Ein Winterkurort? Nein, der Zürcher Hausberg Üetliberg auf 870 Metern über Meer! Obwohl die Wolken an diesem Montag die Aussicht auf die Alpen verdecken, versprüht Martin Nydegger, 49, gute Laune. «Es ist ein abnormaler Winter, aber ein herrlicher», sagt der Schweiz-Tourismus-Chef.
Herr Nydegger, was haben Sie diesen Winter zum ersten Mal erlebt?
Am Wochenende bin ich zum ersten Mal mit dem Eiger Express gefahren. So nah der Eigernordwand entlangzuschweben, das ist wirklich spektakulär! Mit meiner Frau war ich zum ersten Mal auf dem Eichhörnliweg in Arosa. Ah ja, ich habe das erste Mal 45 Zentimeter Schnee geschaufelt – vor unserer Hauseinfahrt in Zürich (lacht).
«My first time – mein erstes Mal» ist diesen Winter das Motto von Schweiz Tourismus. Haben Sie kein schlechtes Gewissen, die Leute im Lockdown zu neuen Hobbys zu animieren?
Viele Menschen erleben einen solchen Winter tatsächlich zum ersten Mal. Zum einen diejenigen, die zu dieser Jahreszeit jeweils nicht in der Schweiz sind und vielleicht zum ersten Mal mit Schnee in Berührung kommen. Zum anderen jene, die normalerweise Ski fahren und jetzt aufgrund der Pandemie nicht auf die Piste wollen. Ihnen Inspirationen zu liefern – darin sehe ich nichts Falsches.
Trotzdem: Läden, Restaurants, Sportzentren – alles zu. Doch die Skipisten sind offen. Lange Schlangen vor dem Lift sorgen für Kritik.
Das war der «Once in a year»-Moment: ein Moment am Morgen am Wochenende mit Sonnenschein nach einer Nacht mit viel Neuschnee. Am Nachmittag und am Montag sah es dann anders aus – und auf den Pisten sowieso.
Nun stehen aber die Sportferien an. Reichen da die Schutzkonzepte?
Jenen Leuten, die auf die Piste wollen, bieten wir die maximale Sicherheit. In Engelberg etwa gibt es eine Bestrahlungsapparatur, die den Hand-lauf der Rolltreppe bestrahlt und keimfrei macht. Und Flims-Laax testet seine 1000 Mitarbeiter seit mehreren Wochen rigoros. Aber klar: Es gibt keine Vollkasko-Versicherung gegen das Virus.
Was sagen die aktuellen Buchungszahlen?
Die sind natürlich nicht gut.
Das heisst?
Es gibt Regionen wie Arosa, die – so hören wir – etwa gleich viele Reservationen haben wie im letzten Jahr. Andere Destinationen, die normalerweise mehr ausländische Gäste beherbergen, wie Grindelwald im Berner Oberland oder Zermatt im Wallis, haben es schwerer.
Hat der grosse Schnee die Lage verbessert?
Es ist klar: Schnee vor der Haustür macht Lust auf mehr. Was uns abgesehen von den Buchungen freut: Mit dem Schnee kommt bei den Leuten das Vertrauen in den Wintertourismus zurück.
Ist der Klimawandel also Schnee von gestern?
Nein, der Klimawandel findet statt, und wir müssen lernen, damit umzugehen. Aber in der Schweiz werden wir noch Jahrzehnte Ski fahren. Wir haben 28 Skigebiete, die bis 2800 Meter hoch gehen – das sind im Schnitt 400 Meter mehr als jene in den umliegenden Ländern.
Welche Trends sehen Sie diesen Winter?
Weil die ausländischen Gäste fehlen, haben wir dieses Jahr zehn Prozent mehr Touristen, die nicht Ski fahren. Bei ihnen ist Schlitteln, Langlauf oder Schneeschuhlaufen unglaublich populär.
Bergen diese Trends nicht zusätzliche Gefahren?
Im Gegenteil: Mit den Winterferien tun wir etwas für die Volksgesundheit.
Ach ja?
Es ist ja nicht lustig in dieser Pandemie. Auch das Homeoffice verliert seinen Reiz. Dass man aber noch in die Berge darf und dort freier atmen und sich bewegen kann – das tut gut und ist gesund. Insofern wirken Winterferien therapeutisch.
Aber das Geschäft würde besser laufen, wenn die Restaurants öffnen dürften.
Ich möchte den Regierungsentscheid nicht nachträglich kritisieren. Aber dass die Gäste auf der Berghütte die Bratwurst auf dem Schnee am Boden essen müssen, macht für mich keinen Sinn.
Ihre Lösung?
Gerade im Skigebiet wäre wichtig, dass wir die Leute wieder auf der Terrasse bewirten dürften. Weit auseinandergestellte Tische wären eine gute Lösung. Und wenn die Zahlen tief bleiben, sollten die Restaurants wieder öffnen dürfen.
Die grossen Parteien fordern für alle Touristen und Ferienrückkehrer noch strengere Massnahmen: einen negativen Covid-Test plus fünf Tage Quarantäne.
Die Tests befürworte ich – nicht aber die Quarantäne. Das ist faktisch ein Reiseverbot!
Haben Sie sich auch schon testen lassen?
Ich teste mich ein- bis zweimal pro Monat, weil ich berufsbedingt viel herumkomme. Es ist unangenehm. Aber um mein Umfeld zu schützen, mache ich das gerne.
Gibt es Dinge, die nach diesem Corona-Winter den Tourismus nachhaltig verändern?
Sowohl im Winter als auch im letzten Sommer: Schweizerinnen und Schweizer haben ihr eigenes Land, ihr Essen, ihren Wein entdeckt. Die Deutschschweizer packten ihr Schulfranzösisch ein und reisten in die Romandie und umgekehrt. Ich wünsche mir, dass die Schweizer künftig die Hälfte ihrer Ferien in der Schweiz verbringen.
Wo machen Sie Ihre nächsten Ferien?
Ende Februar gehe ich mit meiner Familie nach Scuol. Dort möchte ich den Eisweg mit den Schlittschuhen ausprobieren. Wieder ein erstes Mal!