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Ernesto Bertarelli im Interview

Wer gewinnt die prestigeträchtigste Hightech-Regatta der Welt?

Die Welt schaut gebannt nach Barcelona. Superjachten mit spinnenförmigen Beinen fliegen übers Wasser. Wieder mit dabei: das Schweizer Team Alinghi Red Bull Racing. Wer gewinnt die prestigeträchtigste Hightech-Regatta der Welt?

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Alinghi Red Bull race

6,2 Tonnen schwer ist «BoatOne», dazu kommt die achtköpfige Crew, die zwischen 680 und 700 Kilo wiegt.

Jürg Kaufmann

Eine Fortsetzung oder ein Neustart? Die Schweiz ist nach 14 Jahren wieder beim America’s Cup dabei. Seit 2022 unter dem Namen Alinghi Red Bull Racing startet erstmals eine rein schweizerische Crew an der spektakulärsten Segelregatta der Welt. Mit dabei: Gründer und Besitzer von Alinghi, Ernesto Bertarelli (58), der den Silberpokal zweimal nach Europa brachte. Mit Partner Red Bull bietet sich die Chance für Synergien. Denn schon allein der Weg bis zur Startlinie des AC75-Foilers ist lang. Über die Kosten der Teilnahme spricht niemand, Schätzungen zufolge sind es über 100 Millionen Dollar, allein das Startgeld beträgt 1,5 Millionen. Im Team Alinghi haben seit Monaten 150 Profis das Ziel im Blick.

Im America’Cup gilt das Motto: «There is no second» – es zählt nur der Sieg. Bis am 7. Oktober treten die fünf Herausforderer im direkten Duell gegeneinander an. Die Boote sind 75 Fuss lang und gleiten auf Foils mit rund 100 Stundenkilometern übers Wasser. Sie schwimmen nicht, sie fliegen!

Adolfo Carrau, der Designkoordinator, nennt das neue Boot eine «radikale Idee» – es ist kein Boot, sondern eine Hightech-Plattform, die alles integriert: Segeldesign, Crew, Foiltechnik und drei unabhängige Hydrauliksysteme. Die Kräfte sind enorm, Muskelkraft reicht nicht aus. Alles wird über Hydraulik geregelt. Die Systeme für die Flugsteuerung und die Foilarme, auf denen bis zu 35 Tonnen lasten, werden durch Batterien gespiesen. Die Segelhydraulik ist ein eigens entwickeltes System. Bunte geblähte Spinnaker sucht man vergeblich. Das Grosssegel besteht aus zwei Segeln, die zu einem schwarzen Flügel geformt beziehungsweise getrimmt werden. Die Energie dafür liefern die vier Cyclists, die den Job der früheren Grinder übernommen haben. Pro Regattatag verbrennen sie 3500 bis 4000 Kalorien, wenn sie mit Spitzenleistungen von bis zu 2000 Watt für eine Dauer von etwa sechs Sekunden pedalen, erklärt Cyclist Nils Theuninck. Ein normaler Trainingstag ist noch intensiver, bis 5000 Kalorien werden dann verbraucht.

Maxime Bachelin of Switzerland and Alinghi Red Bull Racing seen in Barcelona, Spain on June 4, 2024. // Samo Vidic / Alinghi Red Bull Racing // SI202406060329 // Usage for editorial use only //

Maxime Bachelin, einer der zwei Steuermänner, in Position. Das Steuerrad ist nur etwa drei Handbreit und reagiert mit Hydraulik auf kleinste Impulse.

Jürg Kaufmann

Maxime Bachelin, der junge Schweizer Steuermann: «Unsere Stärke? Wir haben ein hohes Niveau auf dem Boot und können offen mit allen über alle möglichen Verbesserungen diskutieren und diese gemeinsam umsetzen. Seit Beginn der Kampagne haben wir eine steile Lernkurve.»

Die Vorstartphasen sind sehr dynamisch und müssen aggressiv gefahren werden. Nach den ersten Rennen von vergangener Woche, den Vorregatten, hatten die Teams Zeit, ihre Boote noch schneller zu machen. Das Schweizer Team bewies sich als gute Startcrew, konnte allerdings nur eines der Rennen gewinnen. Die Ausscheidungsrennen sind dafür bekannt, dass alle Teams in kürzester Zeit enorme Fortschritte machen.

Alinghi Red Bull race

Entspannung nach dem Rennen. Vergangene Woche duellierten sich die fünf Teams in einer Vorregatta.

Jürg Kaufmann

In mehreren Etappen wird schliesslich der Herausforderer des amtierenden Cup-Gewinners aus Neuseeland bestimmt. Mehrmals waren die Kiwi-Segler unschlagbar und behielten den Cup. Werden sie ihn auch dieses Mal wieder erfolgreich verteidigen? Das alte Sprichwort gilt darum immer noch: «There is no second» – wie schon 1851 die englische Königin erfahren musste, als die Amerikaner mit der Jacht «America» die Regatta rund um die Isle of Wight für sich entschieden und den Pokal mit nach New York nahmen. Wo er dann 132 Jahre lang blieb. 

Interview mit Ernesto Bertarelli

Ernesto Bertarelli of Switzerland seen in front of the Alinghi Red Bull Racing AC75 BoatOne during the Presentation at the Team Base in Barcelona, Spain on April 16, 2024.

Unter Schweizer Fahne: «Den America’s Cup über den Kopf zu heben, kann ziemlich süchtig machen», so Bertarelli.

Jürg Kaufmann

Was hat Sie motiviert, wieder mit Alinghi an den Start zu gehen?

Einige Elemente – zuallererst die Boote! Als ich die ersten Entwürfe der AC75 sah, war ich ziemlich skeptisch – aber sobald sie 2020 bei ihrer ersten Segelsession auf ihren Foils auftauchte, war ich begeistert. Die Technologie dieser neuen Bootsklasse ist absolut revolutionär. Und die Entwicklung, die wir in nur zwei Zyklen des America’s Cup gesehen haben, ist unglaublich. Dann war da die Gelegenheit, mit einem prestigeträchtigen Partner wie Red Bull einen Neuanfang zu machen. Der verstorbene und grossartige Dietrich Mateschitz, Gründer von Red Bull, und ich haben eine fantastische Beziehung aufgebaut, die auf der gemeinsamen Vision von Exzellenz im Sport basiert. Die Expertise von Alinghi im America’s Cup in Partnerschaft mit den technischen Teams und der Kommunikation von Red Bull schaffen eine Synergie, die ich nutzen wollte. Seit Alinghis erstem Sieg 2003 in Auckland ist viel gegangen. Der Segelsport in der Schweiz wurde unterstützt, sei es durch die Anstellung junger Talente, die auf Alinghis D35, GC32 oder TF35 segeln, oder durch Swiss Sailing. Nun befinden wir uns mitten in einer echten «Alinghi-Generation». Die Kinder, die vor 20 Jahren nachts aufwachten, während wir in Neuseeland segelten, sind jetzt an Bord von «BoatOne»!

Was ist Ihre Rolle in dieser Kampagne?

Als Präsident des Vorstands besteht meine Hauptaufgabe darin, den Menschen zuzuhören und ihnen zu vertrauen, denn in ihren jeweiligen Bereichen sind sie viel erfahrener als ich. Dank meiner Erfahrung in Management und Führung sowie den Lektionen, die ich nach zwei erfolgreichen Kampagnen im America’s Cup und der Niederlage 2010 gelernt habe, kann ich dem Team fundierte Ratschläge geben. Ich möchte alle unsere Teammitglieder befähigen, die beste Version ihrer selbst zu werden. Ich bin auch da, um schwierige Entscheidungen zu treffen, wenn es ein Problem zu lösen gibt.

Warum Ihr Engagement fürs Segeln?

Ich segle, seit ich sehr jung war. Als wir in Italien Urlaub machten, war mein erster Geschmack von Freiheit nicht eine Vespa, sondern ein Segelboot. Es gab mir ein tiefes Gefühl von Dankbarkeit und Verantwortung gegenüber dem Meer. Und es lehrte mich, dass der direkte Weg nicht immer der schnellste ist. Segeln ist nicht nur ein grossartiger Sport, sondern eine Schule fürs Leben. Im Bereich des Wettkampfsegelns hat man all das, kombiniert mit der Kameradschaft eines gemeinsamen Weges. Darüber hinaus ist es einer der wenigen ultra-hochtechnologischen Teamsportarten, was für mich besonders faszinierend ist. Und natürlich kann das Erlebnis, den America’s Cup über den Kopf zu heben, ziemlich süchtig machen!

Ihr Motto?

Egal, welche Herausforderung man angeht, nachhaltiger Erfolg wird nur erreicht, wenn er auf bestimmten Werten basiert. In meinem Fall sind es Werte, die mir über Generationen hinweg vermittelt wurden und die ich weitergeben will. Sie bleiben zentral dafür, wie mein Unternehmen B-Flexion investiert und wie Alinghi Red Bull Racing agiert. Im Kern stehen: Integrität, Durchhaltevermögen, Leistung, Verantwortungsbewusstsein und die «Kultur des Möglichen», die ich immer gefördert habe.

Autor: Jürg Kaufmann

am 1. September 2024 - 06:00 Uhr