Langsam geht Klaus Schwab hin und her. Die Hände hinter dem Rücken, den Blick nach unten gerichtet. Ein seltener Moment: Er muss warten. Jeden Augenblick trifft Jaggi Vasudev ein. Der Yogi gilt als einer der einflussreichsten Menschen Indiens. Es klopft, Schwab dreht sich zur Tür, lächelt.
In der Nacht zuvor – nach zwölf Uhr – sind Klaus Schwab, 81, und seine Ehefrau Hilde, 73, in Neu-Delhi gelandet. Sie sind direkt von New York hierher geflogen. Am Morgen darauf ist das Ehepaar um sechs Uhr bereits beim Frühstück. «Eigentlich schwimme ich in der Früh noch einen Kilometer in unserem Pool. Aber in Hotels mache ich das weniger gern», sagt Klaus Schwab.
Sein Lebenswerk, das World Economic Forum, ist heute die hochkarätigste Wirtschaftstagung der Welt. Von Donald Trump über Angela Merkel, Wladimir Putin bis Greta Thunberg – alle kommen nach Davos, wenn Schwab ruft. Was weniger bekannt ist: Jedes Jahr gibts überall auf der Welt regionale Treffen des WEFs. Etwa in New York, Afrika und eben in Indien.
Das India Economic Summit findet im Hotel Taj Palace statt. Ein Fünfsternehotel, das in der Lobby damit wirbt, wie sauber die Luft im Haus im Gegensatz zu der in der Innenstadt Delhis ist. Beim zweitägigen Wirtschaftsgipfel treffen sich 800 Spitzenpolitiker, CEOs und Vertreter der Zivilgesellschaft.
Bereits 1984 erkannte Schwab, wie wichtig Indien ist, und lud den damaligen Premierminister Rajiv Gandhi nach Genf ein. Im Jahr darauf führte Schwab das erste Forum in Neu-Delhi durch. Seit 35 Jahren reist er jeden Herbst mit seiner Frau nach Indien – hat total mehr als ein halbes Jahr hier verbracht. «Ich habe zu Hilde gesagt, es fühlt sich an wie nach Hause zu kommen.»
Im ersten Stock des Hotels hat sich das Forum-Team eingerichtet. Ins Büro von Klaus Schwab kommt man durch einen Vorraum. Hier tippt Kelly Ommundsen, 34, fast ununterbrochen auf der Tastatur. Die Amerikanerin ist die Chefin von Schwabs Büro. Sie ist die Frau, die seinen Terminkalender unter Kontrolle hat. Bis auf die letzten fünf Minuten ist jeder Schritt geplant.
«Es ist unglaublich, was für eine Energie der Professor hat. Ich bin nicht halb so alt und komme kaum nach», sagt sie. Seine Mitarbeiter nennen Schwab Professor. Ein Kollege ergänzt: «Ein Mitarbeiter aus England nennt ihn Sir.» Die Queen erhob Schwab vor 13 Jahren in den Ritterstand.
Die allererste Mitarbeiterin des Weltwirtschaftsforums ist Hilde Schwab. 1970 entdeckt die junge Frau aus Aarburg AG ein Stelleninserat. Ein Professor sucht eine Assistentin. Klaus Schwab, ein 31-jähriger Deutscher mit zwei Doktortiteln und einem Abschluss der Universität Harvard, hat eine Vision: den Zustand der Welt verbessern, wie das heutige Motto des Forums lautet. Schwab stellt die Aargauerin ein. Wenige Monate später geht das erste Forum in Davos GR über die Bühne. Ein halbes Jahr später heiraten Hilde und Klaus im nahen Sertigtal im Kirchlein Hinter den Eggen.
Hilde Schwab ist mehr als die First Lady des Forums. «Hilde ist eine grosse Partnerin», sagt ihr Gatte. «Es ist sehr schön, wenn das private und berufliche Leben Freude machen und sich vermischen.» Sie: «Ich habe früh darauf gedrängt, dass wir das Extraprogramm für Ehefrauen streichen und die Gattinnen stattdessen an den üblichen Veranstaltungen des Forums teilnehmen.»
In Indien geht der vollgepackte Tag von Klaus Schwab weiter. Er trifft sich mit Wilbur Ross, dem Handelsminister der Vereinigten Staaten, zum Gespräch, es folgen ein Lunch mit Sheikh Hasina Wajed, der Premierministerin Bangladeschs, und ein stündiges Interview mit dem Fernsehsender India Today.
Das Weltwirtschaftsforum wird immer wieder kritisiert: zu elitär, zu teuer, zu kapitalistisch. «Es heisst oft, in Davos seien die blutrünstigen Kapitalisten. Es kann schon sein, dass einige Teilnehmer so sind», sagt Schwab. Aber das Forum decke das ganze Spektrum ab. «Ich war der Erste, der Greta Thunberg zu einem internationalen Treffen einlud. Und alle grossen NGOs kommen jedes Jahr nach Davos.» Manchmal fühle er sich wie ein Pfarrer in der Kirche. «Der kann auch nicht garantieren, dass keiner, der am Sonntag die Messe besucht, sündigt.» Wichtig sei, dass man alle Meinungen an einen Tisch bringe.
Das WEF in Davos sei auch nicht auf die Anwesenheit von Prominenten angewiesen. «Trump war vielleicht ein Zückerli im Tee», sagt Schwab. «Aber es war ein Fehler, Angelina Jolie einzuladen.» Die Presse habe sich 2006 nur auf den Hollywoodstar gestürzt und dessen Projekte nicht beachtet.
Bei solchen Szenen geht vergessen, was das Forum erreicht hat. «Wir brachten nach dem Mauerfall Ost- und Westeuropa zusammen, wir verhinderten einen Krieg zwischen der Türkei und Griechenland, und wir läuteten das Ende der Apartheid ein, als Nelson Mandela in Davos war», sagt Schwab.
Bei der Teilnehmerliste werde es ab 2021 Änderungen geben: «Dann akzeptieren wir in Davos nur noch Menschen, die sich bei einem unserer gemeinnützigen Projekte engagieren.»
Klaus Schwab und seine Frau Hilde wohnen im Genfer Vorort Cologny. An Cüpli-Events sieht man sie nie. «Wir wandern lieber auf dem Hausberg Salève oder verbringen ein paar schöne Tage in unserem Chalet», sagt er.
Mit seinen 81 Jahren denkt Schwab noch lange nicht ans Aufhören. «Ich überlege mir gar nicht, wie alt ich bin.» Er schaue darauf, was er esse und trinke. «Bei feinen Essen wie hier in Indien gelingt es nicht immer. Und manchmal trinke ich schon ein Glas Wein. Ein Abstinenzler bin ich also nicht.»
Der indische Yogi tritt in Schwabs Büro. Die Männer umarmen einander freundschaftlich, sie kennen sich seit Jahren. Der Yogi betrachtet Schwab und sagt: «Schau dich an, du wirst immer jünger.»