Aktuell bewegt mich die Frage, in welcher Welt unsere Kinder künftig leben.
Wenn ich morgens aufwache, höre ich Radio-Canada und sonntags Glenn Gould (†60), Bill Evans (†51) oder Keith Jarrett (79).
Zum Frühstück esse ich Hausbrot mit Honig und Konfi oder selbst gemachtes Joghurt mit Granola, Früchten und Ahornsirup. Ab und zu Dreiminuteneier oder eine Omelette.
Zur Arbeit fahre ich mit dem Velo. Muss ich für ein Konzert ein Elektropiano transportieren, rufe ich ein Taxi. Ich habe nie den Führerschein gemacht.
Mein Arbeitstag dauert vom Aufwachen bis zum Einschlafen. Die Arbeit ist mein Leben – und umgekehrt.
Typisch québécois an mir ist mein eingefärbtes Französisch.
Touristen aus meiner Heimat zeige ich die Weite, die Wälder, den Winter, die kulturelle Vielfalt und den Sankt-Lorenz-Strom.
Überschätzt wird hier der amerikanische Einfluss: Quebec schaffte es über die Jahrhunderte trotz anglofoner Umzingelung, eine erfrischende Eigenständigkeit zu entwickeln und zu bewahren.
Am meisten stört mich an Quebec, dass es im dünn besiedelten südlichen Teil kaum einen See, Wald oder Pfad gibt, der nicht durch «Privat»-Schilder unzugänglich gemacht wird oder zu einem eintrittspflichtigen Park gehört.
Von der Schweiz vermisse ich Familie, Freunde, Hochtouren – und das Klöntal.
Die Schweiz kann von Quebec lernen, wie man Gebrauchtes wiederverwertet.
Schweizer Politik verfolge ich aufmerksam und nehme an den nationalen Abstimmungen teil.
Zurückkehren wollte ich einst im Alter. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Der starke Franken und die hohen Lebenskosten sind abschreckend.
Mein Tipp an andere Auswanderer: Bleibt stets offen.
Die Fakten zur Person
Die Fakten zur Person
Félix Stüssi (59)
Beruf: Jazzmusiker
Leben in Zahlen:
Bewohnt mit der Familie einen Bungalow in Montreal. Sein Einkommen hängt davon ab, ob er auf Tournee, am Komponieren oder an der Aufnahme eines Albums ist. Er backt eigenes Brot, keltert Wein, macht Joghurt, Konfitüre, Ricotta und vieles andere selbst. «Das verbindet mich als ehemaliger Ziegenhirt hier in der Stadt mit der Erde.»
Während einer Weltreise lernt Félix Stüssi 1986 seine Frau Manon Carrier kennen. Sie schreiben sich zuerst, reisen ab 1991 anderthalb Jahre durch Kanada, Alaska, Hawaii und China. Fünfeinhalb Jahre lebt das Paar im Glarnerland, ehe es 1998 in der italienischen Hafenstadt La Spezia ein Frachtschiff besteigt, das sie nach Kanada bringt.