Alles begann mit dem verheerenden Tsunami an Weihnachten 2004. Riesige Wellen überfluten die Küsten am Indischen Ozean. 228'000 Menschen sterben. «Da wurde mir klar: Ich muss etwas tun», sagt Yann Borgstedt, 48. Der gebürtige Genfer sammelt Kleider und Spielzeug und reist nach Sri Lanka. «Ich sah das unglaubliche Ausmass der Zerstörung, das war der Anfang meiner spirituellen Reise.
Damals habe ich begriffen, dass es im Leben ums Teilen und Geben geht.» Im Genfer Vorort Grand-Lancy hat sich Borgstedt im Industriegebiet ein Büro eingerichtet. Wo im Erdgeschoss PET-Flaschen sortiert werden, leitet er im ersten Stock seine Stiftung. Doch eigentlich lebt der IT- und Immobilien-Unternehmer in Dubai. «In der Schweiz bin ich nur während des Sommers, weil es dann in Dubai zu heiss ist», sagt er. «Und für Weihnachten komme ich natürlich auch in die Schweiz.»
Yann Borgstedt wuchs in Genf mit einer jüngeren Schwester auf. Sein Vater, Jean-Jacques Borgstedt, leitet in der vierten Generation das Unternehmen Pelichet, das auf fünf Kontinenten Umzüge durchführt. Borgstedt studierte in den Vereinigten Staaten an der Universität in Boston und lebte danach zehn Jahre in London. Er gründet 1996 eine Firma für Webdesign mit und verkauft sie zwei Jahre später einer französischen Firma. Seit sechs Jahren lebt er in Dubai. «So bin ich näher bei meinen Projekten im Nahen Osten.»
«Ich habe den Lebenssinn schon als Kind hinterfragt», sagt er. Er habe immer mehr gewollt, als nur eine Familie zu gründen und Geld zu verdienen. «Wenn ich einen Obdachlosen sehe, könnte ich weinen. Ich möchte, dass niemand auf der Welt leidet.» Ein Jahr nach dem Tsunami reist er durch Marokko und lernt eine Organisation kennen, die sich für kleine Mädchen einsetzt, die an reiche Familien als Dienstmädchen vermittelt werden.
«Viele dieser Mädchen leben wie Sklavinnen und enden oft auf der Strasse oder auf dem Strich. Ich konnte nicht verstehen, dass so etwas auf der Welt passieren kann.» Im Jahr darauf gründet er die Stiftung Womanity, die sich für gleiche soziale, wirtschaftliche und politische Rechte für Frauen und Männer einsetzt.
«Wenn ich einen Obdachlosen sehe, könnte ich weinen. Ich möchte, dass niemand auf der Welt leidet»
«Ich bin kein Feminist. Ich bin ein Humanist», sagt Borgstedt. Benutze er das Wort Feminist, würde er die Männer abschrecken. «Aber Männer müssen auch Teil der Gleichberechtigung sein. Es macht keinen Sinn, gegen sie anzukämpfen.» Er sehe das aus der logischen Perspektive eines Geschäftsmannes: «Wenn nicht alle Angestellten eines Unternehmens die gleichen Voraussetzungen haben, ist ja klar, dass die Firma keinen Erfolg hat.»
Yann Borgstedt bindet sein langes, dunkles Haar lässig zu einem Dutt. Er trägt Sneakers und enge Hosen, mag Rockmusik – in seinem Büro hat er eine Elektrogitarre mit den Unterschriften aller Rolling Stones und eine mit der Signatur der Beatles. In seiner Freizeit geht er gerne gut essen, und einmal im Jahr macht er Heliskiing- Ferien irgendwo auf der Welt. «Es ist ein guter Ausgleich, weil ich mein ganzes Herzblut in die Stiftung stecke.» In die Fussstapfen seines Vaters wollte er nie treten. «Das war für uns beide klar.» Heute führt seine jüngere Schwester Alexandra die Umzugsfirma in der fünften Generation.
2007 lernt Borgstedt über einen Freund Cherie Blair kennen, die Frau des damaligen britischen Premierministers Tony Blair. Die beiden reisen gemeinsam nach Afghanistan zur grössten Mädchenschule des Landes. «Die Umstände dort waren katastrophal. Viel schlechter als die Schulen für Jungen.» Mit der britischen Regierung bauen sie die Schule um, heute gehört sie zu den fünf besten des Landes. «Inzwischen haben wir 14 Schulen umstrukturiert.» Seine Stiftung finanziert Projekte in Indien, Südafrika, Mexiko und Brasilien. In Nahost startet Borgstedt den ersten Frauen- Radiosender und einen Youtube-Kanal mit arabischen Influencerinnen, die über Gleichberechtigung reden.
Auch in der Schweiz engagiert sich Yann Borgstedt. Etwa bei der EqualVoice-Initiative von Ringier. «In unseren Medien gibt es zu viele Klischees: Oft werden Männer im Anzug fotografiert, Frauen freizügig. Wir fragen meistens bei Experten nach, obwohl es viele Expertinnen gibt.» Um Geld für seine Stiftung zu sammeln, veranstaltet Borgstedt alle vier Jahre ein Galadinner. Anfang Februar sammelt er an einem Abend in Genf 2,8 Millionen Franken von den 1000 Gästen. «Ich weiss, wie man gute Partys organisiert. Ich sorge dafür, dass die richtigen Leute einen lustigen Abend haben.» Etwa mit einem männlichen Stripper, der zu «It’s A Man’s Man’s Man’s World» an der Stange tanzt. Sein privates Glück fand er mit seiner Frau, einer Kanadierin, und den zwei gemeinsamen Kindern.