Lange Zeit war sie bekannt dafür, Haut zu zeigen. Viel Haut. Vor 15 Jahren zieht Zoe Scarlett, 37, aus in die Glamourwelt des Showbiz, um sich auszuziehen. Als Pin-up-Girl und Burlesque-Tänzerin lenkt sie mit sexy Outfits, verführerisch geschminkt und die Haare toupiert, alle Blicke auf sich, steht sogar im US-Unterhaltungsmekka Las Vegas auf der Bühne. Mehr Entertainment geht nicht. Mehr Ruhm auch nicht.
Jetzt aber schlägt sie in ihrem Leben ein neues Kapitel auf. Künftig zeigt sie mehr Herz als Haut. Anstatt Blicke auf sich zu ziehen, blickt sie als Coach und Face-Reader in andere Gesichter. Beim Gesichtlesen beziehungsweise der Physiognomik geht es darum, anhand des Gesichts einer Person Aussagen über deren Persönlichkeit, Gefühlszustand oder Gesundheit zu machen. Ihren Ursprung hat die Technik vor über 3000 Jahren in China. Wobei sich auch schon der griechische Gelehrte Aristoteles im Werk «Physiognomonica» mit dem menschlichen Antlitz befasste. «Ich habe mich schon immer für Tiefgehendes und für Psychologie interessiert», sagt Scarlett. Sie glaubt, dass sie auch deshalb als Künstlerin erfolgreich war, weil sie auf ihren seelischen Ausgleich achtete. Offen gibt sie zu, dass es Momente gab, in denen sie lieber hinter der Bühne geheult hätte, statt auf der Bühne zu tanzen.
Einen solchen Moment durchlebt Scarlett in der Nacht des 16. August 2019, als sie die Nachricht vom Tod ihres guten Freunds und Kollegen Ingo Kantorek (✝ 44) erhält. Der Schauspieler und die Burlesque-Tänzerin waren erst zwei Monate zuvor auf RTL zwei mit ihrer Serie «Tattoo Stories» gestartet. Kantorek und seine Ehefrau starben bei einem Autounfall. Zoe: «Mir zog es den Boden unter den Füssen weg.» Bis vor Kurzem konnte sie kaum darüber reden, der Schmerz war zu gross. «Es war ein langer Weg für mich, aber ich habe gelernt, damit umzugehen.»
Vor einem Jahr erlebt die Baslerin einen weiteren Schlüsselmoment. Für den Lokal-TV-Sender Telebasel interviewt sie seit Herbst 2020 an der Seite von Dani von Wattenwyl wöchentlich in der «DvW-Show» Personen zu mehr oder weniger aktuellen Themen. Zu ihren ersten Gästen gehörte Face- Readerin und Psychologie-Coachin Fabienne Rüttimann. «Ihr Wesen beeindruckte mich so tief, dass ich einen Termin bei ihr vereinbarte.» Unterdessen absolviert Scarlett bei der Baslerin eine Ausbildung zur psychologischen Face-Readerin.
Ihre Kostüme hat Zoe eingemottet – ebenso die Bühnenbilder. Wird es nie mehr Auftritte der Burlesque-Königin geben? «Man sollte niemals nie sagen.» Wie viele andere Künstler konnte die Entertainerin während der Pandemie nicht auftreten. Doch nun, wo sie wieder Anfragen für Engagements bekommt, merkt sie, dass sie darauf «keine rechte Lust mehr hat». Seit zwei Jahren nun bildet sie sich weiter, schliesst demnächst ihre Ausbildungen zum Coach für Neuro-Linguistisches Programmieren und zum Energie- Coach ab und wendet das Gelernte bereits an. «Mein Fokus liegt jetzt auf meinen Mitmenschen.»
Über 15 Jahre lebte Zoe Scarlett aus dem Koffer, jettete um die Welt für Tourneen, Auftritte, Moderationsjobs. Die einzige Konstante an ihrer Seite in dieser Zeit: Mischlingshündin Lima, 8. «Sie war – ausser in Übersee – immer dabei.» Der Vierbeiner, als Welpe im Müll entsorgt, landete via Facebook bei Scarlett. Lima sei stets Bestandteil der Künstlerverträge gewesen. So wie Popstar Madonna für Veranstaltungen festlegen lässt, dass jede Toilette, die sie benutzt, einen neuen Klodeckel hat, äusserte Scarlett als Sonderwunsch bei Engagements, dass ihr Hund dabei ist.
Klar hat sie sich ihr Gesicht lesen lassen. «Mich interessierte brennend, warum ich so viele Dinge mache und umherwirble.» Die Antwort überraschte sie nicht. «Ich bin geboren, um Informationen zu sammeln und Neues zu schaffen.» Genau das tut sie jetzt.