Jemand hat auf einen gelben Zettel geschrieben, was all die Blumen und Kerzen ausdrücken sollen: «Wir werden euch vermissen!» Das Sri Lanker Ehepaar Ketharagowry und Karthigesu V. führte im Berner Lorraine-Quartier einen beliebten Kiosk. Am Ostersonntag wurden sie bei einer Explosion in einem Hotel in Colombo getötet.
«Ich kann das gar nicht glauben», sagt Mirek Wopelka, 61. Seit sechs Jahren beliefert er den Quartierladen mit tschechischem Bier. «Hier war jeder willkommen, ob Clochard oder nicht.» Manchmal sei er auch einfach auf einen Schwatz vorbeigegangen. «Es waren so freundliche und friedliche Leute.» Und fleissig, sagt Wopelka. «Immer am Krampfen! Bevor sie abreisten, haben sie gesagt, dass sie jetzt wirklich eine Pause brauchen.» Seit 15 Jahren war es die erste Reise des Paars nach Sri Lanka.
Am Osterwochenende wurden bei Selbstmordattentaten und Explosionen mehr als 253 Menschen getötet. Ziele waren Hotels und Kirchen in den Städten Colombo, Negombo und Batticaloa. Auch Dutzende Ausländer starben, darunter fünf Personen aus der Schweiz. Das Paar V. aus Bern sowie ein Ehepaar aus Uster und die zwölfjährige Tochter.
Die Terrororganisation IS hat sich zu den Anschlägen bekannt. Wer wirklich dahintersteckt, weiss man noch nicht. Die Bestürzung darüber, dass Sri Lanka nach einer friedlichen Phase solche Gewalt erlebt, ist gross.
Auch Marina Frei, 35, ist geschockt, als sie am Sonntag von einem Ausflug zu einer Teeplantage zurückkehrt und ihr Fahrer etwas von Bomben und Toten erzählt. Seit einer Woche reist die Zürcherin mit Freundinnen durch Sri Lanka. Am Abend muss die Gruppe um 18 Uhr ins Hotel, Ausgangssperre. Am nächsten Morgen setzen sie die Reise fort. «Die Stimmung in der Bevölkerung ist bedrückt», sagt Frei, «aber die Menschen sind noch herzlicher als sonst. Sie wollen, dass die Touristen trotzdem wiederkommen.»
Die Kioskbetreiber Ketharagowry und Karthigesu wohnten in einem grossen Block in Bern Bümpliz, mit ihren beiden Söhnen im Alter von 14 und 18 Jahren. Die Familie war zusammen in Colombo, ein Sohn wurde angeblich leicht verletzt. Die 28-jährige Tochter soll früher in die Schweiz zurückgereist sein und hat die Anschläge nicht miterlebt.
Vor dem Haus in Bümpliz treffen wir ihren Mann an, der freundlich sagt, dass er nicht gross Auskunft geben möchte. Richtigstellen will er aber: Die Familie reiste nicht für ein Fest nach Sri Lanka, wie teilweise berichtet wurde, sondern, um ihre Pässe zu erneuern.
Den Tränen nahe ist Nachbarin Shemsije Asani. Seit 15 Jahren wohnt sie direkt unter der Familie aus Sri Lanka. «Ich bin sehr traurig», sagt sie. «Wir hatten ein gutes Verhältnis miteinander. Das waren sehr liebe Leute.»
Auch in der Sri Lanker Gemeinschaft in Bern ist die Trauer gross. Im Haus der Religionen am Europaplatz kommt der Hindu-Priester Thiruselvam Muralitharan in den Tempel. Der 42-jährige Koch und Pfleger wuchs auf derselben kleinen Insel im Norden Sri Lankas auf wie Kioskbetreiber Ketharagowry und ist mit dem Paar verwandt.
«Meine Mutter ist die Cousine seiner Frau.» Priester Murali, wie er genannt wird, wohnt ebenfalls in Bern Bümpliz. «Ich habe gesehen, wie ihre Kinder aufgewachsen sind. Ich werde der Tochter meine Hilfe anbieten.» Aber er wolle der Familie Zeit lassen. Das Ehepaar sei in den letzten Jahren nicht mehr so oft in den Tempel gekommen. Sie hätten sehr viel im Kiosk gearbeitet.
«Es fällt mir nicht leicht, in Worte zu fassen, wie ich mich fühle», sagt Priester Murali. Er sei es gewohnt, mit einem mulmigen Gefühl nach Sri Lanka zu gehen. «Früher mussten wir uns auf Krieg einstellen. Und jetzt haben wir Angst vor Terror, vor einsamen Rucksäcken, die rumstehen.»
Das Haus der Religionen vereint Kirche, Tempel und Moschee unter einem Dach. Der Hindu Siva Thillaiambalan, 39, leitet hier Workshops. «Ich befürchte, dass sich die Gräben in der Bevölkerung vertiefen werden», sagt er.
Um den Zusammenhalt zu stärken, organisiert er im Tempel eine interreligiöse Trauerfeier für die Opfer. «Der Hass darf jetzt nicht zunehmen», sagt er und zeigt auf einen Satz an der Wand des Tempels: «Die ganze Welt ist eine einzige Familie, jeder Mensch ist bei uns willkommen.»