Müde, aber zufrieden liegt Luca Hänni auf seinem Sofa. Durch die Fensterfront blickt der 24-Jährige auf eine bunte Wildblumenwiese. Die Grillen zirpen bei frischen 17 Grad. Hier im idyllischen, knapp 3000-Seelen-Dorf nahe Bern ist er seit fünf Jahren daheim. Hier erholt er sich vom Kontrastprogramm der vergangenen zwei Wochen: seiner Teilnahme am Eurovision Song Contest im 30 Grad heissen Tel Aviv. «Jeden Tag habe ich eineinhalb Stunden die Choreografie geübt, gefühlt 20 Interviews gegeben und für die Kameras in jeden Falafel gebissen.»
Sein Rundum-Einsatz hat sich gelohnt. Der Berner Giel schaffts mit dem Song «She Got Me» in den Final und performt in Tel Aviv vor dem begeisterten Publikum und weltweit vor 200 Millionen TV-Zuschauern – zu Spitzenzeiten knapp eine Million in der Schweiz. «Die Millionen habe ich ausgeblendet. Vor einem Auftritt gehe ich in einen anderen Modus über.»
Für die Schweiz holt er nicht zero Points, sondern sagenhafte 360 Punkte, landet auf dem sensationellen vierten Platz und erzielt das beste Resultat seit 26 Jahren. «Ich hoffe, die Schweiz ist stolz auf mich», sagt Hänni kurz nach dem Final, bevor er sich morgens um drei Uhr einen Schluck Rotwein gönnt.
Daheim auf der Kücheninsel stehen sechs Flaschen seines liebsten Rotweins Victorino Toro. Es scheint, dass alles, was Luca Hänni angeht, von Erfolg gekrönt ist. Bereits 2012 gewinnt er die Castingshow «Deutschland sucht den Superstar». «Das war der Start in etwas völlig Neues», so der ehemalige Maurerlehrling. Sein Stiefbruder Cyril Schmid, 29, wird sein Manager, das Familienunternehmen Luca Music GmbH wird gegründet. «Von Anfang an war unser Motto: Wir wollen uns was aufbauen», so Schmid. Weitsichtig, wenn man bedenkt, dass Luca damals 17 Jahre jung war. «Wir wollten Gas geben und allen beweisen, dass ein Casting-Sieger nicht gleich wieder in der Versenkung verschwinden muss», so Hänni.
So schön war der Auftritt von Luca Hänni am ESC
2014 räumt er im Schweizer Fernsehen beim «Kampf der Orchester» ab, 2015 bei «Sing mit deinem Star». Und vor zwei Jahren brilliert er bei der RTL-Show «Dance Dance Dance». «Der ESC-Erfolg ist ein weiterer Schritt zu mehr Akzeptanz. Manche Leute haben mich schon immer belächelt, aber es sind jetzt definitiv weniger. Es haben sich Menschen bei mir gemeldet, die mich zuvor noch nie kontaktiert haben. Eine schöne Bestätigung.» Sein Erfolgsgeheimnis? «Glück und ‹mir mached eifach, gäu›», sagt er. «Aber für die drei Minuten am ESC habe ich drei Monate hart trainiert. Ich nehme nichts auf die leichte Schulter.»
Jetzt machen Luca Hänni und Michèle Liebesferien
Es ist seine Mischung aus Bescheidenheit und Professionalität, die ihn beim Publikum so beliebt macht. Er ist der Strahlejunge von nebenan und gleichzeitig der Entertainer, der die Bühne rockt. Luca gibt für seine Karriere alles, aber nie auf Kosten seiner Liebsten. Seinen einzigen freien Tag opfert er diese Woche für das Shooting mit der Schweizer Illustrierten. «Aber am Geburtstag meines Schatzes nächste Woche habe ich frei. Michèle war vor Ort die beste Stütze und hat den ganzen Medienrummel einfach toll mitgemacht.»
«Mit zunehmendem Alter wird Luca selbstkritischer»
Luca Hänni gähnt nonstop, räumt das Espresso-Tässli in den Geschirrspüler, später will er die Vierzimmerwohnung noch staubsaugen. Die Koffer hat er bereits ausgepackt, die Wäsche gewaschen, denn an seinem ersten Tag zurück in der Schweiz ist er mit Lehrerin Michèle, 26, solidarisch um sieben Uhr aufgestanden. «Am Nachmittag hatte sie dann frei, und wir haben etwas relaxt und zusammen im Studio Musik gemacht.» Im Sommer planen sie, gemeinsam an Songs für sie zu schreiben. «Michèle hat eine super Stimme.»
«Tue mal hurtig schnufe», mahnt Cyril Schmid den umherwuselnden Luca. Er kennt den Musiker mittlerweile wie kein anderer: «Luca hat sich in den vergangenen sieben Jahren kaum verändert, ist weder abgehoben noch arrogant. Doch mit zunehmendem Alter wirkt er professioneller, aber auch selbstkritischer.» Und Cyril weiss: «Luca macht nur das, was er für richtig hält.»
So flirtete er bereits drei Jahre mit dem Gedanken, für die Schweiz am ESC teilzunehmen. «Es war richtig zu warten», so Luca. Nicht unwichtig war sein Erfolg bei «Dance Dance Dance». Dadurch entdeckte er sein Tanztalent. «Luca hat sich zuvor auf der Bühne immer bewegt, aber nie koordiniert», so Schmid. «Ohne die Erfahrung hätte ich jetzt am ESC keine Show mit Mimik und Gestik gehabt, sondern einfach schalalalala», ergänzt Luca.
Er wollte beweisen, dass die Schweiz punkten kann, wenn das Gesamtpaket stimmt. «Be The Change You Want To See In The World» – Sei der Wandel, den du auf der Welt sehen möchtest – steht auf seinem rechten Unterarm. Ein Tattoo, das Hänni 2014 in Las Vegas stechen liess.
Trotz Zuversicht und Mitfavoritenrolle bei den Experten verspürte Luca Hänni einen kurzen Moment, in dem er am Finaleinzug zweifelte. Als am Abend seines Halbfinals am 16. Mai bereits acht von zehn Finalisten verkündet waren und nur noch zwei Plätze frei, flüstert er seinem Stiefbruder zu: «Das wars …»
«Ich wäre sehr enttäuscht gewesen, wenn wirs nicht in den Final geschafft hätten», gibt Luca zu.
Einmal mehr übermannt ihn die Müdigkeit. Ein Espresso soll helfen. «Hm, bisschen Ferien fände ich schon cool.» Doch die stehen frühestens im September mit Michèle an. Jetzt gilt es, den ESC-Hype zu nutzen. Da Luca am Song «She Got Me» mitgeschrieben hat, zahlt sich die Teilnahme für ihn doppelt aus – auch finanziell. In den meisten europäischen Ländern ist sein Lied in den Top 100 der iTunes Charts, in zehn gar in den Top Ten. Internationale Verträge sind in Verhandlung, Manager Cyril hat die nächsten Tage verplant. Wie wärs mit einer erneuten Teilnahme, mit Michèle im Duett? «Nächstes Jahr soll jemand anders gehen. Ich kanns nur empfehlen!»
Mitarbeit: Joëlle Weil, Tel Aviv