Am ersten Morgen ist das «Quinta Torrinha» voll. 22 Gäste des Boutique-Hotels in Funchal wollen zum Frühstück verköstigt werden. Nicole Pfammatter (52) schneidet frühmorgens in der Küche Tomaten, belegt sie mit Avocadoscheiben, stellt Käse- und Fleischplättli zusammen, drapiert Butter, Joghurt und Säfte auf dem Buffettisch. Draussen wischt sie auf der grossen Terrasse die Tische und Stühle, legt Tassen, Teller, Besteck und Servietten auf die Tischsets. «Ja, ich kam ganz schön ins Schwitzen», schildert sie ihren ersten Tag als Hotelière. Und dann lacht sie das herzliche Lachen, das ihr so eigen ist.
Die aromatischen einheimischen Tomaten mit den Avocadoscheiben sind äusserst gefragt, also muss sie laufend weitere Teller parat machen, neben den Kaffees und den Spiegeleiern und dem Rührei, die bestellt werden. Der Einstieg ins Gastgewerbe ist happig, die Lernkurve steil.
Genauso liebt es Nicole Pfammatter, die seit zwei Jahren mit Hotelplan Schweiz den grössten Reiseanbieter des Landes als CEO führt und in dieser Funktion über 500 Angestellte unter sich hat. Dass der Mutterkonzern Migros die erfolgreiche und profitable Tochter verkaufen will, ist seit fast einem Jahr bekannt, die Unsicherheit über die Zukunft schwebt über der Belegschaft. Doch die Schweiz-Chefin lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. «Es kommt, wie es kommt. Also machen wir das, was wir am besten können: für unsere Kundschaft die attraktivsten Angebote an den schönsten Reiseorten aushandeln und aussergewöhnliche Reiseerlebnisse schaffen.»
«Es war ein Traum. Als er real wurde, musste ich aber leer schlucken»
Nicole Pfannmatter
Dass sie nun auf der immergrünen Atlantikinsel Madeira für zwei Wochen ein kleines Hotel managt, ist einem lustigen Abend mit Freunden zu verdanken. «Besitzer Matthias Hunziker und sein Partner fragten mich, ob ich nicht ihre Ferienablösung machen würde, damit auch sie gemeinsam auf Reisen gehen können.» Pfammatter sagt spontan zu. «Es war zwar ein Traum von mir, als er dann real wurde und sie mir die Daten durchgaben, musste ich trotzdem erst mal leer schlucken.» Aber versprochen ist versprochen!
Nicole Pfannmatter: «Ich will nicht abfallen»
Pfammatter konnte von einer Regelung profitieren, die im ganzen Hotelplan-Konzern gilt: Alle Angestellten haben das Recht, für einen Monat pro Jahr Workation zu beziehen, also weitab des Büros zu arbeiten. «Ich mache das jedes Jahr, am liebsten gehe ich nach Griechenland.» Für das Abenteuer Madeira wählte sie die Variante, dass sie 50 Prozent arbeitet, die andere Hälfte als Ferien bezieht. Nicole Pfammatters Ferien bestanden dann aus: Gäste willkommen heissen, Koffer die Treppen rauf- und runtertragen, Apéro servieren, Badetücher verteilen und einsammeln und den zwei Gärtnern und den zwei Hausangestellten Anweisungen erteilen.
«Der Hausherr will, dass alles immer tipptopp ist, gepflegt, sauber und ordentlich. Da wollte ich natürlich nicht abfallen», meint sie scherzend. Die Gefahr hätte bei ihr auch nicht bestanden: Die gelernte Kauffrau («ich machte die Lehre auf einer Gemeindeverwaltung»), die übers Marketing in die Reisebranche einstieg, versteckt unter ihrer gmögigen Art viel Disziplin und ein grosses Pflichtbewusstsein.
Reisen ist die grosse Leidenschaft der Walliserin, die seit Jahrzehnten im Zürcher Oberland wohnt. Die Freuden und die Erfahrungen, die das Entdecken fremder Kulturen bieten, will sie auch ihren Kundinnen und Kunden ermöglichen. Madeira etwa war lange kein Hotspot für Ferienhungrige. «Seit Corona hat sich das geändert. Es sind nur knapp vier Flugstunden, die Temperatur beträgt ganzjährig um die 20 Grad, die immergrüne Landschaft ist ideal zum Wandern und Biken», sagt die Reisefachfrau.
Sie nutzt ihren Aufenthalt, um den lokalen Verbindungsmann zum Znacht zu treffen. «Es ist wichtig, dass wir eng mit unseren Partnern zusammenarbeiten. Das sichert unsere Qualität und unseren Service.» Jedes Jahr würden sie im Team neue Angebote aufbauen und versuchen, Trends zu erspüren. «Die meistgefragten Destinationen bleiben aber auch nächstes Jahr die Mittelmeerländer und die USA», so die Hotelplan-Chefin. «Ein Platz am Meer und an der Sonne bleiben Sehnsuchtsorte», weiss sie.
Nach zwei Inselwochen reut es Nicole Pfammatter zwar, das milde Klima, die Sicht aufs Meer und die hilfsbereiten Angestellten zu verlassen. Aber ihr Mann, Orlando Borrell Hernández (59) wartet zu Hause. «Ich bin viel weg, das ist für beide okay. Aber jetzt freue ich mich doch, wieder mal zu Hause zu schlafen.»
Und wie steht es mit der Karriere in einem Hotel? «Es war ein Privileg, dass ich das machen durfte. Und hat unglaublich Spass gemacht», so Nicole Pfammatter. «Aber mein Herzblut fliesst für mein Team und fürs Organisieren der Reisen, da gehöre ich hin.»