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  4. Jonny Fischer über seine Kindheit in der Freikirche und seine Eltern
Sekten, Outing, Zusammenbruch

«Was ich über mein Leben las, hat mich schockiert»

Die Schweiz kennt ihn als Komiker, ewig fröhlich, immer nett. Doch Divertimento-Mann Jonny Fischer hat auch die ganz dunklen Seiten erleben müssen – und verfasst darüber nun ein Buch. schweizer-illustrierte.ch erlaubt er exklusiv einen ersten Einblick in die Biografie – und den langen Weg zu einem glücklichen Leben.

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Jonny Fischer, Michi Angehrn, Kulm Hotel Arosa

Jonny Fischers Leben war bis anhin alles andere als durchschnittlich.

Geri Born

Jonny Fischer, du bist gerade daran, ein Manuskript für dein erstes Buch zu lesen. Um was geht es da?
Das ist ein Buch über mein Leben. Da werden vielleicht viele sagen: «Jetzt schreibt der auch noch eine Biografie». Aber es ist mehr ein tragisch komischer Roman.

Wie kam es dazu? 
Ich hatte vor drei Jahren erstmals den Gedanken, mein Leben aufzuschreiben. Immer, wenn ich meine Geschichte erzählte, fiel mir auf, dass diese wirklich aussergewöhnlich ist. Von meiner schwierigen Kindheit in Sekten und Freikirchen, über mein Outing, einem Zusammenbruch und einem Klinikaufenthalt im Jahr 2012, bis hin zu dem Ort, an dem ich heute stehe. Als glücklich verheirateter Schwuler. Ich bekam oft die Rückmeldung, dass andere das spannend finden. Ich fing also an, legte den Stift aber bald wieder nieder, da die Aussensicht über eine Person eminent wichtig ist und mir so fehlte. Dann kam die Autorin Angela Lembo auf mich zu. Sie sagte, dass sie gern ein Buch über mein Leben schreiben würde. Ich fühlte mich natürlich gebauchpinselt, und wir fingen mit der Arbeit an. Da wusste ich aber noch nicht, wie intensiv das werden würde. 

«Über mein Outing zu sprechen, hat alte Wunden aufgerissen»

Jonny Fischer, Komiker

Inwiefern?
Angela und ich sind tief in mein Leben eingetaucht. Wir sind über Monate an die Orte meiner Kindheit, Jugend und meines Erwachsenenalters gereist. Ich habe mich so intensiv in das Erlebte zurückgedacht. Gleichzeitig hat sie mit Menschen gesprochen, die Zeitzeugen waren. Eine Nachbarin aus meiner Kindheit, meine Mutter, meine erste Freundin, der erste Mann mit dem ich Erfahrungen machte. Dinge, die ich als siebenjähriger in meiner Weise wahrgenommen habe, waren für die damaligen Erwachsenen ganz anders, oft schockierend. 

Was haben diese Besuche und das Erzählen mit dir gemacht?
Das war seltsam. Manchmal habe ich Angela vorgewarnt, weil ich dachte: Das heute, das wird heftig – und dann ist gar nichts passiert mit mir. Andere Situationen, von denen ich sicher war, diese verarbeitet zu haben, kochten dermassen wieder hoch, dass ich merkte, da muss ich nochmal dahinter. 

Kannst du ein Beispiel nennen?
Ja, mein Outing. Ich lebte damals in einem Männerinternat, da war kein Platz für einen jungen Schwulen. Dennoch nahm ich mir vor, meinen Eltern zu erzählen, dass ich homosexuell bin. Sie kamen also zum Internat, wir gingen spazieren, ich öffnete mich ihnen und sie wiesen mich zurück. Das war vor 20 Jahren und ich dachte, ich hätte den Schmerz von damals verarbeitet. Aber nochmals denselben Spaziergang zu machen und Angela davon zu erzählen, hat alte Wunden aufgerissen.

«Eigentlich lasse ich nicht nur die Hosen runter, ich knalle meine Seele auf den Tisch»

Jonny Fischer

Hast du Kontakt zu deinen Eltern, hast du sie darauf angesprochen?
Ja, ich habe wieder Kontakt zu meiner Mutter und habe ihr davon erzählt. Es war spannend, zu hören, wie sie diese Situation damals empfunden hat. Es ist mir aber ganz, ganz wichtig, dass das Buch keine Abrechnung ist, es soll niemand zu Schaden kommen. Darum müssen wir auch noch einige Dinge abschwächen, ich will nicht, dass Dritte in ihrem Privaten gestört werden. Es reicht, wenn ich die Hosen runterlasse.

Das ist tatsächlich ein mutiger Schritt.
Eigentlich lasse ich nicht nur die Hosen runter, ich knalle meine Seele auf den Tisch. Das macht mich verletzlich. Ich teile vieles, das Leser schockieren kann. Ich habe alles gelebt, vom verletzten Kind bis hin zum Mann, der sich ausprobiert. Das wird nicht allen gefallen. Aber das ist wie immer, wenn man sich öffnet. Einige wenige wollen dich verletzen, ein grosser Teil aber interessiert sich, ist empathisch und gibt dir ein gutes Gefühl. Und vielleicht hilft diese unverblümte Offenheit auch einigen, mit ihrem eigenen Schicksal umzugehen. Ich bin froh, das Saubermann-Image ablegen zu können. Es ist, wie mit dem Schwulsein, eine Befreiung, wenn man sich zeigen kann, wie man wirklich ist. 

Jetzt hast du seit drei Tagen die Geschichte über dein Leben in den Händen. Wie geht es dir?
Was soll ich sagen? Ich kann ehrlich gesagt kaum noch schlafen. Ich habe nächtelang gelesen und nachgedacht. Es ist so komisch, denn ich lese das wie einen Roman, sehr weit weg von mir und bin schockiert, was dem Kerl in dem Buch alles zugestossen ist – und wie ungerecht er behandelt wurde. Beim Lesen hoffe ich, dass für ihn alles wieder gut wird. Ich möchte ihn am liebsten adoptieren, bei mir aufnehmen, schützen. Aber dann merke ich: «Das bin ja ich!» Und muss dann erst einmal wieder verarbeiten. Aber das ist alles auch sehr gut. Es ist wie eine Therapie, sein Leben so komprimiert in den Händen zu halten. Ich würde das jedem wünschen. So kann und möchte ich mit all dem abschliessen.

Wann können wir mit deinem Buch rechnen?
Bis ich das Manuskript las, war ich noch nicht einmal sicher, ob ich mich trauen würde, es zu veröffentlichen. Aber Angela hat so wunderbare Arbeit geleistet. Ich liebe ihren Umgang mit Sprache. Darum haben wir uns entschieden, es im Herbst zu veröffentlichen.

Berit-Silja Gründlers
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Von Berit-Silja Gründlers am 16. April 2020 - 19:39 Uhr