Seine Grossmutter nannte er «Oma Sig», weil sie ihm die Musik näherbrachte. Sein Vater wünschte sich, dass er «etwas Vernünftiges» macht. Mit der Werbung schaffte Frank Bodin, 60, den Kompromiss: Er wurde erfolgreich, war Werber des Jahres, Chef der renommierten Agentur Havas, verdiente sehr gut und konnte kreativ arbeiten – manchmal sogar mit Musik. «Die Tonfolge der SBB, die vor allen Ansagen in Bahnhöfen und Zügen ertönt, war so ein glücklicher Einfall», erzählt er. Das sind einfach die Buchstaben «SBB», «CFF» und «FFS» in Töne umgesetzt. Aus dem S wird ein Es.
Wir sind zu Gast an der Zürcher Goldküste, wo das Wasser silbern schimmert. Frank Bodin hat die Hauptstrasse im Rücken, dafür den Blick frei auf den Zürichsee. An den Wänden seiner Wohnung hängt Kunst, die stutzig macht. Neben Zeitgenössischem auch ein Klee, ein Chagall, ein Warhol – und ein seltsames Videobild. Es zeigt Barack Obama und ein Endlosvideo des Malers Bob Ross. Kunst, die sich bewegt! Kurios gehts weiter. Eine kurzhaarige blonde Frau mit Teufelshörnern und beim Esstisch ein Gemälde von Bambi, dem eine Rose aus dem Po wächst.
Verglichen damit, wirkt Frank Bodin auf den ersten Blick zurückhaltend. Humor in der Kunst, sagt er mit einem spitzbübischen Lächeln, dürfe doch ruhig etwas «bissig» sein.
Doch von Anfang an. Vier Dinge, sagt Frank Bodin, haben alle seine vier Kinder gelernt: Klavier, Backgammon, Schach und Tschau Sepp.
Das Klavierspielen ist Bodins erste grosse Leidenschaft, doch den Traum, Pianist zu werden, stellt er nach einem Motorradunfall infrage. Mit 22 Jahren wird Bodin angefahren und stürzt in eine Sinnkrise. Im Spital sagt ihm der behandelnde Arzt: «Intelligenz ist, die eigenen Grenzen zu kennen.» Das wird nichts mit der Karriere als Profi, realisiert Bodin, der gleichzeitig am Konservatorium und an der Uni Zürich Jura studiert. «Der Arzt wurde ein Freund von mir.»
Zweitens: Backgammon. Ein Spiel mit einer uralten Geschichte. Seine eigene Geschichte war für Frank Bodin selbst lange ein Geheimnis. Wie das geht? «Ich dachte, bis ich zwölf war, dass meine Eltern Christen sind.» Erst als Jugendlicher erfährt Bodin, dass sein aus Deutschland eingewanderter Vater ursprünglich Jude war und den Familiennamen – Bodenheimer-Rosenfeld – während des Kriegs geändert hatte.
Drittens: Schach. Bodin sagt, dass er seine Karriere in der Werbung nicht strategisch anging. «Ich wurde zum Glück gezwungen.» Nach 30 Jahren in der Branche sieht er manches kritisch. «Ich vermisse die Magie und die grossen Ideen. Die Serie ‹Mad Men› über diese erfolgreichen Werber in New York würde heute wohl ‹Math Men› heissen.» Die Digitalisierung, so Bodin, «fasziniert mit ihren neuen Möglichkeiten». Dabei gehe das Wesentliche von guter Werbung oft verloren. Als er uns auf seinem Handy etwas zeigen will, geht beim Öffnen von Youtube ein lauter Spot los. «Das ist jetzt eben Scheisswerbung», sagt er, «so etwas schaue ich mir lieber gar nicht an.» Man vergesse vor lauter digitalen Möglichkeiten, «in Ideen und in die Qualität von Worten und Bildern zu investieren». Stört ihn, dass für manche Leute jegliche Werbung lästiger Quatsch ist? «Nein, ich will mit meiner Werbung ja niemanden belästigen.» Die Leute nicht für dumm zu verkaufen, sondern zu verführen – das sei seine Strategie.
Zu Bodins bekannten Kampagnen gehört jene über Tibet, die «t» beziehungsweise Kreuze zeigt. Und die Kampagnen für Love Life, Werbung für Safer Sex mit nackten Sportlern und dem Slogan: «Hier schützt man sich ja auch.» Als aktuell gelungenes Beispiel in der Branche nennt Bodin die Spots von Digitec Galaxus und die Kampagne, bei der Kundenrezensionen von Produkten abgedruckt werden.
Viertens: Tschau Sepp. Ein geselliges Spiel. Bodins erste Lebenspartnerin war die «Blick»-Journalistin Flavia Schlittler. Mit ihr hat er die Zwillinge Manon und Leonie (30). Manon ist Sängerin und Lehrerin, Leonie bereist die Welt als Flugbegleiterin bei einer privaten Airline. Sein Sohn Jan (18) studiert in Mannheim. «Ich bin stolz, mit ihm die Liebe zum Klavier zu teilen.»
Das jüngste Kind ist Ayleen (12) ihre Mutter die Schweizer Sängerin Emel (47). Ayleen hat in Bodins Wohnung ein Zimmer. «Mit ihr schaue ich am liebsten durchs Teleskop – die Faszination fürs Universum verbindet uns», sagt er.
Ein Leben voller wechselhafter Beziehungen und Geselligkeit also, doch aktuell gibt es nur zwei ständige Mitbewohner hier: Hündin Kara, 4, und das Klavier.
Bodin setzt sich an den Flügel und spielt eine Ballade von Chopin. Laut dröhnt es durch die Altbauwohnung, leise summt er dazu. Kara stellt sich zu ihrem Herrn. Seine erste Wohnung sei so klein gewesen, erzählt Bodin, dass er unter dem Flügel schlafen musste. «Ich träumte manchmal, dass er mir auf den Kopf kracht.»
Und jetzt? «Bin ich in einer Umbruchphase», sagt Bodin, «wie eigentlich ständig in meinem Leben.» Er wolle seine Agentur ausbauen und eine seiner Kompositionen endlich fertig schreiben. «Ich bin gespannt, was als Nächstes auf mich wartet.»