«Start stopp», lautet das Kommando, wenn ein Skirennen unterbrochen wird. «Start stopp» hat auch Wendy Holdener gesagt. Kurz vor der WM – zu sich, zum rasanten Leben. Einfach mal ihr Sportlerinnen-Dasein rasch auf Pause stellen und machen, was ihr guttut. Denn die 29-Jährige spürte: «Wenn es so weitergeht, kriege ich es vielleicht nicht hin.» «Es» bedeutet in diesem Fall, an der WM für Höchstleistungen bereit zu sein.
Denn das ist sie praktisch immer: In jedem vierten ihrer WM-Rennen in den vergangenen zwölf Jahren stand sie auf dem Podium. Auch jetzt zum Auftakt: Alpine Kombination, Silber, erste Schweizer Medaille im ersten Rennen!
Noch im Januar hatte Holdener das Gefühl, ein wenig die Balance verloren zu haben. «Mein Umfeld bekam es zu spüren, dass ich mal eine Träne verdrückt habe.» Ursprung sind einerseits die vielen Reisen, anderseits ausgerechnet ihr erster Slalomsieg Ende letzten Jahres. Zwar ist dieser eine Erlösung nach 30 Weltcuppodesten in dieser Disziplin. Doch wenn sich ein Traum so lange aufbaut und sich dann erfüllt, kostet das Energie. Zwar doppelt Holdener gleich nach, im Januar aber holt es sie ein. Sie spricht mit Dave Ryding, der 35-jährig als erster Brite ein alpines Weltcuprennen gewinnen konnte. Dieser sagte, er habe sich gewünscht, dass die Saison danach zu Ende gewesen wäre. Er habe nicht mehr damit umgehen können.
«Wir stellen die Frage: Macht das Sinn?»
Wendy kann es, doch sie muss auf sich hören. Lässt mal ein Konditionstraining aus und geht spazieren. Nimmt sich einen Vormittag frei, macht mit Bruder Kevin (33) eine Skitour. «Ich musste die Sicherheit in mir drin haben, dass dies das Richtige ist.» Das braucht Mut, wenn man ein so gewissenhafter Mensch wie Wendy ist, der nie zufrieden ist. «Sie kann sich immer besser lesen», sagt Kevin. Die Familie versucht, mitzudenken und sie zu unterstützen. «Wir stellen als Anregung vielleicht mal die Frage: Macht das Sinn? Dann kommt von ihr schon eine ehrliche Antwort, was sie braucht.» Holdener geniesst die Zeit, die sie sich freigeschaufelt hat, mit ihrem engsten Umfeld.
Diesmal hat es wunderbar funktioniert. Holdener gewinnt Energie, holt die Begeisterung fürs Skifahren zurück – und jubelt über ihre fünfte WM-Medaille im 20. Rennen. Umso mehr geniesst sie das Feiern mit ihren Liebsten. Neben Kevin und Mama Daniela ist auch ihr Freund Remy (32) dabei. Dieser war zwar schon in Cortina vor zwei Jahren an ihrer Seite, aber dort hat sie das Podest ausnahmsweise verpasst. «Die Medaille mit ihnen zu feiern, ist wunderschön. Die Familie ist mir das Wichtigste, und Remy gehört dazu.» Nur Papa Martin ist zu Hause in Unteriberg SZ geblieben. Er musste um Weihnachten rum bereits zum zweiten Mal sein künstliches Kniegelenk ersetzen und geht noch an Krücken.
Holdener vibriert wieder vor Energie
Sind für die Holdeners Medaillenfeiern überhaupt noch etwas Spezielles? «Natürlich», sagt die Mutter. «Es ist immer noch sehr emotional. Wir wissen ja, was sie kann, aber es muss alles zuerst geliefert sein.» Nach der Siegerehrung isst die Familie im House of Switzerland noch ein Raclette, dann gehts nach Hause. «Zwei Tage in meinem Bett schlafen» ist Wendys Plan, danach drei Tage Training im Wallis. Und dann: In der zweiten WM-Woche erneut angreifen – am liebsten in vier Disziplinen. Holdener vibriert wieder vor Energie. Nun gibts nur noch Start. Ohne stopp.