Am Tag nach dem frustrierenden Super-G an der WM hat Marco Odermatt (25) ein kleines Happening mit seinen Sponsoren vor Ort. Zum Treffen ein paar 100 Meter unterhalb seines Hotels im Nobelort Courchevel kommt er über die Piste angebraust – auf einem Plastikschlitten.
Es ist eine Gabe, nach einer Enttäuschung nicht nur den Fokus schnell wiederzufinden, sondern auch das Spielerische dabei nicht zu verlieren. Um dann bei der nächsten Gelegenheit eine der besten Abfahrten hinzulegen, die die Sportwelt je gesehen hat. Perfekte 107,05 Sekunden. Eine Fahrt wie ein Kunstwerk, von der die gesamte Konkurrenz schwärmt.
Keine Hemmungen, sich beim Feiern zu zeigen
Wie Marco Odermatt durch diesen Winter gleitet und kurvt, macht schlicht Spass. Es ist die Lockerheit eines Sportlers im Flow, der in 21 Saisonrennen 16-mal auf dem Podest stand, bei dem alles so perfekt zusammenpasst, dem alles so mühelos zu gelingen scheint. Aber es ist eben auch die Lockerheit eines 25-Jährigen, der sich in der Rolle des Entertainers wohlfühlt. Der dies sogar ein Stück weit zelebriert, geniesst. Der Nidwaldner hat keine Hemmungen, auf den sozialen Medien Bilder von sich beim Feiern im Après-Ski zu posten, nach dem WM-Titel leicht beschwipst im Fernsehstudio aufzutauchen oder an Siegerehrungen freche Sprüche zu klopfen. «Immer mit Schalk», wie seine Mutter Priska sagt, die selber ab und zu überrascht ist von der Schlagfertigkeit ihres Sohnes. Damit hebt sich Odermatt von einer Masse von Sportlern ab, die jeden Satz so formulieren, dass sie damit ja niemandem zu nahe treten, lieber ein glattes Image wahren.
Dass Odermatt damit punktet und nicht aneckt, liegt einerseits an seinem Naturell. Schon wenn er früher mit Kollegen Seich gemacht hat, schaffte er es meistens, ungeschoren rauszukommen. Ein bisschen Diplomat, ein bisschen Schlitzohr, das man gernhat. Es liegt aber auch daran, dass er sich im Erfolg oder beim Blödeln nie über die anderen stellt oder arrogant wirkt. Im Gegenteil: Er nennt seinen grössten Rivalen Aleksander Kilde auch einen Freund, er liebt diesen inspirierenden Kampf. Nach dem Abfahrtsgold wird Odi mit der Aussage des französischen Fahrers Johan Clarey konfrontiert, er sei der Federer des Skisports. Und antwortet: «Es ist mir wie ihm auch wichtig, bescheiden zu bleiben. Und den grössten Respekt für die anderen Athleten zu haben, wie es auch Federer immer hatte.
«Marco Odermatt ist der Roger Federer des Skisports»
Johan Clarey, französischer Skirennfahrer
Zudem galt im Hause Odermatt früher eine Sache: Es wird nicht über Lehrer oder Trainer gemault. Natürlich hörten die Eltern ihren Sohn an und hätten bei einem Problem eingegriffen. Aber sonst hiess es: Anstand, Respekt, zusammen klarkommen. Wer weiss schon, ob das der Grund dafür ist, aber: Walter Odermatt (54) hat mal nachgezählt, wie viele Menschen nach ihm einen direkten Einfluss auf Marco hatten, und kam «locker» auf 15. Und mit jedem Einzelnen sei dieser gut ausgekommen. Dazu passt, dass Marco zu Hause nicht gross pubertiert hat.
Rauspicken und ausblenden
Nicht zu viel hinterfragen ist wohl ein weiterer Grund für diese ausgeprägte Gelassenheit, von der die Eltern ja selbst nicht so recht wissen, woher ihr Sohn sie hat. «Er hat eine Begabung dafür, sich bei allen das rauszunehmen, was er braucht. Und den Rest ausblenden zu können», sagt Mutter Priska, 55. Er pickt sich bei Trainern also die Dinge raus, die ihn weiterbringen. Saugt die Freude der Fans bei Siegerehrungen oder an Rennen auf, anstatt sich von seinen zahlreichen Verpflichtungen stressen zu lassen. Diese Einstellung spart enorm Energie.
um Odi teils riesige Ausmasse an. Das spürte Priska Odermatt dann, als sie im Januar zum ersten Mal in Wengen war und nach Marcos zweitem Platz in der Abfahrt an die Siegerehrung wollte. Da war schlicht kein Platz mehr auf dem Gelände!
Und auch Marco kann es zu viel werden. Für ihn ist wichtig, dass er neben dem Skisport noch ein Leben hat, auch mal ungestört mit seinen alten Freunden abhängen kann. Diese sind zudem wichtig, wenn es darum geht, ihm mal Gegensteuer zu geben. Ist er ab und zu auf Besuch daheim, übernehmen diesen Job seine Eltern. «Im Skizirkus wird ihm alles serviert, da muss man auch mal sagen: Hey, jetzt bist du zu Hause», sagt Walter Odermatt und fügt schmunzelnd hinzu: «Das sind kurze Sequenzen. Sonst sind wir zufrieden.»
«Persönlichkeiten und Künstler»
Nach dem WM-Titel sagte Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann, wie wichtig Athleten für den Verband seien, die nicht nur mit Leistung überzeugten, sondern auch Persönlichkeiten und Künstler seien. Marco Odermatt ist das. Einer, der auf Schnee zaubern kann wie kein anderer. Und dennoch auf den Tischen tanzt wie jeder andere.