Peach Weber, wieso hat der Aargau einen ramponierten Ruf?
Weil er unterschätzt ist. Aber das ist eher ein Vorteil als ein Nachteil. Das Gleiche gilt für Künstler. Wer unterschätzt wird, kann positiv überraschen. Wer überschätzt wird, droht fast zwangsläufig
zu enttäuschen. Mir ist wohl in der Rolle des Unterschätzten. Aber ich kann Ihnen versichern: Neben dem Tennisplatz habe ich noch nie einen Aargauer mit weissen Socken gesehen.
Tatsächlich kommen ja nationale Identifikationsprodukte wie Hero und Rivella aus dem Aargau …
… die Autobahn ist unser Verhängnis. Und überhaupt sind wir ein Dienstleistungskanton, der diejenigen Dinge übernimmt, die andere nicht wollen: AKWs, Sondermülldeponien. Diese Bauten überstrahlen sogar wunderschöne Altstädte wie die in Lenzburg, Bremgarten oder Baden.
In Italien heisst es: «Neapel sehen und sterben». Weshalb sagt man Gleiches nicht über Ihren Wohnort Wohlen?
Vermutlich, weil das Standortmarketing hier vergessen ging – und weil unsere berühmtesten Veranstaltungen und Sportanlagen jenseits der Stadtgrenzen liegen: Das Motocross findet in Hilfikon statt, die Kartbahn liegt in Waltenschwil. Wohlen ist irgendetwas zwischen Dorf und Stadt.
Zog es Sie nie weg?
Ich verbrachte die ersten 42 Jahre meines Lebens hier. Dann zog ich für drei Jahre in die Innerschweiz. Doch ich merkte bald, dass ich dort nicht am richtigen Ort war. Meine Freunde, meine Familie sind alle aus dem Aargau. Ich bin ein Aargauer, gehöre in den Aargau. Heute wohnen wir in Hägglingen – das ist zehn Minuten von Wohlen entfernt. Sehr weit habe ich es nicht gebracht.
Dann muss es für Sie auch das Grösste sein, in Wohlen aufzutreten?
Nein. Im Gegenteil. Ich habe bemerkt, dass die Wohler in Wohlen nicht an meine Vorstellung kommen. Aber wenn ich in Bremgarten auftrete, kommen Sie. Vielleicht suchen Sie das Fremde.
Was viele ausserhalb des Aargaus nicht wissen: Peach Weber war auch in der Politik erfolgreich. Was bewog Sie dazu, 1978 für den Einwohnerrat in Wohlen zu kandidieren?
Wenn einem etwas nicht passt, kann man Leserbriefe schreiben oder in die Politik gehen. Also stellte ich mich mit der Einmannliste «Euse Maa» zur Wahl – und gewann auf Anhieb zwei Sitze. Heute wäre ich froh um zwei Sitze … Ich überredete dann einen Kollegen, Johannes Ludin, mit mir in den Rat zu kommen. Bei der nächsten Wahl stellten wir uns als «Eusi Manne» und später, als wir zu acht im Parlament sassen, als «Eusi Lüüt». Ideologien spielten keine Rolle. Nach zwölf Jahren zog ich mich zurück. Heute gibts unsere Gruppe nicht mehr – sie hat sich den Grünen angeschlossen. Ich wurde dreimal angefragt, ob ich für den Nationalrat kandidieren wolle. Aber das wäre nichts für mich. Es gibt keine Partei, hinter der ich auch nur zu 30 Prozent stehen könnte.
Trotzdem sind Sie wohl eher links einzuordnen. Über dem Aargau strahlt allerdings oft das SVP-Sünneli besonders hell…
Nicht unbedingt. Die letzten Wahlen sprechen eher dagegen. Aber ja, wir sind politisch nicht ein wahnsinnig progressiver Kanton – nicht sonderlich fortschrittlich, aber auch nicht rückwärtsorientiert. Wir verkörpern in vielem den Schweizer Durchschnitt. Oft stimmt die gesamte Schweiz so ab wie der Aargau. Deshalb könnte man jeweils nur den Aargau wählen und abstimmen lassen. So würde man Zeit und Personal sparen.
Was zeigen Sie einem ausländischen Besucher als Erstes, wenn er in den Aargau kommt?
Die wunderbare Natur. Die meisten Menschen kennen den Aargau nur vom Durchfahren – und höchstens noch von den Autobahnraststätten. Würenlos, Kölliken-Süd, Mumpf-Nord. Dabei haben wir grossartige Landschaften zu bieten – an der Reuss, bei der man sich an vielen Stellen wie im Urwald fühlt. Oder der Flachsee mit seiner Vogelpopulation, der Ornithologen von weither anlockt. Um diese Schönheiten zu erleben, muss man Zeit mitbringen, wandern oder Velo fahren. Und ich würde den Gast für den Sonnenuntergang an den Hallwilersee mitnehmen. Einen schöneren gibt es kaum anderswo.
Nicht einmal in Capri?
Ganz grundsätzlich sind Sonnenuntergänge überbewertet – vor allem, wenn noch eine Palme im Bild steht. Aber glauben Sie mir, am Hallwilersee ist der Sonnenuntergang auch mit einer Eiche auf dem Foto wunderbar.
Nochmals zurück nach Wohlen. Der Ort ist auch die Heimat berühmter Zeitgenossen – gleichsam das Beverly Hills des Aargaus…
… übertreiben möchte ich nicht. Aber den einen oder anderen Prominenten können wir vorweisen. Etwa DJ Bobo. Sein Stern ging in der legendären Disco Don Paco auf. Der Kickboxweltmeister Andy Hug stammte ebenfalls aus Wohlen. Oder Musiker Seven und Ex-Fussballer Ciriaco Sforza. Nicht zu vergessen der legendäre Schachweltmeister Viktor Kortschnoi. Nach seiner Flucht aus der Sowjetunion liess er sich in den 1970er-Jahren in Wohlen nieder, wurde Schweizer und Ehrenbürger seiner Wahlheimat. Er pflegte zu sagen: «Ich bin ein Wohler, und mein Lieblingsort ist das Postamt.»
Der Kanton Aargau hat am meisten Schweizer Kandidaten für den Eurovision Song Contest hervorgebracht – Lys Assia, die Geschwister Schmid, Pepe Lienhard, DJ Bobo.
Das zeigt, wir haben eine breite Palette an guten Künstlern. Dabei können wir nicht auf denselben Bonus zählen wie etwa die Berner, wo der wohl populärste Dialekt gesprochen wird und wo die meisten Schweizer Bands herkommen. Wenn jemand auf die Bühne tritt und sagt: «Ich bin aus dem Aargau», steht nicht der ganze Saal auf und beginnt zu jubeln.
Könnte das auch am Dialekt liegen?
Sicher nicht. Der Aargauer Dialekt ist wie eine Mischung aus dem Zürcher, Berner, Luzerner und Basler Dialekt. Er tönt im Fricktal aber anders als im Oberfreiamt. Und er ist deshalb nicht so gut zuzuordnen. Ich würde ihn sogar als Hochdeutsch der Schweiz bezeichnen.
Was ist Ihre Botschaft an die Restschweiz?
Ich bin kein Mann der grossen Botschaften. Aber man sollte aufhören, die Kantone gegeneinander auszuspielen. Denn wie sollen die Länder miteinander in Frieden leben, wenn in der Schweiz der Kantönligeist dominiert?