Die Lagunenstadt Venedig ist eine Medaille: auf der schimmernden Vorderseite die prächtigen historischen Palazzi, die hohen Kirchtürme, die pittoresken Kanäle und die traditionellen Gondeln. Die triste Kehrseite ist geprägt von 15 Millionen Touristen pro Jahr, 40'000 Tagesbesuchern und schmierigem Wasser. Nicht unbedingt ein Ort, wohin der Kabarettist und Schauspieler Beat Schlatter (63) und die Buchproduzentin und Kunsthistorikerin Mirjam Fischer (55) während der Hauptsaison reisen würden. Gäbe es da nicht die Biennale.
Bereits zum fünften Mal besucht das Paar die älteste internationale Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Dazu gehören auch die Giardini della Biennale, wo sich 28 Länder in ihren Pavillons präsentieren, umgeben von farbenfrohen Gärten. Beat Schlatter: «Mich interessiert die bildende Kunst. Genau aus dem Grund, den das Wort schon sagt: bildend. Ich entdecke etwas durch die Kunst, das ich nicht selbst entdecken würde. Kunst hilft mir, die Augen zu öffnen. Abgesehen davon, dass sie mich bestens unterhält.» Er ergänzt: «Jedes Mal nehme ich etwas mit nach Hause, das ich nie mehr vergesse.»
Dieses Jahr sind es Telefonkabinen im österreichischen Pavillon, die die Künstlerin Anna Jermolaewa aufgestellt hat. «Mit diesen sechs auf den ersten Blick unscheinbaren Telefonapparaten wurden angeblich die meisten internationalen Anrufe in ganz Österreich getätigt. Sie werden in unserem Nachbarland nur noch von Flüchtlingen genutzt, die nach Hause telefonieren. Sie bekommen vom Staat sehr wenig Geld. Und dieses Geld verwenden sie, um ihre Familien in der Heimat anzurufen. Damit macht der Staat wieder Geld. Das meine ich damit, wenn ich sage, dass Kunst aufdeckt.»
Mirjam Fischer will nicht nur privat, sondern auch beruflich wissen, was in der Kunst läuft. Deshalb bleibt sie oft länger in Venedig als ihr Mann. Beeindruckt ist sie nicht nur vom US-Pavillon des amerikanischen Malers und Bildhauers Jeffrey Gibson, sondern auch vom Schweizer Pavillon. «Ich mag es, wenn Künstlerinnen und Künstler mit ihren Werken Missstände kritisieren, aber es auch schaffen, dies humorvoll zu tun.»
Das habe ihrer Meinung nach der schweizerisch-brasilianische Künstler Guerreiro do Divino Amor mit seiner «umfassenden immersiven Kunstinstallation» im Schweizer Pavillon erreicht, sagt sie. «Er arbeitet seit Jahren an einer Art Weltatlas und zeigt in Venedig zwei neue Kapitel. Dazu setzt er verschiedene Mittel ein, verkleidet und verfremdet die Räume mit architektonischen Elementen, nutzt Videos, Videocollagen und Hologramme. Er schaut kritisch auf die Schweiz, aber auch augenzwinkernd. Eine bemerkenswerte künstlerische Leistung.»
Beat und sie seien immer ganz begeistert, wenn sie gemeinsam Kunst anschauen könnten. «Ich bin sehr glücklich, und Beat ist glücklich, wenn ich glücklich bin.» Sagts und lacht, die «Frau Fischer», wie Beat Schlatter seine Angetraute liebevoll nennt.
Eine Liebe, zwei Wohnungen
Mirjam Fischer und Beat Schlatter heiraten vor 13 Jahren, am 8. April 2011. Die Hochzeitsparty feiern sie zusammen mit 450 Gästen im Brockenhaus Emmaus in Dübendorf. Eine Torte gibts keine, dafür Mandelgipfel. Die Eheringe sind secondhand, werden nur getragen, wenn sie zum Outfit passen. Nach wie vor wohnen die beiden getrennt: Beat Schlatter im Niederdorf, Mirjam Fischer im Kreis 5 in Zürich. «Wir haben uns nicht auf die Fahne geschrieben, dass wir nie zusammen wohnen werden», erzählt Mirjam Fischer. «Es hat sich einfach so ergeben. Wir haben beide eine total schöne Wohnung. Und sind oft mit vielen Leuten unterwegs. Deshalb brauchen wir ab und zu Zeit für uns allein.»
Beat Schlatter ergänzt: «So haben wir auch all die kleinlichen Diskussionen nicht, die Paare eben haben. Wie beispielsweise ‹Was machen diese Pfannen da?› oder ‹Da liegt wieder ein Kleiderhaufen von dir.›» Zudem sei die Leere oder das Alleinsein auch ein künstlerischer Prozess. «Ist man dauernd mit etwas beschäftigt oder spricht mit jemandem, ist man immer auch abgelenkt. Schafft man eine Leere, kommen die Ideen. Das ist unglaublich wichtig für mich.»
Über Erfolg und Frotteeschwäne
Die Frage drängt sich auf: Wer übernachtet mehr bei wem? «Ich gehe mehr zu Beat, weil er sieben Sofas in der Wohnung hat», sagt Mirjam und schmunzelt. «Nein, Moment mal», kontert Beat. «Es gibt noch andere Gründe. Frau Fischer wohnt im fünften Stock, und es gibt keinen Lift.» Und ja – bei Beat schlafen sie im gleichen Zimmer und im gleichen Bett, verraten die beiden, schauen sich an und lachen laut.
In den Ferien ist es gerade umgekehrt. Da mietet das Paar stets eine Wohnung, möglichst mitten im Geschehen. «Ich verstehe die Leute nicht, die es mehr als drei Tage mit der Partnerin oder dem Partner in einem Hotelzimmer aushalten», findet Beat Schlatter. «Wir mieten immer viel zu grosse Wohnungen. Hier in Venedig haben wir drei Schlafzimmer und zwei Badezimmer. Manchmal schauen die Vermieter skeptisch, wenn wir nur zu zweit ankommen. Und denken sich, wir würden Partys feiern oder den Rest der Verwandtschaft nachreisen lassen. Dabei möchten wir einfach viel Platz. Ausserdem schläft es sich besser alleine im Bett.» Der Schauspieler und Drehbuchautor ergänzt in seinem typisch-trockenen Beat-Schlatter-Humor: «Denn es ist wichtig, dass man in den Ferien ausgeschlafen ist. Ja, total wichtig.»
Manchmal, allerdings selten, verreisen sie auch getrennt. Mirjam Fischer: «Beat ist viel exponierter als ich. Es gibt so viele Leute, die etwas von ihm wollen oder einfach nur schnell Hoi sagen möchten. Da braucht er manchmal eine Pause. Und die muss er nicht mit mir machen. Ich will das auch nicht. Er muss sich nicht von mir erholen, sondern von dem, was er gerade hinter sich hat.»
So war Beat Schlatter diesen Sommer mit dem Film «Bon Schuur Ticino» bei 35 Open Airs zu Besuch. Spannend sei das gewesen, aber auch anstrengend. «Viele, viele Leute, viele, viele Selfies. Danach habe ich mir ein paar Tage in einem Hotel in Davos gegönnt. Allein.» Mit dem Erfolg von «Bon Schuur Ticino» habe übrigens niemand gerechnet, weder der Regisseur Peter Luisi noch er, so Schlatter. Es ist sein bisher lukrativster Film. Und belegt in den Top Ten der erfolgreichsten Schweizer Filme der Geschichte bereits Platz 7.
Doch zurück zu den Eheleuten Schlatter-Fischer. Auch wenn sie ein unkonventionelles Paar sind und Beat Schlatter mit «romantischem Zeugs» wie Valentinstag, Rosenblättern auf Hotelbetten und Schwänen aus Frotteetüchern so gar nichts anfangen kann, ist für ihn das Wichtigste in der Ehe, dass man sich gernhat. Und das jeden Tag. Und für seine «Frau Fischer» ist er sowieso der Beste. «Weil wir zusammen so viele Dinge machen, die uns bereichern. Und wir beide mit Humor in die Welt schauen. Das ist das Kostbarste überhaupt.»