Wer mit Yann Sommer zu tun hat, lernt einen entspannten, freundlichen jungen Mann kennen, dessen Horizont nicht am Stadiondach aufhört. Der das, was er tut, unglaublich ernst nimmt, sich selbst aber nicht so sehr. Der gleichzeitig ein vorbildhafter Fussballprofi ist und ein liebender Familienvater und schliesslich ein interessierter Zeitgenosse.
In den aufregenden Tagen der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft machte Yann Sommer lediglich Schlagzeilen, als er das Nati-Camp für einen Tag verliess, um in Deutschland seiner Frau Alina bei der Geburt des zweiten Töchterchens Nayla beizustehen. Zurück beim Team, sichert ein buchstäblich fliegender Sommer mit seinen famosen Paraden im Spiel gegen die Türkei den 3:1-Sieg. «Es geht darum, stets ganz im Moment zu leben, auch wenn das nicht immer leicht ist. Aber meine Frau hat ebenso Anspruch auf meine volle Aufmerksamkeit wie das Team auch», umschreibt er dieses Spannungsfeld.
Charakter hat aber nicht nur die Nummer 1 selbst gezeigt, sondern die ganze Mannschaft. «Man hat es an der Körpersprache gesehen, an der Solidarität füreinander und an der ganzen Teamleistung an sich», sagt Sommer nach dem entscheidenden Match gegen die Türkei, welcher den Achtelfinal sicherte.
«Meine Frau hat ebenso Anspruch auf meine volle Aufmerksamkeit wie das Team auch»
Yann Sommer
Als Spitzensportler überlässt Sommer nichts dem Zufall, sein Trainings- und Ernährungsprogramm ist auf fast schon beängstigend gut durchdachte Art und Weise detailliert und ausgefeilt. Der Schweizer überlegt sich genau, was er wann isst und – ach, ja – kochen kann er natürlich auch noch. Zu essen gibt es bei Sommers vorwiegend vegetarische und vegane Küche. «Ich habe einfach herausgefunden, dass mir das guttut, für andere muss das überhaupt nicht richtig sein», sagt er in einer aufrichtig bescheidenen Art.
Dass er aus seinen Ernährungsgewohnheiten keine Religion macht, sondern bei entsprechender Gelegenheit auch Freude an einem medium gebratenen Steak hat, zeigt einen interessanten Aspekt von Yann Sommers Persönlichkeit. Bei ihm verzahnt sich ein zielstrebiger Mann mit Sinn fürs Detail, für Ordnung und Präzision mit einem lebensfreudigen, geselligen Geniesser zu einer komplexen menschlichen Einheit.
Mit fünf Jahren nahm der kleine Yann, geboren am 17. Dezember 1988 in Morges VD, an seinem ersten Fussballtraining teil. Und als der damals zuständige Juniorentrainer fragte, wer von den Kindern ins Tor wolle, ging die Hand des heutigen Nationalgoalies als erste in die Höhe. Yann Sommer stellte sich mit Überzeugung zwischen die Pfosten, und da steht er nach 27 Jahren noch und bewegt sich dennoch immer weiter.
Die Überzeugung – und die Begeisterung – hat er sich bewahrt, «mein Job ist Fussballtorwart», sagt er. Und in seinem Beruf, so könnte man es sehen, bildet er sich laufend weiter. Neben herkömmlichen Ertüchtigungstechniken wie Kraft- und Ausdauertraining sowie natürlich den spezifischen Goalieübungen vernachlässigt Sommer auch seinen Geist nicht. Mentales Training oder Meditation hat er ebenfalls in seinen Wochenplan integriert. Eine spezielle App beispielsweise nutzt er zur Förderung seiner Konzentration, Koordination und Wahrnehmung. Und der Perfektionist in Torwarthandschuhen ist wohl auch daran zu erkennen, dass er selbst für seine Augenmuskeln ein kleines Übungsprogramm absolviert.
Und schliesslich sind auch die Erholungsphasen nicht zufällig angesetzt, «ich habe gute Erfahrungen mit einem Schlafplan gemacht», erzählt Yann Sommer. Und fügt mit einem tiefen Lachen an, der sei zwar von der zweijährigen Mila in letzter Zeit immer wieder durcheinandergebracht worden. Dass Fussball für den Schweizer Goaliestar zwar fast alles ist, in seiner Welt aber gleichzeitig noch Platz ist für mehr, sieht man nicht nur an der kleinen Schlafepisode.
«Ich habe mir angewöhnt, immer eine kleine Kamera dabeizuhaben, um Fotos zu machen und Erinnerungen festzuhalten»
Yann Sommer
«Architektur fasziniert mich zum Beispiel sehr, und als wir unser Haus umgebaut haben und ich mich mit der Gestaltung des Gartens beschäftigt habe, wurde mir klar, wie faszinierend Bäume sind», erzählt Sommer etwa auf die Frage, was das Leben sonst noch für ihn bereithalte. Und dass er Gitarre spielt und regelmässig Gesangsunterricht nimmt andererseits, ist im Profi-Fussballbetrieb doch eher ungewöhnlich. «Musik gleicht mich aus und bringt mich mit anderen Menschen zusammen, die meinen Horizont erweitern», erklärt Sommer seine Freude an Melodien.
«My Hometown» von Bruce Springsteen sei ein Song, den er gerne höre. Als «träumerische Ballade» beschreibt ihn Yann Sommer, und die leise Melancholie dieses Lieds aus dem Jahr 1984 passt irgendwie ganz gut zu einem erfolgreichen Fussballprofi, der einen grossen Teil seines Lebens fern von zu Hause verbracht hat und bei dem wochenlange Abwesenheiten zum Stellenprofil gehören.
Aber Sommer ist weit davon entfernt, ein melancholischer Sportler, rastlos und immer auf Achse zu sein – im Gegenteil. Der Goalie von Borussia Mönchengladbach in der ersten Bundesliga (seit 2014) und in der Schweizer Nationalmannschaft (seit 2012) ist ein in sich ruhender junger Mann und gerade deshalb ein sicherer Rückhalt in vielen Lebenslagen.
Immerhin hat er sogar das Unterwegssein, das für viele Fussballer eher Belastung als besonderer Reiz darstellt, für sich kultiviert. «Ich habe mir angewöhnt, immer eine kleine Kamera dabeizuhaben, um Fotos zu machen und Erinnerungen festzuhalten, die in unserem schnelllebigen Alltag sonst verloren gingen», erzählt Sommer. Er möge das Spiel mit Licht und Schatten, sagt er, und eine schönere Metapher für die Freuden und Leiden eines Fussballprofis kann man sich fast nicht ausdenken.