Dort oben machte ich den fatalen Schritt», sagt Werner Witschi, 59, und zeigt auf die Decke der Sägerei. Sechs Meter fiel er vor gut sechs Jahren in die Tiefe, prallte mit dem Rücken auf die Kante eines Holzbalkens. Seither ist er querschnittgelähmt, kann seinen Körper vom Bauchnabel abwärts nicht mehr bewegen. «So rasch kann sich das Leben komplett verändern. Wegen eines kleinen Fehlers.»
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Der Berner aus Kernenried ist an den Unfallort zurückgekommen, in die Sägerei von Ernst und Walter Murer in Beckenried NW. Ernst Murer, 60, erinnert sich gut. 3. Juni 2013: Als Geschäftsführer einer Solarfirma steht Witschi mit den zwei Brüdern auf dem Schrägdach von deren Sägerei. Er nimmt Mass für die geplante Solaranlage. Um die zwei mit dem gespannten Messband vorbeizulassen, macht Witschi einen Schritt retour. Ohne zu schauen, wohin er tritt: auf eine Lichtplatte. Diese ist nicht stabil – und gibt nach.
Murer: «Ich hörte, wie die Platte zersplitterte, dann gabs einen dumpfen Plumps.» Die Brüder eilen zu Witschi, der liegt regungslos da, eine klaffende Wunde am Kopf. Walter Murer wählt die Sanitätsnotrufnummer 144, Ernst kniet neben dem Verletzten. Der fragt apathisch: Bin ich runtergefallen? Sagt kurz darauf: Ich hab so warme Beine. Witschi heute: «Ich weiss noch, dass ich stürzte. Dann wurde es leer.»
Eine Stunde lang arbeiten Rettungskräfte am Verletzten, sein Leben steht auf der Kippe. Die Rega fliegt Witschi ins Kantonsspital Luzern. Diagnose: zwölfter Brustwirbel zertrümmert, Schädel-Hirn-Trauma, sechs Rippen gebrochen, kollabierte Lungen. Am folgenden Morgen legt ihm ein Arzt dar, dass er querschnittgelähmt bleiben wird. Witschi kommt nicht ins Hadern, seiner Frau Jarka sagt er am Telefon: «Ich bins. Im Kopf ist alles gut, die Hände kann ich noch bewegen, doch vom Bauchnabel abwärts geht nichts mehr. Mach dir keine Sorgen, wir packen das!»
Der Verunfallte wird ins Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil LU verlegt. Ein paar Tage später stossen er und seine Frau Jarka mit einem Glas Roten auf ihren 16. Hochzeitstag an. Ein Freund fährt den Wohnwagen der Witschis auf den nahen Campingplatz: So sind Jarka und die Töchter Rachel und Sarah jedes Wochenende beim Verunfallten.
«Werners Optimismus half uns, die Weichen für das neue Leben rasch zu stellen», sagt Jarka Witschi, 49. Werner habe schon immer gefragt: Was ist möglich? Nicht: Was ist nicht möglich?
In Nottwil wird Witschi mehrfach operiert, nach einer OP muss er drei Monate auf dem Rücken liegen. Täglich macht er Therapie. «Ich bekam ein zweites Leben geschenkt. Erst war ich wie ein Bébé, bekam Windeln, wurde gewaschen. Dann musste ich alles wieder neu lernen.»
Der bewegendste Moment: «Als ich erstmals frei sitzen konnte.» Für die Familie ist die Situation eine grosse Herausforderung. «Für vieles haben wir neue Wege entdeckt», sagt seine Frau. «Das machte uns reifer.»
Neun Monate trainiert Witschi, um wieder selbstständig zu sein. Dann kann er Nottwil verlassen, das Zuhause wurde rollstuhlgängig umgebaut. Heute hat er eine 50-Prozent-Stelle als Projektleiter in einer Metallbaufirma. Die Freizeit geniesst er mit seiner Frau daheim auf der Terrasse, macht mit ihr Ausflüge, trifft Kollegen. «Um glücklich zu sein, brauche ich meine Beine nicht.»
Doch das zweite Leben ist auch beschwerlich: Fünfmal täglich muss Witschi den Katheter in die Harnblase einführen, jede Nacht wird er von neuropathischen Schmerzen geplagt, «wie wenn 100 000 Ameisi da wären». Versperrt ein Auto einen Behinderten-Parkplatz, schreibt er schon mal mit einem Lippenstift auf die Scheibe: «Danke!»
Witschi ist kein Chlöni. «Ich bin zufrieden mit meinem neuen Leben.» Das zeigt er auch bei seinen Referaten als Präventionsbotschafter der Suva. Er habe ja gewusst: kein Fuss auf eine Lichtplatte! Über seine Unachtsamkeit grübelt er nicht nach. Umso wichtiger ist ihm die Botschaft: «Ein Unfall ist so schnell passiert. Es macht Sinn, aufzupassen und sich an die lebenswichtigen Regeln zu halten.»