gamma. Weiter unten putzen zwei Kollegen einen Entwässerungskanal. Zwei Murmeli huschen vorbei. Sie beginnen, an einer Bitumenfuge zu schlecken. «Wahrscheinlich lockt sie das Streusalz.»
Bald kommt die Tour de Suisse
Und wieder klingelt das Handy. «Vengo subito, ich komme», sagt Gnos auf Italienisch und fährt los. Oberhalb der Militärfestung Motto Bartola auf Tessiner Seite schliesst er die Barriere auf – nun kann er weiterfahren. Dann trifft er den Tessiner Pneuladerfahrer Maurizio Feruda. Der Urner zeigt ihm die Stelle auf der Tremola, die vor zwei Tagen verschüttet wurde. Der Fahrer fängt sofort an zu räumen. Am Nachmittag muss die Strasse frei sein! Ein Elektriker will weiter hinten die Wartung eines Luftschachts des Strassentunnels vornehmen.
Am Mittwoch, 29. Mai ist die Wintersperre vorbei. An diesem Tag kann der Strassenmeister endlich durchatmen. Die Passstrasse wird für den Verkehr freigegeben. Und bei der Schneeräumung ist es zu keinem Unfall gekommen. 400 000 Franken haben die Arbeiten gekostet. «Ich bin hundemüde.» Doch die Anspannung bleibt: In den folgenden Tagen wird Gnos immer wieder den Pass hochfahren, um die schneebedeckten Hänge zu kontrollieren. Er freut sich auf den 12. Juni: Dann wird er vor Ort mitverfolgen, wie sich die Radrennfahrer der Tour de Suisse den Schneewänden entlang zur Bergankunft auf die Passhöhe kämpfen. «Die Probleme mit den Schneelawinen haben wir im Griff, notfalls mit Sprengungen», sagt Gnos und lacht, «die Blechlawinen weniger.»