Der neue Bundespräsident Guy Parmelin, 61, ist ein «homme du terroir». Wer den gelernten Landwirt und Winzer besser verstehen will, muss wissen, wo er herkommt, muss die Landstriche kennen, die ihn seit Kindsbeinen geprägt haben. Ganz bewusst hat Parmelin darum die Schweizer Illustrierte gebeten, fürs Interview zu ihm nach Bursins VD zu kommen. Doch der geplante Besuch am Tag vor Weihnachten fällt wegen Corona ins Wasser. Weil Wirtschaftsminister Parmelin zuvor in England bei der Handelsministerin war, muss er vorsorglich bis und mit Heiligabend in Quarantäne.
Am 26. Dezember klappt es dann, und SI-Fotograf Kurt Reichenbach besucht den Bundespräsidenten und dessen Frau auf dem Hof, wo die beiden mit der Familie seines Bruders und dem Vater wohnen. Für den Montag, 28. Dezember vereinbaren wir mit dem Paar ein Video-Interview. Offen ist, ob sich Caroline Parmelin, 58, und ihr Mann aus der kleinen Ferienwohnung in Villars VD zuschalten oder von daheim aus Bursins oder sogar aus Bern.
Herr Bundespräsident, zu meiner Überraschung sitzen Sie nun doch neben Ihrer Frau Caroline in Ihrem Studio in den Waadtländer Alpen!
Normalerweise ist die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr die Zeit, wo auch ein Bundesrat mal ausspannen und daheim zur Ruhe kommen kann. Das ist dieses Jahr anders. Die Pandemie verlangt auch jetzt wieder meine volle Aufmerksamkeit. Das zehrt. Trotzdem muss auch ich den Kopf freikriegen. Hier oben in Villars kann ich das. Draussen schneit es. Das entschleunigt. Aber leider musste ich auch jetzt für diese zwei Tage eine Menge Arbeit mitnehmen. Schliesslich hat der Bundesrat kurz vor Weihnachten versprochen, dass Finanzminister Ueli Maurer, Sozialminister Berset und ich als Wirtschaftsminister für die von Corona am meisten gebeutelten Branchen – wie etwa die stillgelegte Gastronomie – weitere Varianten für Abfederungsmöglichkeiten auf den Tisch legen.
Fahren Sie aus Solidarität mit den Bahnbetreibern jetzt auch Ski?
Guy Parmelin: Nein, nein. Ich möchte nicht mit Krücken ins Präsidialjahr starten und ein Spital zusätzlich belasten. Aber es kann absolut guttun, in dieser Zeit mit den vielen Geboten und Verboten sich einfach draussen an der frischen Luft zu bewegen. Darum haben wir als Bundesrat gesagt, dort, wo es möglich ist, darf man auch langlaufen oder sogar Ski fahren.
Caroline Parmelin: Auch wenn das Wetter gut ist und ich mich gut fühle, ist es noch offen, ob ich ein paar Schwünge auf den Ski mache. Guy weiss zwar, dass ich eine vorsichtige Fahrerin bin. Ich habe ja auch als Einzige der Familie noch nie was dabei gebrochen (lacht). Aber es ist vielleicht besser, wenn ich die Piste den jüngeren Sportlerinnen und Sportlern überlasse.
Madame Parmelin, hat sich Ihr Mann verändert in diesem Corona-Jahr?
Nein, ich glaube nicht. Mein Mann ist sehr ausgeglichen und …
Guy Parmelin unterbricht seine Frau und schaut sie liebevoll an: «... vielleicht bin ich dieses Jahr doch auch hin und wieder etwas schwieriger gewesen. Ich glaube, ich war daheim angespannter und manchmal auch etwas gereizter zu dir als sonst.»
Frau Parmelin, Sie wohnen unter der Woche mit Ihrem Mann in einer Mietwohnung in Bern, um ihm näher zu sein. Wie war das dieses Jahr? Spürten Sie diese Anspannung?
Ja klar. Aber ich durfte in den letzten Jahren auch die anderen Bundesräte und ihre Partner kennenlernen. Und ich muss sagen: Das ist wirklich ein gutes Team. Das ist für meinen Mann sehr wichtig und gut fürs Land.
Guy Parmelin: Ja, zum Glück. Aber es war schon sehr herausfordernd. Oft kam ich spät heim aus dem Bundeshaus in unsere Berner Wohnung und hatte dann immer noch den Kopf nicht frei. Normalerweise unternehmen wir viel zusammen, soweit es die dicht gedrängte Agenda natürlich zulässt. Wir gehen gerne zusammen an Konzerte und in die Oper. Das gabs jetzt alles nicht.
Sie, Frau Parmelin, waren bis 2016 Sekundarlehrerin. Was ging Ihnen durch den Kopf, als der Bundesrat im Frühling die Schulen schloss?
Es hat mich enorm beschäftigt. Ehrlich gesagt, ich war in diesem Moment sehr froh, nicht mehr im Schulbetrieb zu sein. Der Fernunterricht ist eine unglaubliche Herausforderung für Lehrer und Schüler. Ich hoffe sehr, dass es keine dritte Welle mehr gibt und so eine Massnahme nicht nochmals nötig wird.
Guy Parmelin: Das hoffen wir. Aber ich kann es heute nicht versprechen. Die Mutation des Coronavirus besorgt uns sehr. Wir müssen weiterhin für alles gewappnet sein.
Trotz Impfung?
Ja. Bis auch Nicht-Risikogruppen geimpft werden können, dauert das wohl sicher noch einmal drei, vier Monate. Wir müssen also wachsam bleiben.
Werden Sie sich impfen lassen? Grüne und SVP-Wähler sollen ja laut einer Umfrage besonders impfkritisch sein.
Ja sicher. Aber ich finde, zuerst sollen die geimpft werden, die es am nötigsten haben. Der Bundesrat wird sich wohl auch früh impfen lassen, um zu zeigen, dass wir uns alle auf die Impfung verlassen können.
Caroline Parmelin: Auch ich werde mich impfen, sobald es möglich ist. Mein Mann und ich zählen ja zum Glück nicht zur Risikogruppe. Aber ich finde, es ist ein Akt der Solidarität. Es ist neben den übrigen Verhaltensempfehlungen das Einzige, was wir selber tun können, damit 2021 nicht so wird wie 2020.
Guy Parmelin: Ja, meine Frau hat absolut recht: Es ist ein Akt der Solidarität.
Und was sagen Sie den Impfskeptikern?
Ich verstehe, dass man vorsichtig ist. Schliesslich ist es eine neue Art der Impfung, und der Impfstoff wurde sehr schnell entwickelt. Das wirft Fragen auf. Aber ich empfehle genau darum wirklich allen, die Unterlagen des Bundesamtes für Gesundheit zu studieren. Und alle, die Fragen haben, sollen das mit dem Hausarzt besprechen. Das wird die Angst nehmen.
Viele haben überhaupt Angst in dieser Corona-Zeit. Was ist Ihr Mittel dagegen? Worauf gründet Ihr Vertrauen, dass es gut kommt? Gott? Die Natur? Ihre Frau?
Ich bin nicht besonders fromm. Aber ich glaube an Gott. Und vielleicht war das in diesem Jahr unausgesprochen wichtiger als auch schon.
Caroline Parmelin: Für uns sind auch die Wochenenden in Bursins sehr wichtig. Obwohl Guy immer viel Arbeit heimnehmen muss, können wir hier gut abschalten.
Was war im vergangenen Jahr der Moment, der Sie am meisten berührt hat?
Caroline Parmelin: Das war ganz bestimmt die Zeit, als Guys Vater und auch sein Bruder an Corona erkrankten. Es hat mich berührt, wie vorbildlich mein 84-jähriger Schwiegervater das alles ruhig und gelassen und ohne Klagen ertragen hat und so schliesslich auch die Krankheit überwinden konnte.
Guy Parmelin: Wer das erlebt hat, nimmt Covid ernst und hat wenig Verständnis für alle, die sagen, ja, ja, die Opfer sind ja schon alt. Natürlich ist mein Vater bereits 84 Jahre alt, aber wer sind wir, dass wir ihm einfach zusätzliche Lebensjahre absprechen? Zudem kenne ich mittlerweile auch jüngere Menschen, die wegen Corona im Spital auf der Intensivstation gepflegt werden mussten.
Der Kampf gegen Corona geht nicht ohne Rücksichtnahme. Wird irgendetwas Nachhaltiges aus dieser Corona-Zeit bleiben?
Guy Parmelin: Ja. Homeoffice wird es zum Beispiel weiterhin in grösserem Mass geben als früher. Das hat wiederum Auswirkungen auf die Gastronomie. Es wird weniger Beizen geben, die mittags öffnen werden. Aber auch der transkontinentale Tourismus wird nicht mehr gleich wie früher sein.
In Chur und Bern gehen die Beizer auf die Strasse. Sie sind wütend und in höchster Existenzangst. Sogar die Ökonomin Monika Bütler, die Mitglied der Covid-Taskforce ist, sagt: «Ein Gastwirt, der vorübergehend schliessen muss, tut etwas für uns alle, das gehört entschädigt.» Gibt es Hoffnung für die Beizer?
Guy Parmelin: Ich kann hier nichts versprechen. Wir haben mit der Kurzarbeit, dem Corona-Erwerbsersatz und den Härtefallhilfen bereits wirksame Unterstützungsmöglichkeiten. Es braucht jetzt Hilfe, die rasch und unbürokratisch bei den Beizern ankommt. Aber das Parlament hat auch Einschränkungen für Härtefallhilfen beschlossen. Trotzdem kann es sein, dass wir noch einmal die Mittel für Soforthilfe erhöhen müssen. Natürlich auch mit Unterstützung der Kantone. Ohne sie geht es nicht.
In der Deutschschweiz werden Sie oft sehr herablassend etikettiert: «Ausgerechnet Parmelin», höhnten die Tamedia-Zeitungen im Hinblick auf Ihr Amt als Bundespräsident. In den CH-Media-Blättern titelte man «Der nette Herr Parmelin», und in der NZZ hiess es mit ebenso schnippischem Unterton «radikal kollegial». Was löst das bei Ihnen aus?
Caroline Parmelin: Ich verstehe es eigentlich nicht. Ich finde es gut, dass mein Mann anständig und nett ist. Das sind Werte, die wichtig sind für einen guten Umgang miteinander. Ich finde es auch gut, dass er in der Regierung kollegial ist. Nur so gibt es gute Lösungen fürs Land.
Guy Parmelin: Und das soll auch mein Motto sein für meine Amtszeit als Bundespräsident. Ich will nett sein. Ich will den Menschen zuhören, natürlich auch in der Deutschschweiz. Ich will Brücken bauen. Darum werde ich im Verlaufe des Jahres auch alle vier Sprachregionen mindestens einmal besuchen. Natürlich nur wenn Corona es zulässt.
Was haben Sie sich zu Weihnachten geschenkt?
Guy Parmelin: Wir suchen uns unser Weihnachtsgeschenk immer schon weit vor dem Fest aus. So wars auch dieses Jahr. Als wir im Herbst in einem Laden waren, sagte Caroline, das wäre was, das sie gerne hätte. Dann habe ich gesagt: Okay, das kaufen wir jetzt als dein Weihnachtsgeschenk.
Caroline Parmelin: Es sind aber immer nützliche Geschenke, die wir uns machen. Guy zum Beispiel bekam von mir eine warme Weste.
Zum Jahresende gabs für die Wirtschaft doch noch eine Good News mit dem Brexit-Deal zwischen der EU und Grossbritannien. Ist das auch eine gute Nachricht für das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU?
Ich sehe es als ein gutes Zeichen für die Stabilität und natürlich auch für unsere Verhandlungen. Jetzt müssen wir die Brexit-Verträge analysieren und die richtigen Schlüsse daraus ziehen.