Vor dem Kongresszentrum in Interlaken summt es wie in einem Bienenstock. Es ist Mittag, und gleich startet das Swiss Economic Forum (SEF), einer der wichtigsten Anlässe für die Schweizer Wirtschaftsprominenz. Dunkelblaue Anzüge drängen zur Eingangstür, doch Brigitte Breisacher, 54, ist ein Farbtupfer in der Menge.
Von Alpnach OW bis nach Interlaken BE braucht sie eine gute Autostunde. «Ich geniesse es, hier zu sein», sagt sie, «dieses Sehen und Gesehenwerden und das Netzwerken! Aber danach bin ich froh, wieder in meiner Welt zu sein.»
Brigitte Breisacher ist das zweitjüngste von sieben Kindern. Warum hat ausgerechnet sie 2008 den Betrieb ihres Vaters übernommen? «Ich wollte es, seit ich ein kleines Kind war», sagt sie, während wir die Treppen hochgehen. «Und meine Geschwister sind beruflich in andere Richtungen gegangen.» Früher war Brigitte Breisachers grösster Wunsch, Vaters Sekretärin zu werden. Seit 1987 arbeitet sie im Unternehmen, und seit 14 Jahren ist sie die Inhaberin der Alpnach Schränke AG, der Alpnach Küchen AG und der Zurag AG mit insgesamt 200 Mitarbeitenden. Ein typisches Schweizer KMU, gegründet in Alpnach Dorf von einem Deutschen, Theo Breisacher, der einst mit 100 D-Mark über die Grenze kam, wie seine Tochter stolz erzählt.
In Interlaken hat sich der Menschenschwarm auf die Plätze des grossen Saals verteilt. Brigitte Breisacher sitzt in der ersten Reihe. Sie ist dieses Jahr ein «Powerpreneur», denn im April erhielt sie vom SEF den Titel Unternehmerin des Jahres. Was unterscheidet sie sonst von den über 1000 Teilnehmern? «Für mich ist der grosse Unterschied, ob jemand mit dem eigenen Geld wirtschaftet oder mit fremdem Geld», sagt sie. «Ich bin keine Managerin, sondern Unternehmerin. Ich hafte mit meinem eigenen Kapital.»
Das SEF dauert eineinhalb Tage – für Breisacher lohnt sich die Teilnahme. «Ich verkaufe hier keinen Schrank und keine Küche», sagt sie. «Aber es geht darum, sichtbar zu sein – sich den Menschen in Erinnerung zu rufen.» Davon erhofft sie sich auch mehr Frauen in Führungspositionen. «Ich bin gegen die Quote. Die fähigste Person soll den Job machen. Aber Frauen müssen mit gutem Vorbild vorangehen.» Die Reden von Ignazio Cassis und anderen Referenten sind vorbei. Es geht raus in die Pause. Die Stimmung erinnert an ein Klassentreffen. «Klar, hier erzählen sich natürlich auch alle, wie gut es bei ihnen gerade läuft», sagt Breisacher mit einem Augenzwinkern.
Während sie eine Glace holt, trifft sie tatsächlich auf einen alten Schulkameraden, der ein Jahr unter ihr das KV absolvierte. «Ich bereue nicht, dass ich eine Lehre gemacht habe», sagt Breisacher. «Ich wünschte, das würden mehr Jugendliche tun!» Aktuell sucht sie für ihre Möbelfirma dringend Personal. «Bei mir arbeiten 90 Prozent Männer. Ich hätte gern mehr Frauen.» Während der Pause fällt auf, wie gut
sie mit den anderen Teilnehmerinnen vernetzt ist. «Oh, das ist auch eine tolle Frau!», entwischt ihr mehrmals, bevor sie eine Bekannte zum Gespräch dazuholt.
Wir begleiten sie ins Hotel Victoria-Jungfrau, wo sie sich für den Abend umzieht. «Ich hab doch da so eine Box dabei», murmelt Breisacher und holt ihr Necessaire hervor. «Von meiner Mutter habe ich die weibliche Seite geerbt. Ich liebe Farben – in Schwarz sieht man mich nie!» Von ihrem Vater kämen «Stärke und Zielorientiertheit». Als Kind folgte sie ihm durch die Fabrik, sass auf seinem Schoss und sortierte Büroklammern. Nach dem KV machte sie eine Marketing-Ausbildung. «Ich bin ein Glückskind», so Breisacher. «Jeden Morgen sage ich mir: ‹Heute ist mein bester Tag.›» Was bei anderen nach Teebeutel-Weisheiten klingen würde, kauft man ihr ab. «Klar läuft auch bei mir nicht immer alles rund. Wenn mir das Leben Steine in den Weg legt, baue ich eine Brücke daraus.»
Ein Glückskind war Brigitte Breisacher auch am 26. Dezember 2004. Als in Thailand ein Tsunami auf die Küste zurollt, schläft sie am Strand. Sie wird weggespült und prallt gegen eine Mauer. «Links und rechts von mir ist keiner mehr aufgetaucht.» Seit diesem Erlebnis macht Breisacher nicht mehr so schnell aus einer Mücke einen Elefanten. Zwar versetzte ihr die Kurzarbeit während Corona einen Schrecken, doch dann merkte sie, wie die Nachfrage stieg. «Die Weisung, zu Hause zu bleiben, war für uns gut. Plötzlich wünschten sich mehr Menschen schöne und praktische Stauräume.»
Ihr eigenes Zuhause teilt sich Breisacher mit ihrem Partner Walter Gisler. Einen Kinderwunsch hatte sie nie, «denn so konnte ich mich immer voll und ganz auf das Unternehmen konzentrieren». Wir machen uns wieder auf den Weg zum Kongresszentrum. Brigitte Breisacher wird mit neuen und alten Freunden essen gehen. Was ist eigentlich das Führungsmotto der Unternehmerin des Jahres? «Die vier M», sagt sie und lacht: «Man muss Menschen mögen!»