Schwäbischer wirds nicht. «Kommet ‘s doch nei!», begrüsst man uns fröhlich in Sindelfingen. Gefühlt Vorort des deutschen Stuttgart, faktisch «beim Daimler» (wie der Schwabe sagt) daheim. Ohne Coronakrise wären wir jetzt wohl in Schanghai, L.A. oder wenigstens in Berlin: Normalerweise feiert Mercedes jede neue S-Klasse, wie es sich gehört beim Archetyp aller Luxusliner, dem im Verkauf konkurrenzlosen Kaiser unter Königen. Mit Tamtam! Der letzte S debütierte im Airbus-Werk: Feuerwerk, ein wie zufällig durchrollender A380 hinter und auf der Bühne Alicia Keys.
Aber was ist schon normal in diesen Zeiten? Heuer regiert unfreiwillige Bescheidenheit: nur 40 Journalisten, aus der Schweiz nur wir, fertig. Aber einerseits kann Daimler- und Mercedes-CEO Ola Källenius, 51, so gleich die neue Factory 56 zeigen, in der der S gebaut wird: das modernste Autowerk der Welt. Andererseits ist die S-Klasse ja selbst Tamtam – was freilich irgendwie despektierlich klingt gegenüber der heuer 66-jährigen S-Klasse. Sie sei «die Ikone und das Herz unserer Marke», betont Källenius: «Für uns ist das wie ein Champions-League-Finale oder eine Oscar-Verleihung.» Und wie ein erster Blick in die Zukunft. Das war bei der Sicherheitskarosserie und der Sicherheitslenksäule so, bei ABS und ESP, beim Airbag und Turbodiesel, beim Radartempomat und Keyless-System. Ja, Luxus ist im S Pflicht. Aber Innovation seine wahre Kür.
Es werde Pixel-LED-Licht: Gestern noch beeindruckten uns Matrix-LED-Scheinwerfer. Aus, vorbei, passé: Jetzt heisst das Mass der Lichtdinge Pixel-LED: Die S-Klasse wirft 2,6 Millionen Lichtpunkte auf die Strasse, um etwa Warnsymbole auf den Asphalt zu projizieren. Gestern fanden wir Head-up-Displays mit Navipfeilen innovativ. Jetzt ists kalter Erfinderkaffee: Jenes der S-Klasse legt die Pfeile genau auf die Piste. Augmented Reality – was wie die 3-D-Instrumente nur klappt, weil eine Kamera uns anguckt. Nebeneffekt: Wer nachts zum unbesetzten Beifahrersitz greift, dem schaltet der S die dortige Leseleuchte an, weil man wohl etwas sucht. Das kann man zwar als so hübsches Unnützchen empfinden wie die Vernetzung mit dem Smart Home, um per Sprachbefehl den Herd auszuschalten. Eben dieses Wenn-schon-denn-schon macht den S aus.
Und es gibt ja auch Wichtiges: Im zweiten Semester 2021 fährt die S-Klasse zuerst nur in Deutschland und erst mal bis Tempo 60 autonom auf Level 3. Schluss mit Aufpassen aufs System, legal zurücklehnen und whatsappen. Auch für andere Länder? «Die kurze Antwort lautet: ja», antwortet Källenius, erläutert gesetzliche Hürden und fügt an: «Hat man den Stern auf der Haube, geht Sicherheit vor. Selbst wenn man mehr machen könnte, macht man lieber weniger.» Aber: Sie seien natürlich dran beim Daimler. Hinten gibts jetzt Frontairbags und jedem sein Infotainment, und der S guckt – fast möchte man sagen: logisch – beim Abbiegen oder Türöffnen nach Velos. Die Assistenten sind so unzählbar wie die Sitzmassage-Modi und coolen Details. Dass sich alles anfasst wie liebevoll aus dem Vollen gefräst, ist quasi selbstredend so.
Nein, elektrisch ist die S-Klasse nicht, was in diesen Zeiten überrascht. Warum? Weil 2021 noch ihr E-Pendant EQS kommt. Wieso ein eigenständiger Starkstrom-S? «Der Benz Patent-Motorwagen sah nicht wie eine Kutsche aus, weil da kein Pferd mehr war», bringt es der Daimler-Chef auf den Punkt – und wie 1886, so heute: «Aus Entwicklungssicht folgt die Form der Funktion. Bei einer vollelektrischen grossen Limousine kommt man zu einem ganz anderen Packaging, einem anderem Radstand, einer anderen Form. Mit einem fundamental anderen Antrieb kann man ganz andere Dinge machen.» Jedoch wird auch die «normale» S-Klasse elektrischer. Zum Start im Dezember gibts Sechszylinder: Diesel S 350 d (Allrad optional) und S 400 d 4Matic und den hybridisierten Benziner S 500 4Matic (435 Benzin- plus 22 Elektro-PS). Es folgen ein S 450 und Achtzylinder sowie ein Plug-in-Hybrid mit 100 Kilometer E-Reichweite. Und der V12? «Es gibt eine Gruppe von Conaisseuren, die dessen Werte würdigt», sagt Källenius, «also wird die S-Klasse einen bekommen.» Was beeindruckt den CEO am meisten am S? «Da gibt es so vieles», antwortet Källenius: «Aber ich war in einem Prototyp, kaum Verkehr auf der A81 – also habe ich gestestet, was möglich ist. Ich fahre seit Jahren S-Klasse, aber hier dachte ich: Wow! Dass man so Grossartiges noch verbessern kann! Fast irrwitzig leise, und die Fahrt war so sanft und sicher.»
Sicher ist auch, dass neun von zehn Käufern zur Variante mit langem Radstand greifen. Warum dann eigentlich noch einen W 223, wie der kurze S im Gegensatz zum langen V 223 intern heisst, anbieten? «Wir hatten eine fünfminütige Diskussion, ob wir überhaupt einen W machen sollen», sagt Källenius, «aber in Europa ist er für traditionelle, treue Kunden wichtig.» Schwäbischer wirds nicht.