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Weltrekord in 6893 Meter Höhe

Mit dem Elektrofahrzeug auf den Vulkan

Mit einer spektakulären Gebirgs-Expedition wollen drei junge Schweizer beweisen, dass ein Elektrofahrzeug auch ohne fixe Ladestationen über längere Zeit betrieben werden kann.

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Koller-Aebis

Abenteuer Peak Evolution: Mit dem zum E-Fahrzeug umgebauten Aebi wollen David und Patrik Koller sowie David Pröschel (v. l.) den Höhenweltrekord schaffen.

Joseph Khakshouri

Die Ansage von Patrik Koller ist klar: «Wir wollen den Höhenweltrekord für Landfahrzeuge brechen.» Wir? Das sind die Brüder Patrik, 25, und David Koller, 27, mit ihrem Kumpel David Pröschel, 28. Damit dies gelingt, müssen sie höher hinaus als die im Guinness-Buch eingetragenen 6688 m ü. M., die zwei Chilenen vor zwölf Jahren mit ihrem modifizierten SuzukiSamurai am Vulkan Ojos del Salado schafften. Genau an diesem 6893 Meter hohen Berg, dem höchsten aktiven Vulkan der Erde und zweithöchsten Gipfel Südamerikas, wollen sich auch unsere drei Schweizer Gipfelstürmer versuchen. Aber nicht mit einem Benzin- oder Dieselauto, dem in der dünnen Höhenluft die Leistung ausgeht, sondern mit einem selbst umgebauten Elektrofahrzeug.

Den drei jungen Schweizer Abenteurern gehts bei ihrer Expedition aber nicht primär um den Eintrag in die Rekordbücher. Vielmehr wollen sie mit ihrer spektakulären Aktion ein Zeichen setzen. Und darauf aufmerksam machen, dass man mit der Entwicklung eines elektrischen Mehrzwecktransporters in Kombination mit Fotovoltaik-Technologie in der Schweizer Landwirtschaft, besonders in Bergregionen, massiv Geld sparen, die Natur schützen und einheimisches Schaffen unterstützen kann. Die Schweizer Landwirtschaft wird mit Direktzahlungen und Steuererlässen grosszügig unterstützt. Mit dem Kauf von Treibstoff fliesst aber ein beträchtlicher Teil dieser Gelder, und somit die Wertschöpfung, direkt an erdölexportierende Länder ins Ausland. «Dem wollen wir entgegenwirken», erklärt Maschinenbau-Ingenieur David Koller, «indem wir mit unserem Start-up einen elektrischen Mehrzwecktransporter entwickeln. Dieser sorgt dafür, dass unsere Landwirtschaft – besonders Bergbauern – künftig verstärkt auf autarke Energieproduktion und elektrische Mobilität setzen können.» – «Weil es aber schwierig ist, die Öffentlichkeit, Politik und Investoren fürs Thema zu sensibilisieren», ergänzt Bruder und Holzbautechniker Patrik Koller, «sind wir schliesslich auf unsere Höhenrekord-Idee gekommen.» – «Und mit den aus unserer Expedition gewonnenen Erkenntnissen», sagt der Dritte im Bunde, Bauführer David Pröschel, «wollen wir anschliessend mit unserem Start-up einen serienreifen elektrischen Mehrzwecktransporter für die Landwirtschaft entwickeln, inklusive der zum Betrieb nötigen Infrastruktur.» 

Das Team

Koller-Aebis

Die Engadiner Brüder David, 27, und Patrik Koller, 25, sowie ihr Unterländer Kollege David Pröschel, 28 (v. l.).

Joseph Khakshouri

Die Engadiner Brüder David, 27, und Patrik Koller, 25, sowie ihr Unterländer Kollege David Pröschel, 28, kennen sich schon von Kindesbeinen an. Alle drei sind sie leidenschaftliche Bergsteiger und erklimmen gemeinsam regelmässig Gipfel zu Fuss, mit dem Bike oder auf Skis. Oft in der Natur unterwegs, nehmen sie die negativen Effekte des Klimawandels direkt wahr. Und weil den drei «Berglern» viel daran liegt, zu bewahren, was noch zu bewahren ist, machten sich der Maschinenbauingenieur, der Holzbautechniker und der Bauführer konkret Gedanken über die Effizienzsteigerung von Fahrzeug- und Gebäudetechnik in Berggebieten unter Verwendung alternativer Energiequellen. «Da es nicht nur bei theoretischen Gedankenspielen bleiben sollte», so Patrik Koller, «waren wir uns schnell einig, dass wir eine eigene Firma gründen werden, um unsere Visionen auch zu verwirklichen.» Und so gibts seit letztem Jahr in Sevelen SG die DDP Innovation GmbH mit ihrem ersten Projekt «Peak Evolution».

Erste Kontakte zur Industrie hat das innovative Trio bereits geknüpft – und ist bei Schweizer Firmen wie Aebi-Schmidt, Ecovolta oder Kyburz durchaus auf offene Ohren gestossen. Die Idee der jungen DDP Innovation GmbH ist aber auch überzeugend. David Pröschel: «Landwirtschaftliche Fahrzeuge fahren in den Bergregionen oft leer den Berg hoch, aber schwer beladen mit Heu, Holz oder Milch runter. So kann viel Energie zurückgewonnen werden. Diese Transporter müssen zudem nicht schnell sein, da ihre Höchstgeschwindigkeit auf 45 km/h begrenzt ist. Dafür brauchen sie ein hohes Drehmoment bei wenig Umdrehungen, um schwer beladen am Berg anfahren zu können. Da ist ein effizienter E-Motor genau das Richtige.» Auf diese Idee sind andere allerdings auch schon gekommen. So verkehrt auf dem Stoos SZ seit diesem Winter ein Prototyp eines elektrischen Transporters des Schweizer Landmaschinen-Spezialisten Aebi-Schmidt. Doch Pröschel denkt bereits weiter: «Um das volle Potenzial des Elektroantriebs auszuschöpfen, muss der komplette Antriebsstrang neu konzipiert werden. Patrik Koller ergänzt: «Zudem hängt das Fahrzeug den grössten Teil des Tages an der Steckdose, besonders im Winter. Mit unserer Technik könnte die Batterieleistung während dieser Zeit genutzt werden, um Regelenergie fürs Stromnetz bereitzustellen. Diese kann dann für einen guten Preis verkauft werden. Im Gegensatz zu einem konventionellen Fahrzeug verdient unser Elektrotransporter also auch im Stehen Geld.»

Der Berg – Ojos del Salado

Karte Gipfelstürmer
Schweizer Illustrierte

Der aktive Vulkan liegt am Rande der Atacama-Wüste auf der chilenisch-argentinischen Grenze. Mit einer Höhe von 6893 Metern ist er der höchste aktive Vulkan der Erde und der zweithöchste Gipfel Südamerikas. Wegen der grossen Trockenheit gibts vergleichsweise wenig Schnee. Dafür ist das Wetter oft wechselhaft und immer sehr stürmisch.

Natürlich ist beim Peak-Evolution-Projekt das Fahrzeug der wichtigste Faktor. Mit Aebi-Schmidt haben die drei Abenteurer einen renommierten Partner gefunden. «Bei dem uns für den Umbau zur Verfügung gestellten Fahrzeug VT450 Vario ersetzen wir in einer ersten Entwicklungsphase den Dieselmotor durch einen wassergekühlten, rund 60 Kilo schweren und 80 kW starken Drehstrom-Elektromotor und rüsten unseren Protoyp mit einem selbst konstruierten Aufbau sowie einer mobilen Solaranlage mit einer Fläche von rund 50 Quadratmetern aus. So halten wir die Kosten tief und die Entwicklungszeit kurz.» Dazu haben sich die innovativen, erst seit Kurzem in Sevelen im St. Galler Rheintal ansässigen Jung-Unternehmer mit der Firma Ecovolta einen weiteren Partner ins Boot geholt. «Ecovolta hat grosse Erfahrung im Bau von Batteriesystemen und elektrischen Antrieben und war auch am Bau des Elektro-Prototyps für den Stoos massgeblich beteiligt», erklärt Ingenieur David Koller. Für Techniker: Die Gesamtkapazität der zwölf total rund 800 Kilo schweren Batteriepacks für den Höhenrekord-Aebi beträgt 120 kWh. Die Entladetemperatur liegt zwischen minus 20 und plus 50 Grad, die Ladetemperatur bei minus 10 bis plus 50 Grad. «Das bedeutet, dass wir sehr gut isolierte Batteriegehäuse bauen müssen, die bei Bedarf auch belüftet werden können», verrät David Pröschel.

Koller-Aebis

Büro, Wohnung, Werkstatt: In Sevelen SG haben die drei den idealen Ort gefunden, der ihnen genau das alles unter einem Dach bietet.

Joseph Khakshouri

Was die drei am knapp 7000 Meter hohen Gipfel erwartet, haben sie bei ihrer rund fünfwöchigen Erkundungstour diesen Januar in Chile am Ojos del Salado erfahren. «Das Wetter war sehr garstig, und die Luft wird oben extrem dünn», berichtet David Koller, der vom Trio am meisten Mühe mit der extremen Höhe hatte. «Aber wir wissen nun», so David Pröschel, «dass es eine befahrbare Route gibt, die nicht von allzu grossen Felsbrocken versperrt wird und deren Steigung sich in einem akzeptablen Bereich befindet.» – «Und dass wir mit Höhe und Wetter auch bei sehr schlechten Bedingungen zurechtkommen», ergänzt David Koller. Nun starten in Sevelen die Umbauarbeiten am Fahrzeug. Die ersten Probefahrten sind noch für diesen Spätsommer geplant. Anschliessend folgen Testeinsätze unter realen Bedingungen in der Schweizer Landwirtschaft. Die eigentliche Expedition soll dann Ende nächsten Jahres starten und inklusive Überfahrten auf dem Schiff rund fünf Monate dauern. 

Von Raoul Schwinnen am 14. Mai 2019 - 11:07 Uhr