Es ist Dienstag. Wie jede Woche sind Angélique Beldner, 44, und Miriam Wälchli, 38, zum Sport verabredet. Wer die beiden zusammen sieht, würde nie vermuten, dass sie Schwestern sind. Halbschwestern, um genau zu sein. Aber das hören beide nicht gerne. «Wir sind Schwestern, Punkt», sagen sie bestimmt. Der Unterschied ist, dass die «Tagesschau»-Moderatorin einen Vater aus Benin, Westafrika, hat und Miriams Vater aus Bern kommt. Auch heute wohnen beide Frauen noch in und um Bern, wo sie aufgewachsen sind, und sprechen einen breiten Berner Dialekt. Aber da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf.
Angélique Beldner, Sie sind sechs Jahre als Einzelkind aufgewachsen. Wie toll fanden Sie es, als mit Miriam noch ein Baby kam?
Ich war ein sehr aktives Kind, das immer gerne möglichst viele Leute um sich herum hatte. Mein grösster Wunsch war es, Geschwister zu haben, mit denen ich spielen kann. Und so war ich enorm happy, als meine Mutter mir sagte, dass ich eine Schwester bekomme.
Und als dann das Baby wirklich da war?
Ich war wahnsinnig stolz und habe sie gerne «bäbelet».
Miriam Wälchli: Ja, man sagts (schmunzelt).
Angélique Beldner: Ich muss gestehen: Manchmal habe ich ihr extra den Nuggi weggenommen, weil ich es herzig fand, wenn sie weinte. So konnte ich sie trösten, indem ich ihn ihr wiedergab.
Miriam: Zum Glück kann ich mich nicht daran erinnern.
Angélique: Du hast ja keine bleibenden Schäden davongetragen … (lacht).
Ihre ersten Erinnerungen an Angélique?
Miriam: Durch unseren Altersunterschied hatten wir einen ganz anderen Freundeskreis und unterschiedliche Interessen. Daher hab ich eigentlich erst Erinnerungen an die Zeit, als Angélique schon eine junge Frau war. Ein Highlight war sicher, als sie mich zum ersten Mal in den Ausgang nach Bern ins Wasserwerk mitnahm. Da war ich knapp fünfzehn. Und unglaublich stolz, denn eigentlich hätte ich gar noch nicht mitdürfen.
Angélique: Ich staune auch!
Miriam: Momol, du hast mich sogar noch aufgestylt, damit ich als 18-Jährige durchgehe. Und es hat funktioniert!
Wie waren Sie als Jugendliche?
Angélique: Sagen wir mal so: Ich war alles andere als ein Stubenhocker. Ausser am Sonntagnachmittag. Da sass ich mit leerer Kassette und dem Kassettenrekorder vor dem Radio und nahm die Hitparade auf – und zwar nahezu jeden Sonntag.
Miriam: Jetzt wird mir einiges klar! Darum kamst du nie mit bei unseren Sonntagsausflügen. Ich musste immer mit der Familie spazieren gehen.
Angélique: Tja, das ist das Los der Jüngeren …
Zu dieser Zeit war die kleine Schwester sicher nicht mehr so cool?
Angélique: Cool, uncool – das war für mich kein Thema. Aber ich könnte mir vorstellen, dass Miriam zu der Zeit einiges uncool fand …
Miriam: Ja, meine Pubertät war nicht ganz ohne.
Angélique: Der Fokus war während deiner Pubertät einfach extrem auf dich gerichtet. Dabei wären unsere Eltern sicher mit einigen Sachen auch nicht einverstanden gewesen, die ich in meinen wilden 20ern gemacht habe. Aber das bekamen sie einfach gar nicht so mit.
Miriam: Ich habe gern offen rebelliert, du wahrscheinlich eher versteckt.
Haben Sie auch schon mal so richtig gestritten?
Angélique: Hm … Ich glaube, tatsächlich noch nie!
Miriam: Mich überrascht es immer wieder, wenn ich höre, dass es Geschwister gibt, die verkracht sind. Ich kann mir so etwas gar nicht vorstellen.
Angélique: Wir haben ja auch noch einen jüngeren Bruder, Gregor. Klar gibts mal Meinungsunterschiede – aber so richtig gestritten haben wir drei nie.
Miriam: Das ist doch eine Frage des Respekts und der Werte, die uns mitgegeben wurden.
«Unsere Eltern wären sicher mit einigen Sachen auch nicht einverstanden gewesen, die ich in meinen wilden 20ern gemacht habe»
Angélique Beldner
War Angélique ein Vorbild für Sie?
Miriam: Ja, sicher! Auch wenn wir sehr verschieden sind: Sie ist sprachlich stark, ich eher mathematisch. Angélique liebte es, an Festivals zu gehen, ich überhaupt nicht. Und sie hörte ganz andere Musik.
Angélique: Miriam mag elektronische Musik! Ich bin eher der Funk-Typ. Zudem gingen Miriam und Gregor jeweils am Wochenende an Partys auf dem Land, während ich in die Stadt ging.
Angéliques grosser Traum war immer, auf der Bühne zu stehen. Nach einer Schauspielausbildung zog es sie zum Fernsehen. Seit 2015 moderiert sie fürs SRF die «Tagesschau» und ist neu auch Moderatorin der Quizshow «1 gegen 100». Ihre Schwester Miriam Wälchli arbeitet als Finanzchefin einer öffentlichen Spitexorganisation. Beide haben zwei Söhne im gleichen Schulalter.
Fällt es Ihnen schwer, Beruf, Kinder und Familie unter einen Hut zu bekommen?
Angélique: Was ich schon alles hörte: «Schon verrückt, was dein Mann alles leistet.» Im Stil: Damit ich meiner Karriere in Zürich nachgehen kann, muss mein armer Mann immer einspringen. Klar, wenn ich nicht da bin, ist es für ihn um einiges strenger. Wie umgekehrt auch, wenn er nicht da ist. Wir haben aber auch hilfsbereite Nachbarn, Freunde, und ja, auch meine Familie dürfen wir jederzeit fragen. Ich habe es übrigens immer mal wieder erlebt, dass Männer ihre Kinder mit zur Arbeit nehmen. Alle fanden das mega süss. Die Frauen, mit denen ich darüber sprach, sagten, sie würden das eher nicht machen – aus Angst, man könnte denken, sie hätten es nicht im Griff.
Miriam, haben Sie Ihre Schwester je beneidet, weil sie oft im Mittelpunkt steht?
Miriam: Im Gegenteil. Ich war schon immer froh, wenn ich nicht auffalle, und fühle mich im Hintergrund viel wohler.
Angélique: Ich hatte zwar immer schon diese leicht theatralische Ader in mir, doch auffallen wollte ich eigentlich auch nicht.
Warum das?
Nun, da, wo ich aufgewachsen bin, war ich weit und breit das einzige dunkelhäutige Kind. Eine Exotin. Ich fiel schon so genug auf.
Liess man es Sie spüren, dass Sie anders sind?
Eigentlich nicht wirklich. Ich denke, dass es Ausländer, die beispielsweise erst die Sprache lernen und sich vielleicht sogar mit einer neuen Kultur vertraut machen müssen, grundsätzlich schwerer haben. Meine Mutter war Lehrerin, und wahrscheinlich traute sich deshalb niemand so richtig, mich zu ärgern. Aber natürlich sagte man mir auch schon Mohrenkopf oder so.
Hat Sie das verletzt?
Meine Mutter sagte mal: «Deiner Schwester sagt man dafür vielleicht mal dumme Kuh.» Das hätte mich genauso verletzt. Was ich viel mehr hörte, war, dass Erwachsene Bemerkungen machten wie: «Gäll, du bist adoptiert?» Und das lange bevor ich verstand, was das überhaupt bedeutet.
Wie haben Sie darauf reagiert?
Ich fragte meine Mutter. Später habe ich jeweils ganz klar gesagt, dass ich nicht adoptiert bin. Doch meist wollten sie mir gar nicht zuhören. Eine Frau sagte sogar: «Doch, doch, deine Eltern werden es dir sicher sagen, wenn du älter bist!»
Sie sind in Ihrer Familie die einzige Dunkelhäutige. War das komisch für Sie?
Meine Mutter heiratete erst kurz vor Miriams Geburt. Deshalb trug ich zunächst noch ihren Ledignamen als Einzige der Familie. Das störte mich sehr. Die andere Hautfarbe dagegen überhaupt nicht.
Miriam: Auch für mich war das nie ein Thema. Angélique ist meine Schwester, Punkt.