Was wären Sie als Kind gern geworden?
Oh, so manches! An einem Tag wollte ich Abenteurerin werden, am anderen Dschungelforscherin. Ich sah mich aber auch als Hundezüchterin oder träumte davon, Sängerin zu sein.
Haben Sie schon einmal eine Therapie gemacht?
Ja! Wobei ich Therapie nicht das richtige Wort finde. Es sind mehr Reisebegleitungen in die inneren Abgründe. Ich wuchs noch in einem alten Erziehungssystem auf. Kinder wurden erzogen; dabei standen Gehorsam, Schuld und Scham im Zentrum. Zärtlichkeit galt als Verweichlichung. Da musste ich hohe Mauern bauen, um emotional zu überleben. Aber irgendwann stehen dir diese Mauern im Weg und nehmen dir die ganze Lebensfreude.
Welches Ereignis hat Ihr Leben verändert?
Ich war 19, arbeitete in einem Pariser Armenviertel und war das erste Mal allein an Weihnachten. Anstatt Heimweh hatte ich ein Gefühl von unendlicher Freiheit. Jemand erzählte mir von einer jungen Truppe, die in einer alten Papierfabrik Theater macht – und sie spielte am 24. Dezember. Also besorgte ich mir eine Karte, zog los und fand ein ziemlich verlottertes Gebäude in einem riesigen Park. Die Vorstellung hiess «1789», es ging um die Französische Revolution. Ich war bis zu diesem Zeitpunkt – ausser einmal mit der Mittelschule – noch nie im Theater gewesen. Das Stück fing an, und ich war sofort in einem Strudel mitgerissen. Die Schauspieler rannten und schrien durch die Räume, wir Zuschauer wurden das Volk, das ihnen folgte und bald bereit war, die Bastille zu stürmen. Ein solch intensives, emotionales und Feuer fangendes Spiel hatte ich noch nie erlebt. Völlig benommen torkelte ich aus dem Theater; noch heute habe ich klare Bilder da-von vor Augen. Erst später wurde mir klar, dass ich an diesem Abend die Anfänge des Théâtre du Soleil miterlebt hatte, das mit seiner Regisseurin Ariane Mnouchkine bald weltberühmt wurde.
Was haben Sie für einen Spitznamen?
Jimmy.
Wie möchten Sie sterben?
Selbstbestimmt und heiter Abschied nehmend.
Was sollte auf Ihrem Grabstein stehen?
Sie war zum Totlachen lustig.
Wann haben Sie zuletzt geweint?
Vor Jahren, als ich ein totes, an einen Strand gespültes Flüchtlingskind sah. Dieses Bild wird bei jeder Kinderleiche in einem Plastiksack wieder lebendig. Diese Ohnmacht, von so viel Schmerz zu wissen, ohne wirklich helfen zu können. Wir müssen die Welt gerechter machen, sodass niemand unfreiwillig seine Heimat verlassen muss.
Wofür haben Sie zuletzt gebetet?
Wenn Beten heisst, Schutz zu erbitten, dann tue ich es vor jeder Tournee. Und ich bedanke mich auch nach jedem heilen Nachhausekommen. Ich habe nur keinen genauen Adressaten für meine Gebete.
Wer oder was wären Sie gern nach Ihrer Wiedergeburt?
Eine Amsel, deren Gesang so zu Tränen rührt wie mich heute Morgen.
Wären Sie lieber sympathischer oder intelligenter?
Das schliesst sich doch nicht aus!
Welches Kompliment haben Sie kürzlich erhalten?
Es ist kein einzelnes oder spezielles. Aber es häufen sich Mitteilungen junger Kunstschaffenden – viele Frauen, aber auch Männer –, die mir mitteilen, dass sie dank mir zum Theater gekommen sind, nachdem sie als Kind eine Vorstellung von mir gesehen haben. Es freut mich so sehr, dass etwas in meinem Spiel die jungen Seelen so berührt hat, dass sie weiter davon träumen wollen. Und dass dieser kleine Anstoss mitbewirkt hat, dass sie ihr Leben umplanen.
Was lernen Sie gerade, was Sie noch nicht so gut können?
Mehr zuzulassen. Nicht mehr alles planen, voraussehen und kontrollieren zu müssen. Das war wohl im Aufbau meines «Kleinbetriebs» von existenzieller Bedeutung für mich. Auch als Mutter und Berufsfrau war eine gute Organisation Voraussetzung. Heute jedoch muss ich nicht mehr müssen. Wobei ich gestehe: Ein jahrzehntelang eingeübtes Funktionieren lässt sich nicht einfach abschütteln. Loslassen ist eine Kunst. Es ist nicht ein passives Erleiden, sondern ein heiteres Entspannen.
Wer sind Ihre Lieblingsheldinnen?
Meine beiden Grossmütter, Emma und Katharina. Ach ja, und nicht zu vergessen: die rote Zora.